Suchtberatung der AWO Potsdam in Teltow: Die meisten Menschen kommen wegen des Alkohols!
Die AWO Potsdam unterhält in Teltow eine “ambulante Beratungs- und Behandlungsstelle für Suchtkranke und Suchtgefährdete”. Die meisten Menschen suchen die Hilfe der Suchtberater aber nicht auf, um von den Drogen oder einer Online-Spielsucht wegzukommen. Stattdessen geht es in den meisten Fällen um – Alkohol. Oft steigert sich hier nach und nach der Konsum, bis er sich nicht mehr länger kontrollieren lässt.
Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, um plötzlich selbst vom ziehenden Bedürfnis einer das eigene Verhalten triggernden Sucht betroffen zu sein. Manche rauchen Joints, andere werfen Pillen ein oder verzocken viel Geld beim Glückspiel.
Daniel Zeis ist Teilbetriebsleiter der “Ambulanten Beratungs- und Behandlungsstelle für Suchtkranke und Suchtgefährdete in Teltow”, die vom AWO Bezirksverband Potsdam betrieben wird und die es vor Ort bereits seit 30 Jahren gibt. In der Potsdamer Straße in Teltow gibt es die Möglichkeit, an jedem Werktag in der Woche Hilfe und Unterstützung in Anspruch zu nehmen – und zwar am Montag von 9 bis 12 Uhr, am Dienstag von 9 bis 18 Uhr und am Donnerstag von 13 bis 18 Uhr. Mittwoch und Freitag sind Besuche nach einer zuvor getroffenen Terminvereinbarung möglich.
Daniel Zeis sagt: “Wir sehen bei uns die ganze Bevölkerung von noch ganz jungen Menschen unter 20 Jahren bis hinauf zu den Senioren über 60 Jahren. Wir sprechen übrigens immer öfter auch von Verhaltenssüchten. Dieses Thema wird in unserer heutigen Gesellschaft immer größer – und es trifft nicht nur die Armen, sondern ohne Ausnahme alle Schichten. Wir haben inzwischen 250 bis 300 Fälle im Jahr, um die wir uns in Teltow kümmern. In 80 bis 85 Prozent aller Fälle geht es immer wieder um das Thema Nummer eins – den Alkohol.”
Gaetano Droszella, Suchttherapeut auf Honorarbasis: “Alkohol ist überall greifbar und wird von der Gesellschaft legitimiert. Dabei ist es immer wieder so, dass Alkohol erst nur vereinzelt konsumiert wird, bis er plötzlich zur Tagesroutine fest mit dazugehört – und sie beeinflusst. Jede Sucht hat ihre eigene Inkubationszeit. Manche Leute sehen früher ein, dass sie ein echtes Problem mit dem Alkohol haben, andere erst später.”
Ganz wichtig ist, dass jeder die Gesprächsangebote der Beratungsstelle kostenfrei nutzen darf, wenn er im Landkreis Potsdam-Mittelmark wohnt.
Steven Knaack ist Suchtberater und Verwaltungskraft vor Ort. Er sagt: “Wir haben eine Schweigepflicht. Nichts von dem, was wir bei einem Termin besprechen, dringt nach außen – etwa zum Partner oder zum Arbeitgeber. Es gibt keine Meldepflicht. Wir werten auch nicht. Wir hören einfach nur zu und versuchen zu helfen. Wir sind auch nicht nur für die Betroffenen da. Gern können auch besorgte Eltern, der Partner oder die Partnerin oder der Arbeitgeber zu uns kommen, um ein Erstgespräch wahrzunehmen.”
Oft kämpfen die Menschen, die bereits merken, dass sie ein echtes Alkoholproblem haben, mit starken Schuldgefühlen und mit Scham, weil sie genau wissen, dass ihr Verhalten nicht gut für sie ist – und dass es auch immer wieder zur Zerreißprobe mit anderen Personen in der Familie oder auf Arbeit kommt.
Katja Sacharow, Suchttherapeutin: “Es gibt immer wieder einen konkreten Auslöser, der dazu führt, dass sich jemand seiner Sucht stellt und nach einem Ausweg sucht. Deswegen fragen wir bei jedem Erstkontakt in unserer Beratungsstelle immer nach: Warum genau kommen Sie gerade jetzt zu uns? Tatsächlich ist es so, dass ein starker Auslöser oft für eine lang anhaltende Motivation sorgt, das eigene Suchtverhalten ändern zu wollen. Das trägt über eine lange Zeit. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, diese Eigenmotivation zu erhöhen. Das ist wichtig für eine Genesung.”
Wer Hilfe sucht, bekommt bei der Suchtberatung der AWO Potsdam kostenlose Beratungsgespräche angeboten. Daniel Zeis: “Wir lernen unsere Klienten besser kennen, thematisieren die Problematik und hören uns die Biografie an. Eine professionelle Diagnostik erfolgt u.a. über einen ausgearbeiteten Fragebogen. Anschließend entwickeln wir einen Fahrplan für die weitere Behandlung.”
Die Frage ist natürlich, wo die Reise hingehen soll? Gaetano Droszella: “Jeder hat seine eigene Agenda. Nicht jeder möchte etwa vollständig vom Alkohol loskommen. Manchen reicht es bereits aus, den Konsum zu stabilisieren oder zu reduzieren. Neben der Klärung in den Beratungsgesprächen ist hier unser spezielles Reduktionstraining von Bedeutung.”
