Die Schattenlichter spielen: “Grambowskis letzte Rolle”!
Jahr für Jahr fragt man sich im Februar: Was spielen die “Schattenlichter” wohl dieses Mal? Die Theatergruppe, die in 39 Jahren 42 Stücke aufgeführt hat, bringt mit “Grambowskis letzte Rolle” eine Tragikomödie über das Altern und auch über die Demenz auf die Bühne. Bernd Charnow überzeugt voll und ganz in der Rolle des dahindämmernden Pflegefalls, der nur dann wieder lebendig wird, wenn er den Don Quijote spielen darf.
Wir befinden uns in einem Zehlendorfer Pflegeheim. Hier sitzt Grambowski (Bernd Charnow) den ganzen Tag mit geschlossenen Augen in seinem Sessel und nimmt am Leben schon lange nicht mehr teil.
Dem neuen Auszubildenden zum Pflegefachmann Finn (Martin Schienbein) sagt man, dass Grambowski dement sei und nichts mehr mitbekommen würde. Er könne ja versuchen, dem alten Mann den Wirtschaftsteil der Tageszeitung vorzulesen oder ihn mit dem schrecklich schmeckenden Kuchen zu füttern.
Doch Finn ist noch nicht völlig abgestumpft, er sucht noch immer den Sinn in seinem Beruf. Und so versucht er, zu Grambowski durchzudringen. Das gelingt, als er ein altes Fotoalbum entdeckt. Grambowski war anscheinend einmal ein Theaterschauspieler – und der Don Quijote sein größter Erfolg.
Kaum zitiert Finn eine Zeile aus dem alten Stück, wacht Grambowski auf, wird lebendig, steigt in seine Rolle ein und führt das Stück im Alleingang auf – mitten im Altersheim. Der Rollstuhl wird dabei zum treuen Ross Rosinante, die Krücke zur Lanze und der arme Finn kurzerhand zum Knappen Sancho.
Doch schnell ist das Aufflackern wieder in Grambowski erloschen – und der alte Mann sackt wieder in seinem Sessel zusammen. Finn ist klar: Er muss das Stück weiter aufführen, um Grambowski immer wieder neu wachzurütteln. Aber das gelingt nur, wenn auch die anderen Rollen des Stücks besetzt werden. Spielen da die anderen Angestellten im Pflegeheim wohl mit? Was ist mit den Pflegefachfrauen Franzi (Elise Griepe) und Kasia (Diana Jesse)? Was sagt die Hauswirtschafterin Paula (Carola-Kristina Lane)? Und was meint die Pfarrerin (Tanja Dappen)?
Ausgerechnet die Pflegedienstleiterin Frau Barthala (Elke Brumm) stellt sich quer. Sie fürchtet, dass das Theaterspielen zu viel Aufregung für ihren betreuten Heiminsassen ist. Doch Finn unternimmt alles, damit Grambowski seine letzte Rolle zu Ende spielen kann.
Nach Stücken wie “Mord im Pfarrhaus” nach Agatha Christie, “Verwandte sind auch Menschen” nach Erich Kästner, “Frau Müller muss weg” von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, “Boeing Boeing” von Marc Camoletti und “Der Vorname” von M. Delaporte und A. de la Patellière überraschte die Schauspieltruppe im letzten Jahr mit dem grandiosen “Extrawurst” von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob.
In diesem Jahr ging der Theaterreigen also weiter mit “Grambowskis letzte Rolle”. Wie immer wurde das Stück ohne Regisseur einstudiert und nur an drei Abenden (22. bis 24. Februar) im Gemeindehaus der Evangelischen Paulus-Kirchengemeinde Zehlendorf gespielt.
Elke Brumm, die von Anfang an zu den “Schattenlichtern” (www.schattenlichter.info) gehört, erklärte: “In diesem Jahr haben wir eine echte Uraufführung gespielt. Der Sozialpädagoge Volker Zill hat das neue Stück um Grambowski geschrieben und wir durften es als erste aufführen. An einem Abend hat er uns sogar besucht.”
Das Stück funktioniert auf mehreren Ebenen. So ist es natürlich eine wichtige Tragikomödie über das Alter, die sich in jeder Sekunde fragt: Ist es in Ordnung, dass wir unsere Alten im Pflegeheim abladen, um sie hier ganz sich selbst zu überlassen? Ist es nicht doch möglich, ihrem Leben mehr Würde zu geben, indem man sich mit den Senioren beschäftigt und einen Weg sucht, mit ihnen zu kommunizieren? Auch wenn es ein verrückter Weg ist?
Das Stück zeigt sehr schön, wie sich ein Pfleger Gedanken macht und sich die Mühe macht, auch die Kollegen aus ihrer Lethargie zu erwecken, um gemeinsam Großes zu schaffen – auch über Hindernisse hinweg.
Zugleich lässt das Stück den Zuschauer aber noch einmal das tragische Abenteuerstück “Don Quijote” aus der Feder von Miguel de Cervantes neu erleben. Don Quijoteist ja auch ein Senior, ein Mann am Ende seines Lebens, der nicht mehr so kann, wie er es gern möchte, und der es trotzdem mit Drachen und Ungeheuern aufnimmt, auch wenn er in der Realität nur gegen Windmühlen kämpft. Der Roman von 1605 erwacht so auf einer Zehlendorfer Bühne noch einmal zum Leben und fasziniert die Zuschauer in einer Welt über 400 Jahre später.
Bernd Charnow ist im wirklichen Leben der Zehlendorfer “Elektriker der Herzen”, der zusammen mit seiner Frau Verena das Geschäft “Elektro Schäffler” in der Ladenstraße am U-Bahnhof “Onkel Toms Hütte” führt. Wie er den Grambowski spielt, das ist einfach nur sehenswert und sensationell. Eben liegt er noch seelen- und kraftlos in seinem Sessel, da geht ein Ruck durch den alten Körper – und Grambowski wird zu einem energiegeladenen Don Quijote, der ebenso irrsinnig wie kraftvoll über die Bühne schlurft, laut brüllt, mit dem Rollstuhl durch das Publikum fährt und dabei eine Energie ausstrahlt, dass man fürchtet, zum Opfer seiner Lanze zu werden.
Da hat man wieder ordentlich etwas zum Nachdenken aufgebrummt bekommen. Bis zum nächsten Jahr. Mal schauen, was dann gespielt wird. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 120 (3/2024).
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