Mit Derk Ehlert unterwegs: Vogelexkursion im Museumsdorf Düppel!
Es nieselte, es war kalt, alles war nass und grau. Trotzdem fanden sich am 1. April knapp zwei Dutzend naturinteressierte Gäste im Museumsdorf Düppel ein, um auf Derk Ehlert zu warten. Der Wildtierreferent des Landes Berlin lud zu einem vogelkundlichen Spaziergang ein. Und auch wenn kaum ein Vogel zu sehen war – zu hören waren die Tiere bestens.
Berlin ist eine Großstadt mit sehr vielen alten Häusern und Industriebauten, aber auch mit unendlich viel Wasser und sehr großen Grün- und Waldflächen. Da ist es kein Wunder, dass sich viele Wildtiere bestens mit der Großstadt arrangiert und hier eine dauerhafte Heimat gefunden haben.
Ganz egal, ob es um Fledermäuse, Waschbären, Wildschweine, Enten oder Kormorane geht: Derk Ehlert (56) kennt sich bestens aus. Er ist studierter Landschaftsplaner und in der Senatsumweltverwaltung im Bereich Naturschutz und Landschaftsplanung tätig – und zwar als Wildtierreferent des Landes Berlin. Um noch mehr Verständnis für unsere städtischen Wildtiere zu wecken, hält er immer wieder gern gut besuchte Vorträge oder lädt zu geführten Exkursionen ein.
Dass Begeisterung ansteckend sein kann, zeigte sich auch am 1. April bei einem vogelkundlichen Spaziergang im Museumsdorf Düppel. Während über zwanzig Besucher in Regensachen frierend im tröpfelnden Schmuddelwetter standen, freute sich der Wildtierexperte: „Wir haben zurzeit mehr Niederschlag als üblich. Aber das ist gut so, wir haben mehrere sehr trockene Jahre hinter uns und befinden uns im Defizit. Die obersten Bodenschichten haben nun wieder etwas Feuchtigkeit aufnehmen können. Aber viele Bäume wurzeln in den tiefen Schichten und da ist noch immer kein Wasser angekommen, da herrscht noch immer Dürre. Es müsste mehrere Monate lang 30 Prozent über dem Durchschnitt weiter regnen, um das wieder auszugleichen.“
Im Museumsdorf Düppel gibt es die verschiedensten Biotope, die nahtlos ineinander übergehen. Das sorgt für eine große Artenvielfalt. Und tatsächlich war bereits am 1. April die Luft erfüllt vom Gezwitscher der verschiedenen Vogelarten. Derk Ehlert lauschte in alle Richtungen und identifizierte ohne Probleme die Amsel, den Zaunkönig, den Zilpzalp, die Krähe, die Taube und die Kohlmeise. Passend dazu zeigte er Fotos in einem Bestimmungsbuch und hatte stets eine spannende Geschichte parat.
Und auch drumherum gab es viel zu erfahren. So erzählte Derk Ehlert: „Der große Vogelzug geht jetzt wieder los. Viele Singvögel, die nur den Sommer über bei uns leben, reisen aus dem Bosporus und aus der Region um Gibraltar wieder zu uns in den Norden. Sie haben auf Winde aus dem Süden gewartet, die sie mit Rückenwind zu uns tragen. Der Steinschmetzer, der Weidenlaubsänger, die Singdrossel und die ersten Rauchschwalben kommen zu uns zurück. Aber: Was wollen sie bei uns im Norden, wenn es im Süden doch viel wärmer ist? Der Grund ist die Tageslänge. Bei uns ist es länger hell. Wenn die Vögel ihre Jungen aufziehen, finden sie einfach länger Futter und können länger füttern. So wachsen die Jungen schneller heran als im Süden.“
Manche Vögel ziehen sogar noch weiter. Derk Ehlert: „Zurzeit wimmelt es in der Stadt nur so vor Rotdrosseln. Das sind echte Touristen, die aus Frankreich kommen, aber ganz weit oben im Norden brüten. Sie machen Pause in Berlin und plündern gerade die letzten Efeu- und Vogelbeeren. Auch die Mistelbeeren finden die sehr lecker. Berlin ist wie eine Tankstelle für diese Vögel. Von uns aus geht es weiter in die Tundra und bis hinauf nach Island.“
Viele neue Geschichten gibt es zu hören. Etwa, dass Kohlmeisen beim Singen durchaus Dialekte entwickeln. Dass die Amsel vor 150 Jahren noch ein sehr scheuer Waldvogel war, der sich nicht in die Stadt getraut hat. Dass die Vögel in der Stadt zwei Stunden früher mit dem Singen beginnen, weil es hier wärmer ist. Und dass sie lauter und höher singen, um gegen den Stadtlärm anzukommen. Dass so mancher Zugvogel inzwischen auch den Winter über in Berlin bleibt, weil es hier immer etwas zu fressen gibt. Dass Vögel sich kein Fett anfressen können und mitunter pro Tag ein Drittel ihres Gewichts zu sich nehmen müssen. Dass ein Zaunkönig bis zu 90 Dezibel laut sein kann. Und dass der Spruch „Sich freuen wie ein Schneekönig“ auf den Zaunkönig zurückgeht, der eben auch als Schneekönig bekannt ist.
