Pilzberatung im Botanischen Museum Berlin: Der Pilzexperte schaut sich die Funde seiner Besucher genau an!
Warme Herbsttemperaturen, Sonne und vorher ganz viel Regen: Es gibt einfach so Tage, da findet man auf einem Spaziergang im Wald mehr Pilze, als man tragen kann. Aber kann man wirklich jeden Pilz auch bedenkenlos essen? Lauert zwischen Moos und Heidekraut nicht auch so mancher giftige Doppelgänger auf den ahnungslosen Sammler? Wer sich unsicher ist, trägt seinen Fund zur Pilzberatung im Botanischen Museum in Dahlem. Hier hilft Hansjörg Beyer gern weiter.
Die meisten Pilzesammler bringen von einem Ausflug in den Wald stets nur die Arten mit, die sie absolut eindeutig bestimmen können. Das sind die (sich per Fingerdruck auf das Schwammgewebe schnell blau färbende) Marone, der Steinpilz, der Birkenpilz oder vielleicht auch noch der Champignon oder der Pfifferling.
Viele der zahllosen Pilzarten, die im Wald, auf den Wiesen und sogar am Grünstreifen gleich neben der Straße wachsen, sind weder lecker noch besonders nahrhaft. Sie können sogar stark giftig sein. Wie etwa der Grüne Knollenblätterpilz, der leicht mit dem Champignon verwechselt wird – und erst Tage nach seinem Genuss die Leber irreversibel zerstört und so zum Tode führen kann.
Sobald Zweifel aufkommen, sollte deswegen ein Experte konsultiert werden. Hansjörg Beyer (54) ist ein solcher Pilzkenner. Seit vielen Jahren bietet er in Raum A25 im Botanischen Museum eine kostenlose Pilzberatung an. Die Termine lassen sich jederzeit unter der Web-Adresse www.bgbm.org/de/Pilzberatung nachschlagen.
Pilzberatungen werden vom Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin bereits seit 1890 angeboten. Seit 1935 ist dies die einzige Pilzauskunftsstelle im ganzen Land Berlin. Aus diesem Grund finden sich nicht nur Pilzsammler aus Steglitz-Zehlendorf vor Ort ein, sondern Berliner aus sämtlichen Bezirken.
Hansjörg Beyer: „Inzwischen gibt es Apps für das Smartphone, die einen Pilz fotografieren und dann vollautomatisch die Art bestimmen. Diesen Apps sollte man nicht bedingungslos vertrauen. Denn mitunter war ein abgeschnittener Pilz nicht vollständig und es fehlte eine zur genauen Bestimmung dringend nachzuweisende Knolle. Da würde ein versierter Pilzexperte notfalls vom Verzehr abraten, falls eine Bestimmung nicht eindeutig möglich ist.“
Mitunter lohnt sich eine Bestimmung aber auch deswegen, weil es neben den bekannten essbaren Speisepilzen auch noch viele andere gibt, die kaum bekannt sind.
Am 1. Oktober ist Barbara Burgard (76) die erste Besucherin der Pilzberatung. Sie hat einige ungewöhnliche Röhrlinge mitgebracht, die alle einen Schwamm anstelle von Lamellen aufweisen. Schwammpilze wie Maronen oder Steinpilze sind beste Speisepilze. Aber wie sieht das bei ihrem Fund aus? Ihre Röhrenpilze zeigen einen sehr dunklen rostroten Schwamm. Sollte das etwa der Satans-Röhrling sein, der tatsächlich giftig ist?
Hansjörg Beyer: „Nein, der Satans-Röhrling hat einen fast weißen Hut. Hier liegt der Trügerische Hexenröhrling vor. Er kommt oft in der Nähe von Eichen vor. Deswegen frage ich bei der Bestimmung immer gern, welche Bäume am Fundort zu sehen waren, da viele Pilze in direkter Symbiose mit den Bäumen leben. Der Trügerische Hexenröhrling ist roh giftig, er muss gut durchgebraten werden. Dann wird er in der Regel gut vertragen. Aufpassen muss man auch beim an sich schmackhaften Butterröhrling, der nicht von allen Menschen vertragen wird und zu Vergiftungserscheinungen führen kann. Seine Huthaut sollte man immer abziehen – und lieber nicht so viele Butterröhrlinge essen. Ohne Wenn und Aber ist der Birkenpilz ein toller Speisepilz. Hier sollte man nur keine zu alten, überständigen Pilze einsammeln. Die Pilzeiweiße zerfallen sehr schnell – und das kann mit einer Magenverstimmung enden.“
Wie wichtig die Arbeit des Pilzexperten ist, zeigt sich anhand eines kleinen Bruchstücks. Was eigentlich die abgebrochene Kappe von einem Birkenpilz sein soll, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als sehr giftiger Pantherpilz. Dieser harmlos aussehende „Beifang“ hätte das leckere Essen sicherlich verdorben. Hansjörg Beyer: „Der Pantherpilz ist stark giftig. Man berichtet von schweren Rauschzuständen mit Tobsuchtsanfällen und einem sich anschließenden todesähnlichen Schlaf. Aus dem man manchmal ohne jede Erinnerung erwacht. Doch es gab auch schon Todesfälle durch den Pantherpilz.“
Der Pilzexperte warnt auch vor dem Karbol-Champignon, einem von drei ungenießbaren bzw. leicht giftigen Champignons in der Berliner Region: „Der wächst zurzeit wie Unkraut“. Er riecht allerdings deutlich nach Krankenhaus – und verfärbt sich vor allem am Stiel “gelb wie ein Postauto“, wenn man ihn anschneidet oder an ihm reibt.
