Der Supercomputer: Einer der schnellsten Hochleistungsrechner steht in Dahlem!
Der typische Computer, der heutzutage in jedem Büro und jedem Privathaushalt steht, hat bereits deutlich mehr Rechenpower als der Computer, der damals die erste bemannte Raumfahrtrakete zum Mond geschickt hat. Nur wird die Rechenpower heutzutage vor allem genutzt, um Excel-Tabellen auszufüllen, bunte Spiele zu daddeln oder um Selfie-Fotos vor der Veröffentlichung in den sozialen Netzwerken aufzuhübschen.
In der Forschung stehen derweil längst Rechenaufgaben an, die einen modernen Computer schnell an seine Grenze bringen. Um Molekülstrukturen für die Arzneientwicklung oder um Meeresströmungsmodelle für die Klimaforschung zu kalkulieren, braucht es schon ein wenig mehr an digitaler Leistung. Man denke da nur einmal an die mögliche Berechnung des zukünftigen Kontinentaldrifts auf der Erde oder an eine Kalkulation der Planetenbewegung im Sonnensystem im Bezug zur Galaxis und zur Milchstraße.
Im Keller des Konrad-Zuse-Zentrums für Informationstechnik Berlin (ZIB) in Dahlem steht aus diesem Grund ein echter Hochleistungscomputer, ein Supercomputer. Der Hochleistungsrechner „HLRN-IV“ des Norddeutschen Verbunds zur Förderung des Hoch- und Höchstleistungsrechnens (HLRN) ist an die 15 Meter lang und erinnert mehr an eine blinkende Science-Fiction-Schrankwand denn an einen klassischen Computer.
Dr. Matthias Läuter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZIB, das zwar in Dahlem auf dem Campus-Gelände der Mathematiker und Informatiker zu finden ist, rein formal aber nicht zur Freien Universität gehört, sondern eine separate Forschungseinrichtung des Landes Berlin ist: „Unser Hochleistungsrechner HLRN-IV hat von uns den Namen ‚Lise‘ bekommen – nach der bekannten Forscherin Lise Meitner. Es gibt von unserer ‚Lise‘ noch ein Gegenstück in Göttingen, das ist die ‚Emmy‘ – nach der deutschen Mathematikerin Emmy Noether. Beide Systeme haben zusammen 30 Millionen Euro gekostet. Sie sind auf eine Lebensdauer von fünf Jahren ausgerichtet.“
Der Vorgänger von „Lise“ hieß übrigens „Konrad“ – nach dem Deutschen Konrad Zuse, der 1941 in Berlin-Kreuzberg den weltweit ersten funktionsfähigen und programmierbaren Computer erfunden hat. HLRN-Rechner gibt es in Berlin bereits seit 2002. „Lise“ bringt es auf 16 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde (Petaflops). Der Supercomputer ist damit sechsmal schneller als sein Vorgänger HLRN-III. In der Top-500-Liste der weltweit schnellsten Computer rangiert „Lise“ zurzeit auf Platz 40. Finanziert wurde „Lise“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Hochschulen dieser Bundesländer und aus ganz Deutschland dürfen Rechenzeit für das „High Performance Computing“ (HPC) beantragen.
Dr. Matthias Läuter: „Auf dem HLRN-IV Hochleistungsrechner mit seinen 200.000 Intel-Kernen läuft ein eigenes Linux-System, das angepasst und mit vielen Treibern erweitert wurde. Möchten Forschungseinrichtungen mit dem HLRN-IV arbeiten, so muss zwingend auch die entsprechende Linux-kompatible Software auf das System übertragen werden.“
Das ist ein erstes Problem, wenn es darum geht, das rechengewaltige System zu nutzen. Klassische Software lässt sich nämlich nicht verwenden, weil es keine Lizenzen für Supercomputer gibt. Und nicht in jeder Forschungsrichtung gibt es bereits entsprechende Spezial-Linux-Software für den Lise-Giganten. Dr. Matthias Läuter: „Die Forscher machen sich in ihren Netzwerken gegenseitig auf eventuell passende Software aufmerksam. Ansonsten werden die benötigten Programme eben selbst geschrieben. Häufig für diesen Zweck eingesetzte Programmiersprachen sind Fortran, C, C++ und Python. Auf dem Supercomputer ist übrigens bereits ein Pool an geeigneter Software für die wissenschaftliche Forschung vorhanden. So halten wir etwa Software für das Thema Chemie und für das Ingenieurswesen vor.“
Und noch ein Problem ist zu umschiffen, bevor der Supercomputer im Auftrag einer Forschungsabteilung Berechnungen durchführt: Die aufgewendete Rechnerzeit muss zuvor beantragt und auch bewilligt werden. Und das geht auf keinen Fall von heute auf morgen.
