Zweites Leben: betteries aus dem Goerzwerk verwertet Akkus aus E-Autos!
Immer mehr E-Autos sind auf den deutschen Straßen unterwegs. Kritiker weisen immer wieder gern darauf hin, dass die Akkus dieser Wagen nach acht bis zehn Jahren ausgetauscht werden müssen. Das Startup betteries aus dem Goerzwerk tritt an, um das damit einhergehende Problem zu lösen. Das Unternehmen macht aus den alten Akkus mobile Energieeinheiten – und verdoppelt so die Lebensdauer der Batterien. Die Nachfrage nach den mobilen Energieeinheiten ist enorm. (ANZEIGE)
Das mit den E-Autos und der umweltschonenden Mobilität, das sei doch alles Humbug, merken viele Freunde der klassischen Verbrennermotoren an. Zwar würden die E-Autos keine Abgase produzieren. Aber die Ökobilanz der Batterien sei eben trotzdem nicht überzeugend, weil sie viele seltene Erden in der Herstellung benötigen und nach acht bis zehn Jahren bereits wieder ausgetauscht werden sollten.
Dr. Rainer Hönig (58) von der im Jahr 2018 gegründeten Berliner Firma betteries pflanzt dieser Diskussion gern einen besonders interessanten neuen Gedanken ein: „Wie wäre es denn, wenn man die Lebensdauer eines solchen Autoakkus glatt verdoppeln könnte?“
Tatsache ist, dass die Akkus eines E-Autos nach acht bis zehn Jahren noch lange nicht am Ende sind. Sie haben nur im Schnitt 20 bis 30 Prozent ihrer Leistung verloren. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass noch 70 bis 80 Prozent der Kapazität vorhanden sind. Für verschiedene Einsatzgebiete reicht das doch noch völlig aus.
Dr. Rainer Hönig: „Wir bei betteries nehmen die ausrangierten Akkus eines E-Autos und bauen sie auseinander, um die Einzelteile am Ende weiterzuverwenden. Wer uns besucht, staunt oft darüber, dass die Akkus sehr klobig aussehen. Man muss aber bedenken, dass wir jetzt die Akkus bekommen, die in den Jahren 2012 bis 2014 verbaut wurden. Damals hat man die Autos noch nicht um die Akkus herumgebaut, sondern die Akkus so konstruiert, dass sie an die Stelle passen, wo vorher der Motorblock saß.“
Das Zerlegen der Akkus aus den ersten E-Autos hat das junge Unternehmen am Anfang durchaus noch vor Probleme gestellt. Annika Hönig (41): „Wir haben den Markt genau studiert, um herauszufinden, welche Akkus sich besonders effizient zerlegen lassen. Einige Autohersteller benutzen etwa verklebte Akkus, die für unseren Upcycling-Prozess nicht in Frage kommen. Inzwischen verwenden wir nicht nur die Akkumodule weiter, sondern auch die Kabelbäume, Schalter und Relais. Auf diese Weise verhindern wir viel Plastikmüll und Elektroschrott und sorgen zugleich dafür, dass der Anteil der wiederverwendbaren Teile steigt. Das ist wichtig, denn in diesem Punkt ist die Elektromobilität wirklich noch nicht besonders nachhaltig.“
Bei einem gern genutzten Akku eines französischen Kleinfahrzeugs besteht dieser übrigens aus 48 Modulen. Das sind am Ende handliche metallische Batterieeinheiten von der Größe eines Dachziegels. Dr. Rainer Hönig: „Wir messen bei jedem Modul, wie viel Kapazität es noch hat. Das Ziel ist es, möglichst immer Module mit gleicher Kapazität zu einer neuen Einheit zusammenzufügen. Später können wir unsere Module live über das Internet weiter im Auge behalten und überprüfen, wie es ihnen gerade geht. Außerdem wissen wir dank der Überwachung immer, wo sich unsere Module gerade befinden. Das ist in der späteren Nutzung auch für Verleihfirmen wichtig, die unsere Energiepakete gewerblich vermieten möchten. Auf diese Weise möchten wir den Modulen weitere sieben bis zehn Jahren Lebensdauer schenken.“
Mobile Energiepakete auf Rädern: Erster Fabrikbau steht nun an
betteries ist längst über das reine Experimentalstadium heraus. Es gibt bereits einen konkreten Plan.