Auch der Kahle Krempling ist ein Thema: „Das ist der Großelternpilz, den haben früher viele Menschen gegessen. Er ist gut gekocht zwar strenggenommen nicht mehr giftig (roh durchaus), aber er kann schwere allergische Reaktionen auslösen, die mitunter tödlich enden. Mit jeder Kremplings-Mahlzeit wird im menschlichen Organismus ein Abwehrstoff gegen ein Eiweiß des Pilzes weiter angereichert, bis es zum Kollaps kommen kann.“ Aus diesem Grund gilt der Krempling nicht mehr länger als Speisepilz. Da sich bei der Bewertung der Speisepilze immer wieder einmal etwas ändert, lohnt es sich, stets ein aktuelles Pilzbuch zu verwenden – und nicht den alten Wälzer aus Großvaters Bibliothek.
Ise Tullier (30) aus Steglitz wollte im Wald Maronenröhrlinge suchen – die sie auch reichlich eingesammelt hat. Zum Pilzexperten bringt sie aber auch eine Handvoll „Pilze mit, die ich einfach nur spannend fand“.
Der Experte schaut sich alles genau an und greift dabei auch gern auf die Expertise von seinem Beratungsvorgänger Ewald Gerhardt zurück, der gerade kurz vorbeischaut, um die neueste Auflage seines „Großen BLV Pilzführers“ vorbeizubringen.
So geben die beiden Experten den namenslosen Pilzen rasch wohlklingende Namen. Der Stark blauende Filzröhrling wird dabei ebenso enttarnt wie der Sandröhrling, der Wollige Milchling, der Rote Lacktrichterling oder der Gefleckte Rübling.
Auch der Bruchreizker ist dabei. Hansjörg Beyer: „Der riecht ganz stark nach Maggi. 1949 gab es einmal eine Massenvergiftung in Leipzig. Das ist leider ein Giftpilz, der sehr mild schmeckt. Getrocknet darf er aber in kleinen Mengen als Gewürz verwendet werden.“
Was passiert eigentlich, wenn ein Pilzberater inmitten der präsentierten Pilze wirklich giftige Exemplare findet? Werden die eingezogen? Um den Besucher zu schützen?
Hansjörg Beyer: „Nein, eine Pilzberatung hat keine Vormundfunktion. Wir helfen bei der Einschätzung, aber nicht bei der Entscheidung, was mit den Pilzen passieren soll. Die Pilze gehören ja auch nicht mir, ich darf sie gar nicht einziehen.“
Aber Ratschläge darf der Experte gern geben. Hansjörg Beyer: „Ein Besucher hatte wunderschöne, junge und madenfreie Speisepilze mitgebracht, die er aber auf der begrünten Mittelinsel einer stark befahrenen Straße gefunden hat. Da kann ich nur davon abraten, diese Pilze in der Küche zu verwenden. Pilze nehmen sehr schnell Umweltgifte und Schwermetalle aus dem Boden auf und lagern sie im Gewebe ein. Pilze, die direkt an der Straße wachsen, sind demnach manchmal sehr stark belastet. Hier sollte man sie besser nicht sammeln und essen.“
Hansjörg Beyer stammt übrigens selbst aus Zehlendorf, wohnt aber inzwischen im Westend. Seit 2010 arbeitet er in der Pilzberatung: „Mit Pilzen beschäftige ich mich, seitdem ich sieben Jahre alt bin. Ich war übrigens schon mit acht Jahren hier selbst zu Besuch in der Pilzberatung. Natürlich sammle und esse ich auch selbst gern Pilze. Zu meinen Lieblingspilzen zählen unter anderem Morcheln, der Blaugrüne Reif-Täubling und der Rotbraune Milchling.“ (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 91 (10/2021).
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