Das Komma: Das Kammertheater Kleinmachnow zerstört Freundschaften!
Manchmal sind es eben ganz normale Kleinigkeiten, die dazu in der Lage sind, langjährige Freundschaften nachhaltig zu atomisieren. Bei Silke, Gerd, Petra und Andreas reicht ein fehlendes Komma auf einer Glückwunschkarte aus, um zehn Jahre Freundschaft bis in die Grundfeste zu erschüttern. Das Kammertheater Kleinmachnow führte mit „Das Komma“ ein Stück auf, in dem sich jeder Zuschauer leicht wiederfindet.
Das Kammertheater Kleinmachnow (www.kammertheater-kleinmachnow.de) tritt seit 2018 in den Neuen Kammerspielen Kleinmachnow (www.neuekammerspiele.de) auf. Als erstes spielte die Truppe aus engagierten Amateurschauspielern „Spiel‘s nochmal, Sam“ von Woody Allen. In der Corona-Zeit machte das 2020 in einem Verein zusammengefasste und damit als gemeinnützig anerkannte Ensemble mit dem Stück „Homeoffice – Du machst Dir kein Bild“ von Bernd Spehling auf sich aufmerksam. In diesem Jahr ging es nun weiter mit „Das Komma“, einer tief ins Fleisch schneidenden „Komödie“ von Thomas Rau.
Bei „Das Komma“ standen im April und Anfang Mai allerdings nur vier Personen auf der Bühne im kleinen Saal. An fünf Abenden konnten die Zuschauer dabei zusehen, wie sich zwei Pärchen einen ganzen Abend darüber zerfleischen, wo denn nun ein Komma gesetzt werden muss – oder nicht.
Denn, soviel darf erklärt werden, Richard hat Geburtstag. Er ist ein gemeinsamer Freund der beiden Paare Silke (Dagmar Keck) und Gerd (Michael Esser) sowie Petra (Lea Rosanke) und Andreas (Cornelia von Hammerstein). Die beiden Pärchen haben sich vor genau zehn Jahren auf einem früheren Geburtstag von Richard kennengelernt. Seitdem treffen sie sich regelmäßig, fahren zum Wandern gemeinsam in den Urlaub – und besorgen auch immer ein gemeinsames Geschenk für Richard. Einen Gutschein. Die beiliegende Geburtstagskarte, von Petra besonders feinfühlig und lieb geschrieben, weist nur einen Fehler auf. Es fehlt ein Komma.
Das bringt Gerd auf den Plan, der ein notorischer Nörgler, Besserwisser und Regelbefolger ist. Und während die Freunde immer wieder von der germanistischen Regelkunde abweichen, um lieber über einen Chicorée-Birnen-Salat oder das Wandern in der polnischen Hohen Tatra zu diskutieren, kann Gerd keine Ruhe geben: „Ich bin nicht pingelig, ich bin präzise.“
Gerd verweigert die Unterschrift auf der gemeinsamen Grußkarte, weil doch nach einem eingeschobenen Datum wie bei „am Samstag, den 13. Mai“ noch einmal ein abschließendes Komma stehen muss, bevor der Satz weitergeht: „Wer links ein Komma setzt, muss auch rechts ein Komma setzen. Wenn wir bei jeder Diskussion immer nachgeben, bekommen wir eine Herrschaft der Vollidioten. Hier handelt es sich ganz klar um einen erklärenden Datumseinschub.“
Schnell gerät das Theaterstück auf der Bühne zu einem Diskussionsabend über Regeln – und wie oft sie denn im Alltag gebrochen werden.
Die Diskussion entgleitet den vier Streithähnen immer mehr. Schon bald bekommt die Freundschaft kleinste Risse, die schmerzhaft aufreißen, bis alles auf den Tisch kommt, was die beiden Paare so aneinander stört. Sogar intimste Geheimnisse werden nun auf einmal ausgeplaudert – mit schwerwiegenden Folgen.
Ei ei ei, denkt da der Zuschauer im Publikum, der in die Rolle des Voyeurs gezwungen wird. Er schaut der Eskalation auf der Bühne erst mit Befremden zu, um dann zunehmend ein fremdschämendes Vergnügen an den Streitigkeiten zu entwickeln. Füße hoch und Popcorn her – das ist nun die Devise. Zumal die beiden Paare schon bald an einen Punkt geraten, wo nichts mehr zu kitten ist und man sich im Publikum nur noch fragt, wer denn hier als erster in die Knie geht.
Spätestens in der Pause setzt das eigene Nachdenken ein. Welche Position würde man selbst einnehmen, wo werden die persönlichen Grenzen gezogen? Wäre man in der Situation ebenfalls ein grantiger Pedant? Oder doch eher ein sanftmütiger Beschwichtiger? Ein Gegenhalter, einfach um der Diskussion wegen? Oder ein Regeln-Googler, der sofort das Internet befragt? Und sicherlich hat auch der Zuschauer dunkle Flecken auf der eigenen Weste, die für Freundschaften stehen, die nach eigentlich völlig unwichtigen Streitigkeiten und Missverständnissen aufgelöst wurden.
Nicht umsonst schreibt das Kammertheater Kleinmachnow selbst: „Der Teufel steckt im Detail – und Satan kann sogar die Gestalt eines Kommas annehmen.“
Herausragend in „Das Komma“ ist Michael Esser als „Gerd“, der ganz klar seine Grenzen zieht und lieber den ganzen Planeten Erde in Flammen aufgehen sieht als eine schnöde Glückwunschkarte zu unterschreiben, die einen Kommafehler aufweist und damit gegen die Regeln verstößt.
Michael Esser gestikuliert, grimassiert, argumentiert und bockt, dass es für den Zuschauer eine wahre Freude ist. Auch hier gilt: Jeder hat diesen einen besonderen Freund, für den man sich überall entschuldigen muss, weil er eben ein Pedant vor dem Herrn ist und nicht um ein Jota von den eigenen Glaubenssätzen abrücken möchte.
Nun ist „Das Komma“ aber auch schon wieder ausgespielt und viele Gäste haben das tolle Kammerspiel gesehen. Im nächsten Jahr wird es mit einem neuen Stück weitergehen. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 110 (5/2023).
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