Ein Angebot der ambulanten Beratungs- und Behandlungsstelle ist eine Motivationsgruppe, in der sich die Betroffenen untereinander austauschen, aber auch Fachwissen über die Sucht vermittelt bekommen. Steven Knaack: “Die Motivationsgruppe stellt für viele Menschen mit einer Suchtproblematik die allererste Gruppenerfahrung dar. Wichtig ist: Alles Gesprochene bleibt im Raum. Und doofe Fragen gibt es nicht.”
Katja Sacharow: “Ich muss wirklich einmal feststellen: Wir leben in einer gestörten Trinkkultur. Es ist schwer, sich hier zu orientieren.”
Steven Knaack: “Das große Problem bei allen Süchten ist: Das Gehirn merkt es sich sehr gut, wenn plötzlich etwas besser läuft als erwartet. Wer schlecht schläft, Rückenschmerzen hat oder unter Stress leidet und nun feststellt, dass sich diese Probleme mit Alkohol relativieren, der hat sein Gehirn quasi programmiert – und greift fortan immer zum Alkohol, sobald diese Situationen wieder eintreffen. Wir stellen fest, dass es bei uns in der Motivationsgruppe sehr oft um die Arbeit geht. Viele fühlen sich überfordert, sie arbeiten viel zu viel und haben es auch nie gelernt, einmal Nein zu sagen. Drogen sind da eine kurzfristige Bewältigungsstrategie, da sie sehr schnell wirken.”
Das wirkt sich auch auf die illegalen Substanzen aus. Katja Sacharow: “Man kann sagen, je jünger unsere Klienten sind, umso illegaler sind die Drogen. Bei uns in Teltow kommt Cannabis direkt nach dem Alkohol, wir haben es aber auch mit Ecstasy, mit KO-Tropfen und mit Kokain zu tun. Ein echtes Problem sind tatsächlich die KO-Tropfen (GBL). Sie können in geringer Konzentration für einen enormen Antrieb sorgen, hauen einem bei höherer Konzentration aber sofort die Beine unter dem Körper weg. Der Stoff wirkt bei jedem anders – und man weiß nie, was wirklich in dem Stoff enthalten ist, den man gekauft hat. Das ist hochgefährlich.”
Daniel Zeis: “Wir bemerken, dass sehr viel experimentiert wird. Da geht es auch zum Benzos und Opiate, auch das in den USA extrem gefürchtete Fentanyl spielt da eine Rolle. Diese Trends haben Teltow zum Glück bislang ausgelassen, auch das Crystal Meth kam nie in Teltow an. Hier bei uns bemerken wir allerdings einen Anstieg beim Kokain- und Amphetamin-Konsum – vor allem bei Menschen über 35 Jahren. Kokain und Amphetamine werden vom Arzt ebenso wie vom Lagerarbeiter genutzt – um im stressigen oder kräftezehrenden Arbeitsalltag besser durchhalten zu können. Gerade Führungskräfte greifen zu diesen Substanzen, weil sie oft genug an 24 Stunden am Tag und das an sieben Tagen in der Woche funktionieren müssen. Das Kokain, das zurzeit verkauft wird, ist ganz besonders rein und weist die höchste Qualität auf.”
Wer sich nach einer Beratung durch die AWO einer Therapie unterzieht, wird danach nicht abgehakt und vergessen. Steven Knaack: “Wir bieten für unsere Klienten eine rein ambulante Therapie an, die von der Krankenkasse oder der Rentenversicherung bezahlt wird. Wir fragen gern ein Jahr nach dem Ende einer Reha noch einmal nach, ob unsere Klienten denn auch abstinent geblieben sind. Das ist bei 85 Prozent der Therapierten der Fall. Aber auch hier urteilen wir nicht. Wir sind auch im Wiederholungsfall immer wieder für unsere Klienten da, auch beim zweiten, dritten oder vierten Mal.”
Katja Sacharow: “Wir haben Kontakte zu Menschen mit einem Suchtverhalten, da reicht ein einzelnes Gespräch aus. Andere begleiten wir bis zu anderthalb Jahre in der ambulanten Betreuung. Wer übrigens nicht zu uns kommen möchte, weil er oder sie Angst haben, auf dem Weg zu uns von Nachbarn oder Freunden erkannt zu werden, kann auch gern per Telefon oder über die Homepage Kontakt mit uns aufnehmen.”
Das, was die Suchtberater in Teltow für Bürger aus ihrem Landkreis leisten, können natürlich auch die Berliner für sich nutzen – es gibt nur einen anderen Ansprechpartner. Menschen mit Suchtproblematiken aus dem Bezirk Steglitz-Zehlendorf wenden sich an den AWO Kreisverband Südwest e.V. und hier an den Arbeitskreis Selbsthilfe Sucht (www.awo-suedwest.de/selbsthilfe.html). Online wird allen Betroffenen bundesweit auf dieser Seite geholfen: www.suchtberatung.digital. (Text/Fotos: CS)
Info: Ambulante Beratungs- und Behandlungsstelle für Suchtkranke und Suchtgefährdete Teltow – AWO Potsdam, Potsdamer Straße 7/9, 14513 Teltow, Tel.: 03328-30824610, www.awo-potsdam.de
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 117 (12/2023).
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