Beim Pollenexperten der FU Berlin: Wir schauen uns die Pollenfalle an!
Haselnuss, Erle, Birke: Das Jahr hätte für alle Allergiker nicht schlechter beginnen können. Die Pollen fliegen schon früh im Jahr – und sie fliegen in Massen. Die winzigen Flugobjekte, die von den Pflanzen zur Luftbestäubung freigegeben werden, sorgen bei vielen Menschen in Rachen, Nase, Augen und Lunge für eine heftige allergische Reaktion.
Schniefende Nasen, tränende Augen, trockener Husten, juckende Schleimhäute: Die meisten Allergiker sind froh, wenn „ihre“ Pollenzeit vorbei ist und sie endlich all die vielen Medikamente absetzen können, die ihnen kurzfristig dabei helfen, die eigene „Rotzbirne“ wieder in einen halbwegs normal funktionierenden Schädel zu verwandeln.
Aber die schlimme Pollenzeit, wenn auch noch die Gräser ihre Pollen ausstoßen, kommt ja erst noch. Da ist es an der Zeit, mit einem Experten zu sprechen. Der Diplom-Meteorologe Thomas Dümmel (65) arbeitet im Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin. Die Mitarbeiter residieren in einem mehrere Stockwerte hohen Wasserturm aus roten Backsteinen in der Steglitzer Schmidt-Ott-Straße – gleich hinter dem Botanischen Garten. Im Wasserturm sind die Mitarbeiter u.a. mit der Klimastatistik, der Wettervorhersage und der Wettervisualisierung beschäftigt. Ein Nebenschauplatz: Der aktuelle Pollenflug wird akribisch genau gemessen – und dies gleich mehrmals in der Woche.
Thomas Dümmel: „Wir betreiben auf einem Flachdach direkt neben unserem Wasserturm eine Pollen-Messstation – und das bereits seit 35 Jahren. Ursprünglich wurde die Pollenfalle vom Kinderarzt und Allergologen Dr. med. Silbermann, Paul Schlaak vom Meteorologischen Institut der FU Berlin und weiteren Personen gegründet. Eine zweite Station betreiben wir in Adlershof, da sind besonders viele Ambrosia-Pollen präsent. Die Daten werden in der Pollen-Saison an drei Tagen in der Woche erhoben und auf der Seite www.met.fu-berlin.de/de/wetter/service/pollenflugkalender/pollen.pdf veröffentlicht. Wir sind deutschlandweit die einzige Messstation, die ihre Messdaten auch öffentlich macht. Alle anderen Pollendienste im Web verbreiten nur Vorhersagen anhand von Modellen und Berechnungen. Die tatsächlichen Messwerte bekommt niemand zu Gesicht.“
Die Messstation – eine standardisierte Burkard-Pollenfalle, die europaweit zum Einsatz kommt – ist erstaunlich klein. Sie besteht aus einer kleinen Trommel, die innen mit einem Klebestreifen versehen ist. Ein Motor saugt Luft an und pustet sie in die Trommel. Wobei ein Windsegel dafür sorgt, dass die Ansaugöffnung immer genau „im Wind“ liegt. Alle Pollen, die in der Luft umherschwirren, bleiben auf dem Klebestreifen haften – und können nun unter dem Mikroskop ausgezählt werden.