Und dann plötzlich war der Wildtierexperte ganz aufgeregt. Er suchte den Himmel ab und erklärte zugleich: „Irgendein Predator ist gerade in der Luft, vielleicht ein Sperber. Dann ändert sich sofort die gesamte Tonlage der Singvögel. Sie warnen die anderen Vögel mit lauten und sehr hohen Rufen, die sich nicht orten lassen. Das funktioniert über alle Arten hinweg. Wenn man ein Ohr für diese Alarmrufe hat, bekommt man es in der Natur sofort mit, dass gerade etwas passiert ist.“
Zwischen den einzelnen Beobachtungen vor Ort im Museumsdorf Düppel war immer auch wieder Zeit für eine Geschichte, die ganz Berlin betrifft. Derk Ehlert: „Möwen kennt man sonst eigentlich nur vom Meer. Aber ganz egal, ob es um Silbermöwen, Heringsmöwen oder Steppenmöwen geht – seit zehn Jahren brüten sie verstärkt in Berlin. Hier finden sie längst bessere Lebensbedingungen vor als an der Küste.“
Probleme gibt es für die Möwen nur beim Brüten. Sie lieben ungestörte, kleine Inseln ohne Bäume, die erhöht sind und kleine Kiesel aufweisen. Und wo findet sich eine solche Umgebung? Auf den Dächern der Hochhäuser.
Derk Ehlert: „Die größte Möwenkolonie gibt es auf dem Dach vom Kaufhaus am Alexanderplatz. Da liegen auch die Kiesel in der richtigen Größe, die von den Möwen benötigt werden. Wir räumen diese Dächer immer wieder auf und können aus den Überresten schließen, dass die Möwen ihre Jungen nicht nur mit Fisch füttern, sondern zunehmend auch immer mehr mit – Ratten.“
Eine andere Geschichte betrifft den Kuckuck. Der Vogel frisst fast nur Raupen und macht auch vor dem Eichenprozessionsspinner nicht Halt. Derk Ehlert: „Die frisch geschlüpften Kuckucksjungen vertragen aber keine Raupen. So lässt der Kuckuck kleine Singvögel für ihre Brut sorgen und diese mit Mücken und kleinen Insekten aufziehen. Der Kuckuck ist aber ein Verlierer des Klimawandels. Die Singvögel fangen immer früher mit dem Brüten an. Wenn der Kuckuck aus Afrika recht spät im Frühjahr wieder nach Berlin einfliegt, weil erst dann vor Ort wieder Raupen zu finden sind, ist die Brutsaison der Singvögel fast schon wieder vorbei.“
Am Ende machte der Wildtierexperte darauf aufmerksam, dass viele Vögel gleich zwei Mal im Frühjahr brüten: „Die erste Brut kann durchaus scheitern, weil die Eier geraubt, die Küken gefressen oder der Wind ein Nest vom Baum geworfen hat.“
Nach gut anderthalb Stunden war der Rundgang durch das Museumsdorf Düppel auch schon wieder vorbei. Und die Teilnehmer haben wieder vieles über einheimische Vögel gelernt, was so nicht in den Büchern steht. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 109 (4/2023).
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