Dr. Rainer Hönig: „Wir setzen bei uns immer sieben Module zu einer neuen Einheit zusammen. Diese Einheit hat eine Energieleistung von 2,3 Kilowattstunden. Das ist unser Grundbaustein. Wir haben ein mobiles Gerüst auf Rädern entwickelt, auf dem sich bis zu drei dieser Einheiten stapeln lassen. Diese fahrbaren und mobilen Energiespender sind absolut robust, unempfindlich und wasserdicht.“
Stecken drei Module zusammen, so bringen sie es auf eine gemeinsame Leistung von sieben kWh (5 kW). Eine solche mobile „E-Sackkarre“ reicht aus, um die LED-Flutlichtanlage von einem Fußballfeld eine Nacht lang mit Strom zu versorgen.
Annika Hönig: „Das Interesse an unseren mobilen Energieeinheiten ist gigantisch. Auf diese Weise lassen sich Festivals, Baustellen oder mobile Caterings sehr unkompliziert mit Strom versorgen. Man kann unser System auch als Ersatz für einen Generator verstehen oder mit ihm auch ein Boot oder ein Auto antreiben. Natürlich können unsere Second-Life-Batterien in der freien Natur auch mit der Hilfe einer Solaranlage wieder neu geladen werden. Sie lassen sich aber auch einfach zum Nachladen an eine Steckdose anschließen.“
Es ist erstaunlich, wie hoch das Interesse an den mobilen Energiesets allein in Deutschland und in Europa ist. Ursprünglich dachte das Team aber an ein ganz anderes Einsatzgebiet.
Dr. Rainer Hönig: „Wir haben in erster Linie darüber nachgedacht, wie wir das Leben der armen Bevölkerung in Afrika ein klein wenig angenehmer gestalten können. Wir hatten ein klassisches Tuk-Tuk im Kopf, wie es sich aus China für wenige hundert Euro einkaufen lässt. Ein solches Tuk-Tuk ließe sich mit unseren Energiepaketen antreiben. Und nicht nur das. Wir können das Tuk-Tuk ganz leicht so umbauen, dass die Steckdose unserer Energiepakete von der Ladefläche aus erreichbar wäre. So könnte man auch noch einen Kühlschrank anschließen. Ein Fischer bringt so seinen Fang sicher, frisch und ohne Verluste auf den Markt. Mit einer Ladung könnte das Tuk-Tuk etwa 80 Kilometer weit fahren. Wir würden so E-Mobilität auch in die ärmsten Regionen bringen. Das Nachladen der Module könnte über eine Solaranlage erfolgen. Das alles wäre eine systemische Lösung – und übrigens nicht nur für Afrika.“
Schwer war es am Anfang, die Autoindustrie für die neue Idee zu begeistern. Schließlich möchten die Unternehmen neue Autos verkaufen und sich keine Gedanken über die Zweitverwertung in die Jahre gekommener Wagen machen.
Dr. Rainer Hönig: „Ein französischer Hersteller war die rühmliche Ausnahme. Er beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Wiederverwendung und Recycling. Das Unternehmen baut zurzeit eine neue Fabrik bei Paris, in der es nur um Second Life Produkte rund ums Auto geht. Diese Fabrik soll ein Muster sein für je zwei weitere Fabriken in Afrika und in Asien sowie einer Fabrik in Mittelamerika. Die Regionalität macht Sinn – die Akkus sollen da recycelt werden, wo sie entstehen. Da wächst gerade ein neuer Milliardenmarkt heran. Wir rechnen damit, dass bereits 2025 zwölf Millionen ausrangierte Auto-Akkus anfallen werden. Dieser Tsunami an gebrauchten Batterien hat noch keinen Heimathafen.“
Annika Hönig: „Wir haben inzwischen über hundert Prototypen gebaut und sind jetzt endlich sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Im 2. Quartal 2022 möchten wir damit in Serie gehen. Wir erfüllen bereits alle wichtigen Zulassungskriterien und bauen eine erste Fertigungslinie.“ (Text/Fotos: CS)
Info: betteries AMPS GmbH, Goerzwerk, Goerzallee 299, 14167 Berlin, www.betteries.com
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 93 (12/2021).
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