Dafür ist seit drei Jahren Lisa-Marie Schulze (31) verantwortlich. Die studentische Mitarbeiterin kennt ihre Pollen – und kann so Erle, Birke oder Gräser auf einen Blick erkennen: „Ich mache das seit 2016. Am Anfang wurde ich richtig geschult, inzwischen habe ich natürlich den Blick für die einzelnen Pollen. Wir zählen nicht alle Pollen aus, sondern berücksichtigen nur die, die für die Allergiker auch tatsächlich relevant sind. Das sind vor allem die Pollen der windbestäubenden Pflanzen und Bäume. Die Pollen der Pflanzen, die von Insekten bestäubt werden, sind übrigens viel größer. Sie fallen wie etwa bei der Kastanie direkt vom Baum auf die Erde und werden nicht vom Wind davongetragen. Der markanteste Pollen stammt übrigens von der eingewanderten Ambrosia-Pflanze. Er erscheint unter dem Mikroskop wie ein Morgenstern aus der Ritterzeit. Der Pollen sieht genau so aus, wie er ist – sehr aggressiv.“
In diesem Jahr schneuzen sich die Allergiker so intensiv wie schon lange nicht mehr. Sie husten und reiben sich die Augen. Sind 2019 mehr Pollen als sonst in der Luft? Pollenexperte Thomas Dümmel: „Dieses Jahr ist es schon extrem. Die Erle bringt es normalerweise auf bis zu 500 Pollen pro Kubikmeter Luft am Tag. In diesem Jahr haben wir Werte erreicht, die sonst nur für die Birke typisch sind, die deutlich mehr Pollen ausstößt. Da reden wir von 4.000 bis 5.000 Pollen pro Kubikmeter Luft, die in diesem Jahr auch von der Erle ausgestoßen wurden. Diese hohen Zahlen habe ich bei der Erle persönlich noch nie gesehen. Auch die Birke ist in diesem Jahr extrem. Sie läutet ja die Pollensaison mehr oder weniger ein, sobald Temperaturen von 15 Grad oder mehr gemessen werden. In diesem Jahr haben die Birken wahrscheinlich nicht mehr Pollen als sonst produziert. Aber: Das Maximum von 5.000 Pollen pro Kubikmeter Luft wurde eben nicht nur an einzelnen Tagen erreicht, sondern hielt sich über ca. zwei Wochen. Schuld daran war das extrem trockene und warme Wetter im April. Ansonsten wäscht der Regen die Pollen ja schnell aus der Luft, das war in diesem Jahr nicht der Fall. Hinzu kam ein ständiger starker Wind aus dem Osten, der die Pollen immer wieder vom Boden in die Luft hochwirbelte. Immerhin: Fasst man die Kätzchen der Birke nun an, so sind sie leer, sie haben ihr Pulver verschossen. Der Nordostwind bringt aber als Ferntransport Pollen aus den östlichen Ländereien mit. Da ist es kälter und die Birke blüht später. So verlängert der Wind den Pollenflug der Birke in Berlin zusätzlich.“
Lisa-Marie Schulze: „Wir zählen ja auch die Summe aller Pollen über die gesamte Saison. Es zeichnet sich ab, dass wir in diesem Jahr die zweitstärkste Pollenkonzentration messen werden, die wir jemals hatten. Nur im Jahr 2006 war der Pollenflug der Birke stärker.“
Früher hat übrigens die Pharmaindustrie das Institut für Meteorologie finanziell unterstützt, um die Pollendaten für ihre eigenen Forschungen verwenden zu dürfen. Diese Finanzierung findet leider nicht mehr statt. Thomas Dümmel wünscht sich eine neue Vorgehensweise: „Alle Institutionen, die in Deutschland Pollenfallen betreiben, machen dies ohne ausreichende oder ganz ohne öffentliche Finanzierung. Daher gibt es auch nicht in allen Bundesländern Pollenfallen. Momentan gibt es aussichtsreiche Bemühungen, dass der Bund den flächendeckenden Betrieb von Pollenfallen in Deutschland als Vorsorgeleistung für Allergiker dauerhaft finanziert. Die Entwicklung geht übrigens langsam hin zu sehr komplexen und teuren Automaten, die durch Bildanalyse und Mustererkennung die Zählung am Mikroskop ersetzen sollen. Auch wenn wir eventuell in einigen Jahren ein vollautomatisches Pollenmessnetz sehen werden, wird es ohne den Menschen nicht gehen, denn die Automaten müssen trainiert und verifiziert werden – und neue Pollen z.B. von eingewanderten Pflanzen kann der Automat auch nicht erkennen.“
Auf eine Tatsache weist der Meteorologe am Ende noch hin: „Pollen sind im städtischen Bereich oft aggressiver als im ländlichen, weil sich Schadstoffe aus dem Verkehr an den Pollen anbinden und auf diese Weise in den menschlichen Körper gelangen.“ (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel wurde in „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 62 (5/2019) veröffentlicht.
Seitenabrufe seit 27.05.2019:
Sie haben eine Artikelidee oder würden gern eine Anzeige buchen? Melden Sie sich unter 03322-5008-0 oder schreiben eine Mail an info@zehlendorfaktuell.de.
Anzeige