Dr. Matthias Läuter: „Es gibt eine Zulassungskommission für Projektanträge, den wissenschaftlichen Ausschuss. Vier Mal im Jahr tagt diese Kommission, um die von den Forschern eingereichten Anträge zu sichten und zu bewerten. Wir rechnen bei der Bewilligung in sogenannten Rechenkern-Stunden. Die Forscher erhalten ein Zeitkonto, über das sie verfügen können. Sie können ihr zugeteiltes Kontingent frei verwenden. So können sie etwa einmal ganz kurz auf den gesamten Supercomputer zugreifen oder über einen langen Zeitraum nur einen kleinen Teil der Rechenkerne verwenden. Letzteres lohnt sich etwa immer dann, wenn komplexe Modelle regelmäßig mit frischen Werten aktualisiert werden sollen.“
Kann so ein Supercomputer eigentlich auch kaputt gehen? Natürlich. Dr. Matthias Läuter: „Schäden lassen sich leicht reparieren. Das funktioniert wie in einem Rechenzentrum. Wir können einzelne Bausteine aus dem HLRN-IV entfernen und durch neue ersetzen. Eine defekte CPU wird entfernt, eine neue wieder eingesetzt – fertig. Das ist einer der Vorteile, wenn man mit Standardmodulen arbeitet. Der Unterschied etwa zu einem klassischen Cloud-Service ist bei uns übrigens, dass nicht nur die Rechner-Bauteile sehr schnell sind, sondern auch das Netzwerk, in das sie eingebunden sind.“
Der HLRN-IV wurde im Dezember noch einmal ausgebaut. Dr. Matthias Läuter: „Zurzeit prüfen wir das System. In diesem Zeitraum dürfen die Forscherteams die Rechenzeit kostenfrei nutzen. Ich gehe davon aus, dass der Abrechnungsmodus im Februar wieder eingeschaltet wird.“
Der Supercomputer läuft zurzeit unter Volllast, es gibt aber keine langen Wartezeiten beim Zugriff auf die verfügbare Rechenzeit. Dr. Matthias Läuter: „Der neue HLRN-IV ist ja deutlich schneller als der Vorgänger. So kann der Supercomputer die anstehenden Rechenaufgaben deutlich schneller erledigen als der Vorgänger. Erfahrungsgemäß steigt die Unzufriedenheit der Nutzer zum Ende der Laufzeit hin, weil die Berechnungen immer komplexer werden und das System dann schon nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik ist. Das ist auch der Grund dafür, warum selbst ein Supercomputer alle fünf Jahre erneuert werden muss: Er veraltet genau wie die normalen Computer im Büro oder Zuhause.“
Auch im Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin haben die Verantwortlichen Angst vor Hackern, die das System von außen infiltrieren, um die immense Rechenleistung dann für sich arbeiten zu lassen. Dr. Matthias Läuter: „Um Bitcoins zu berechnen, Passwörter zu hacken oder um Internet-Server anzugreifen, verwenden die Hacker aber längst Spezial-Hardware, die viel besser geeignet ist als unser Supercomputer.“
Wer wissen möchte, an welch spannenden Projekten die deutschen Wissenschaftler zurzeit arbeiten, blättert im daumendicken Katalog der „Forschung im HLRN-Verbund“, in dem die Themenvorstellungen der Forschungsgruppen veröffentlicht werden. Hier geht es um die Phasenstabilität in Nickelbasis-Superlegierungen, um die molekulardynamischen Untersuchungen krankheitsrelevanter Mutationen in Proteinen, um die regionalen Meeresspiegelschwankungen in den Nebenmeeren Südostasiens, um mittelfristige Klimaprognosen oder um die Simulation von Längswirbeln im Hochauftrieb von Verkehrsflugzeugen.
Wer das Schulfach Physik nicht vor der Zeit abgewählt hat, kann sich auch mit der fermionischen Quanten-Monte-Carlo-Simulation entarteter Elektronen beschäftigen oder sich der nahfeldgetriebenen Attosekunden-Elektronendynamik in dielektrischen Nanoteilchen zuwenden.
Mit der Hilfe des Supercomputers arbeiten Forscher aber auch an ganz elementaren Fragen der Wissenschaft: Wie gleiten Proteine an unserer DNA entlang, um sie abzulesen? Wie ändern sich atlantische Zirkulationssysteme im Klimawandel? Wie entsteht Schall an nabenlosen Propellern? Und lassen sich CO2-Emmissionen abfangen und umweltverträglich im Meer speichern? Fragen, auf die dank „Lise“ vielleicht bald eine Antwort gefunden wird. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 70 (1/2020).
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