Im lauten Gedenken: Gedenkfeier am Tag der Befreiung!

Vom 23. Juni 1942 bis zum 21. April 1945 gab es in der Wismarer Straße das KZ-Außenlager Berlin-Lichterfelde. Es gehörte – wie weitere 80 Außenlager – zum Konzentrationslager Sachsenhausen. Im Lager waren etwa 1.500 Häftlinge aus 18 Nationen interniert, darunter Menschen aus Polen, Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen oder der Tschechoslowakei.
Die Häftlinge mussten nach den Luftangriffen Trümmer wegräumen, in den SS-Dienststellen arbeiten oder in kriegswichtigen Privatfirmen schuften. Das Lager wurde 1945 von der SS aufgelöst. Die Insassen hat man anschließend auf einen Todesmarsch getrieben.
Was damals geschah, soll nicht vergessen werden. Die Initiative KZ-Außenlager Lichterfelde e.V. (IKZ, www.ikz-lichterfelde.de) setzt sich dafür ein, die Erinnerung wachzuhalten und lädt deswegen jährlich am 8. Mai – dem „Tag der Befreiung“ – zu einer Gedenkfeier an der „Säule der Gefangenen“ direkt an der Wismarer Straße ein. Etwa einhundert Menschen wohnten auch in diesem Jahr der Gedenkfeier bei. Als Sprecherinnen nutzten Petra Pau (Vizepräsidentin des Bundestages) und Marion Gardei (Beauftragte für Erinnerungskultur der EKBO – Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg – schlesische Oberlausitz) die Gelegenheit, das Wort zu ergreifen.
Thomas Schleissing-Niggemann von der IKZ (siehe Foto): „Leider ist von den überlebenden Häftlingen des KZ-Außenlagers Berlin-Lichterfelde niemand mehr reisefähig. So können wir die Zeitzeugen von damals leider nicht mehr mit der Jugend zusammenbringen.“
Zwei der alten Insassen hatten aber Briefe geschickt, deren eindringliche Worte bei der Gedenkfeier mit verlesen wurden. So wurden die Zeitzeugen doch noch gehört.
Viele Menschen haben sich am 8. Mai in der Wismarer Straße zusammengefunden, um eine Gedenkfeier für die 1.500 Häftlinge abzuhalten, die von 1942 bis 1945 im KZ-Außenlager Lichterfelde e.V. interniert waren, um für das Nazi-Regime in die Zwangsarbeit gedrängt zu werden.
Zur Gedenkfeier fanden sich Nachbarn, interessierte Berliner, Politiker, Vertreter der Initiative KZ-Außenlager Lichterfelde e.V. sowie Schüler der Fichtenberg-, Beethoven- und Louise-Schröder-Schule ein. Die Schüler aus dem Musik-Leistungskurs des Beethoven-Gymnasiums sorgten für den musikalischen Teil der Veranstaltung.
Besonders beeindruckend: Zwei Briefe ehemaliger Häftlinge wurden auf der Gedenkfeier laut verlesen. Einer von ihnen stammt von Frantisek Gil alias Häftling 78839. Er schrieb:
„Sehr geehrte Gäste. Der heutige Tag, an dem Sie sich treffen, ist ein besonderer Tag. Es ist der Tag der Befreiung, der den europäischen Völkern vor 74 Jahren Freiheit, Frieden und Hoffnung brachte. Als der 2. Weltkrieg ausbrach, war ich 14 Jahre alt. Die Wehrmacht kam am 1. September 1939 in unser Dorf. Mir war damals nicht klar, was uns erwartete. Nach dem Attentat auf Heydrich wurden mein Vater am 4. Oktober 1942 und meine Mutter zwei Tage später verhaftet. Die tschechischen Schulen wurden geschlossen. Ich war damals Student der Handelsakademie in Ostrava und wir mussten alle arbeiten gehen. Ich begann bei der Tschechischen Bahn als Zugbegleiter zu arbeiten. Am 20. Januar 1943 musste ich zur Zwangsarbeit nach Deutschland – nach Stargard in Pommern.
Am 17. März 1943 zu Beginn meiner Schicht kam mich die Gestapo holen. Ich wurde zum Verhör nach Teschen transportiert. Es war schrecklich für mich, ich war damals 17 Jahre alt. Bei der Gestapo hatten sie mir gesagt, dass meine Mutter nicht mehr lebt. Nach dem Krieg erfuhr ich, dass sie in Auschwitz Birkenau ermordet wurde. Nach dem Verhör hatte ich erfahren, dass meine ganze Familie – Großväter, Großmütter, Onkel, Tanten, Vettern und Cousinen – verhaftet worden war. Meiner jüngeren Schwester gelang bei der Verhaftung die Flucht.
Aus dem Polizeigefängnis in Myslowitz wurden wir alle ins KZ Ravensbrück transportiert und am 9. Mai 1944 ins KZ Sachsenhausen. Noch an diesem Tage kam ich in das Außenlager Lichterfelde, wo ich bis zum 20. April 1945 blieb.
An diesem Tag, beim Appell, hatte uns der Lagerkommandant mitgeteilt, dass derjenige, der für das Dritte Reich kämpfen möchte, vortreten sollte. Es traten so zehn Häftlinge vor. Der Rest kam auf Transport nach Sachsenhausen, von wo wir am 21. April 1945 auf den Todesmarsch gingen. Wir wurden in der Nähe von Schwerin befreit. Am 12. Juni 1945 kam ich nach Hause, leider starb auch bald darauf meine Schwester Marie, die ein Mädchen von sechs Jahren und einen Jungen von vier Jahren hinterließ.
Heute ehren wir im Gedenken die Häftlinge von 18 Nationalitäten, die in diesem Lager Lichterfelde gequält und brutal ermordet wurden. Nach so vielen Jahren werden wir heute leider noch immer mit verschiedenen Äußerungen von Rassismus, Antisemetismus und Nationalismus konfrontiert. Heute steht vor uns, wie noch nie, der Aufruf, die historische Wahrheit zu schützen und sich gegen die Verachtung der Menschlichkeit zu stellen.
Unsere Verpflichtung ist es, gegen jegliche Ideologie der Überheblichkeit eines Volkes, eines Lebensstils oder einer Religion aufzutreten.
Die Jugend sollte wissen, was damals passiert ist. Die Erziehung weiterer Generationen im Geiste des Friedens und der Demokratie und der Toleranz sind die Säulen, auf die sich der glückliche Morgen stützt.“
Während der mehrstündigen Gedenkfeier, auf der mehrere Ansprachen zu hören waren und auch Kränze niedergelegt wurden, sperrte die Polizei die Wismarer Straße weiträumig ab. Auch, um dafür Sorge zu tragen, dass das Motorengeräusch der ansonsten vorbeirauschenden Autos nicht die Wortbeiträge überdeckt. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel wurde in „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 62 (5/2019) veröffentlicht.
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