Exotisches Insekt: Die Gottesanbeterin ist inzwischen auch im Süden von Berlin zu finden!
Der Klimawandel sorgt dafür, dass immer mehr wärmeliebende Tier- und Pflanzenarten nach Deutschland einwandern – und sich hier zunehmend ausbreiten. Mit besonderem Interesse schauen die „Mantidenfreunde Berlin-Brandenburg“ auf die Verbreitung der fingerlangen Gottesanbeterin, die inzwischen auch im Süden Berlins gesichtet wird. Immer mehr Funde werden den Naturfreunden gemeldet.
In Deutschland haben wir das Grüne Heupferd, den Warzenbeißer und – unter der Erde – auch noch die Maulwurfsgrille. Das sind drei von der Größe her schon recht imposante Insekten aus dem artverwandten Spektrum der Heuschrecken und Grillen.
Nun drängt mit der Europäischen Gottesanbeterin ein Insekt aus den wärmeren Ländern nach Deutschland, das noch einmal ein ganzes Stück größer, deutlich imposanter und auch faszinierender ist. Die Fangschrecke nutzt nämlich das vordere Beinpaar als blitzschnell zupackende Zange, mit der sich kleinere Insekten aller Art wie in einer Zwinge festhalten und dann genüsslich auffressen lassen. In der Ruhestellung sehen diese Fanginstrumente aus wie „betende Hände“ – so ist der Name der Gottesanbeterin entstanden.
Viele Urlauber kennen die Gottesanbeterinnen vor allem aus den tropischen Ländern. Dort sind sie in allen Formen und Farben präsent. In Deutschland taucht nun mit der Europäischen Gottesanbeterin (Mantis religiosa) eine grün oder hellbraun gefärbte Art auf, bei denen das Weibchen bis zu acht Zentimeter lang werden kann – und deswegen sehr auffällig ist, wenn sie sich einmal im eigenen Garten zeigt oder an der Hausfassade sitzt.
Das „Insekt des Jahres 2017“ stammt ursprünglich aus Afrika, ist die einzige Art der Fangschrecken in ganz Mitteleuropa und kann in Berlin und Brandenburg bereits in Einzelfunden seit 20 Jahren nachgewiesen werden.
Manfred Keller (69) von den „Mantidenfreunden Berlin-Brandenburg“ wohnt in Lichtenrade. Seine Gruppierung hat es sich – in enger Zusammenarbeit mit dem Naturkundemuseum Potsdam – zur Aufgabe gemacht, alle Sichtungen der Gottesanbeterin zu dokumentieren und wissenschaftlich auszuwerten: „Die älteste Population wurde in Deutschland am Kaiserstuhl und rund um Freiburg beobachtet. Neuere genetische Analysen zeigen, dass diese Tiere aus Frankreich eingewandert sind. Entlang des Rheins breitet sich diese Population immer mehr aus. Die Tiere, die wir in Berlin und im Speckgürtel gefunden haben, stammen genetisch gesehen aber aus Südosteuropa, etwa aus Tschechien und Ungarn. Wir bemerken also zwei Einwanderungsströme aus unterschiedlichen Gebieten. In der Mitte Deutschlands und im Norden ist die Gottesanbeterin so gut wie nicht präsent.“
In Berlin gab es in diesem Jahr neun Funde, im südlichen Umland bis jetzt 31 Tiere. Aktuelle und gern auch ältere Funde sollten den Mantidenfreunden bitte mit Foto, dem genauen Standort und dem Datum gemeldet werden – und zwar hier: www.naturkundemuseum-potsdam.de/gottesanbeterin-gesucht.
Manfred Keller: „Die Gottesanbeterinnen leben nur einen Sommer. Jetzt im Oktober kann man die ausgewachsenen und damit beflügelten Tiere noch in der Natur antreffen. Die deutlich agileren Männchen können dabei sogar in der Balkonbepflanzung im dritten Stock auftauchen. Die Weibchen sind aufgrund der Eierbildung sehr schwer und standorttreu. Sie locken die Männchen über Pheromon-Duftstoffe an. Es ist kein Mythos, dass die Gottesanbeterin eine Männer-mordende Femme fatale ist. Es passiert nicht selten, dass die Weibchen den Männchen noch während der Paarung den Kopf abfressen. Sie gewinnen so wertvolle Nährstoffe für die Entwicklung ihrer Eier.“
Die Eier werden in sogenannten Ootheken abgelegt. Ein natürlicher „Bauschaum“ härtet dabei zu Ei-Containern aus, die auch hohe Minusgrade im Winter überstehen können. Im Frühjahr schlüpft dann die nächste Generation.
Die Gottesanbeterin mag hohe, krautige Wiesen, die ungestört bleiben, und wo es vor Futter-Grashüpfern nur so wimmelt. Weder eine Mahd noch eine Beweidung durch Schafe mögen sie. Manfred Keller: „In Lichtenrade hält sich eine Population bereits seit einigen Jahren auf einer Streuobstwiese. Weitere Funde wurden uns aus Dahlem, Stahnsdorf und Teltow gemeldet. Der spannendste Fund wurde uns im August 2014 aus Nikolassee mitgeteilt. Dort konnte ein Naturfreund eine weibliche Gottesanbeterin 47 Tage lang im eigenen Garten beobachten.“
Der in Leipzig aufgewachsene Manfred Keller hat schon als Kind Eidechsen, Frösche und Kröten beobachtet und sich nach seinem Medizintechnikstudium in seiner Freizeit auf Fledermäuse spezialisiert. Zu den Gottesanbeterinnen kam er erst 2003, als er die digitale Fotografie für sich entdeckte: „Manfred Berg hat mich als profunder Kenner der Europäischen Gottesanbeterin mit in den Berliner Süden genommen und mir dort eins der ersten Vorkommen gezeigt.“
Dass Gottesanbeterinnen immer häufiger gesichtet werden, liegt natürlich auch daran, dass Funde dank der stets verfügbaren Smartphone-Kameras und der sozialen Netzwerke wie Facebook oder Instagram sofort viele andere Menschen erreichen. Manfred Keller: „Die Tiere verbreiten sich aber auch zunehmend. Das ist dem wärmeren Klima geschuldet, aber auch einer Veränderung in der Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen. Der größte Feind der Gottesanbeterin ist die Sukzession. Dazu kommt es, wenn Wiesen mit der Zeit immer mehr mit Büschen und Bäumen zuwachsen.“
Man kann davon ausgehen, das die Gottesanbeterinnen auch durch das Auto und den Bahnverkehr verschleppt werden können – und sich so neue Habitate erschließen. Manfred Keller: „Uns wurden Funde der Gottesanbeterin in Falkensee, in Paulinenaue und in Neustadt an der Dosse gemeldet. Das liegt genau an der Bahnlinie von Berlin nach Hamburg. Wir gehen davon aus, dass die Gottesanbeterin in den nächsten Jahren Hamburg erreichen wird.“
Die Natur kann sich aber auch selbst einen Strich durch die Rechnung machen. In Roddhahn bei Neustadt an der Dosse hat ein Storch die saftigen Leckereien mit sechs Beinen für sich entdeckt – und so gezielt einen Großteil der neuen Population der Gottesanbeterinnen gleich wieder von den Pflanzen gepflückt. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 91 (10/2021).
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