4. Kiezspaziergang Steglitz-Zehlendorf: Amerikaner in Berlin

Steglitz-Zehlendorf ist ein Bezirk mit einer spannenden Vergangenheit und mit Ecken, die ganz bestimmt noch nicht jeder kennt. Eine richtig gute Idee ist diese: Seit diesem Jahr lädt Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski interessierte Bürger zu kostenlosen Kiezspaziergängen ein. Diese fanden bereits vier Mal statt und lockten stets mehr als 40 Personen vom gemütlichen Sofa, um im Freien gemeinsam der Historie des Bezirks nachzuspüren.
Beim vierten und letzten Kiezspaziergang für dieses Jahr trafen sich die Spaziergänger am 20. Oktober vor dem U-Bahnhof „Oskar-Helene-Heim“, um sich dem Thema „Amerikaner im Berliner Südwesten“ zu widmen. Die Bezirksbürgermeisterin hatte sich ausgiebig auf das Thema vorbereitet. Ihr stand unterstützend Klaus-Peter Laschinsky vom Heimatverein Zehlendorf zur Seite. Er konnte an vielen Haltestellen während des Kiezspaziergangs unterhaltsame Anekdoten erzählen und wichtige Fakten zu geschichtlichen Ereignissen vortragen.
Die Wissensvermittlung begann bereits am U-Bahnhof, der seinen Namen analog zum ehemals direkt benachbarten Krankenhaus trägt. Klaus-Peter Laschinsky: „Die Eheleute Oskar und Helene Pietsch haben hier nach dem 1. Weltkrieg eine orthopädische Spezialklinik ins Leben gerufen, die der Freien Universität Berlin angegliedert war und die Hilfsmittel für die Versorgung von Amputierten entwickelte. Nach dem ersten Weltkrieg gab es viele entsprechende Kriegsverletzungen, die versorgt werden mussten. Inzwischen gibt es das Krankenhaus nicht mehr.“
Diese Fakten hatten aber noch nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun – den Amerikanern. Die Amerikaner kamen am 1. Juli 1945 nach Zehlendorf und lösten hier die russische Besatzung ab. 800 Soldaten wurden zunächst vor Ort stationiert. Hinzu kamen etwa 300 Panzer, die oft genug über die heutige Clayallee bretterten. Zu Hochzeiten lebten bis zu 6.000 US-Soldaten in Berlin. Hinzu kamen noch einmal etwa 3.500 Familienangehörige vor allem der Offiziere – und viele Zivilangestellte. So muss man mit etwa 10.000 Amerikanern im damaligen amerikanischen Sektor rechnen. Die Amerikaner richteten im ehemaligen deutschen Luftbaukommando an der jetzigen Clayallee ihre Zentrale in Berlin ein – und behielten sie bis 1990.
Von 1947 bis 49 war General Lucius D. Clay der Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone in Deutschland. Als die sowjetische Besatzungsmacht West-Berlin vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949 abriegelte, ordnete Clay die Einrichtung einer Luftbrücke an – die „Rosinenbomber“ versorgten West-Berlin nicht nur mit Lebensmitteln, sondern übrigens auch mit Steinkohle.
Klaus-Peter Laschinsky: „Aus dem ehemaligen Kronprinzenweg hat man damals dem General zu Ehren die heutige Clayallee gemacht. Es gibt nur ganz wenige Fälle in Deutschland, bei denen man Straßen nach noch lebenden Personen benennt. Hier war dies damals der Fall. Der riesige Militärkomplex an der Clayallee wurde nach dem Abzug der Alliierten übrigens größtenteils einer zivilen Nutzung zugeführt. Hier entstehen jetzt Wohnungen. Die Amerikaner führen an der Clayallee aber immer noch eine Außenstelle ihrer Botschaft. Wer ein Visum für die Reise in die USA benötigt, bekommt es hier.“
Weit müssen die Personen, die sich zur letzten Kieztour des Jahres angemeldet hatten, im Oktober übrigens nicht gehen. In Sichtweite zum U-Bahnhof wird schon das erste Mal Halt gemacht. Cerstin Richter-Kotowski: „Hier, wo jetzt die moderne Truman Plaza zu finden ist, war früher der Eingang zum Deutsch-Amerikanischen Volksfest auf der grünen Wiese. Viele Zehlendorfer, die hier aufgewachsen sind, haben noch intensive Erinnerungen an das Fest. Es gab viele Diskussionen, wie man das freigewordene Gelände anschließend bebaut. Was inzwischen entstanden ist, passt sich gut in die Umgebung ein. Es war übrigens die erste Investition vor Ort nach dem Abzug der Alliierten.“
Das erste Deutsch-Amerikanische Volksfest gab es 1961 vor Ort. Eine Besonderheit war, dass in jedem Jahr ein anderer US-Bundesstaat dafür verantwortlich war, eine passende Kulisse aus dem Boden zu stampfen, in der ortstypische Spezialitäten und ein Bühnenprogramm angeboten wurden. Klaus-Peter Laschinsky: „Die Überlegung war damals: Wie kann man die Berliner aufheitern? Das Volksfest wurde zusammen mit dem Berliner Schaustellerverband entwickelt. Es war von Anfang an ein Riesenerfolg.“
Auf dem amerikanischen Gelände gab es damals eine große Bibliothek, das Outpost-Kino, aber auch einen richtigen US-Supermarkt, in dem die Kunden mit Dollar-Scheinen bezahlen konnten. Das war das „PX“, wie der „Post Exchange“ Markt abgekürzt wurde.
Klaus-Peter Laschinsky: „Die amerikanischen Waren wurden steuer- und zollfrei verkauft – und damit ganz besonders günstig. Nur bei Tabak und Spirituosen hat man darauf geachtet, dass man nicht preiswerter war als in den deutschen Läden. Für die Berliner war das Klein-Amerika.“
Wo wohnten die Amerikaner eigentlich? 1945 wurden in Dahlem ganze Villen beschlagnahmt – für die oberen Dienstgrade. Ab den 50er Jahren gab es einen eigenen Wohnungsbau vor Ort. Die Besonderheit bei den mehrstöckigen Wohnblöcken der „Berlin Brigade homing area“ war, dass die fertig möblierten Wohnungen mit über 100 Quadratmetern sehr groß waren. Vor allem die Unteroffiziere wohnten hier – mietfrei. Klaus-Peter Laschinsky: „Das war Wohnen wie im Paradies. Die Unteroffiziere mussten keinen Strom und keine Heizung bezahlen, nur das Telefon. War etwas kaputt, kam ein Reparaturtrupp. Und zwei Mal im Jahr schauten Hilfskräfte vorbei, um Teppiche, Gardinen und Sofas zu reinigen. Aus den ehemals 1.000 Wohnungen sind jetzt normale Miet- und Eigentumswohnungen geworden.“
Der Abzug der Amerikaner fand übrigens 1994 statt. Es kam zu einer großen Parade die Schloßstraße hinunter. 200.000 Menschen sollen die Straße gesäumt und den Amerikanern „Auf Wiedersehen“ gesagt haben. Viele Amerikaner erinnern sich noch gern an den Slogan „Friends will be friends.“
Tanita Lestingi von der Wirtschaftsförderung organisiert die Kiezspaziergänge: „Die Kiezspaziergänge möchten wir 2019 weiterführen. Wir arbeiten bereits an einer Themenliste, nehmen Vorschläge aber auch gern per E-Mail unter der Adresse wirtschaftsfoerderung@steglitz-zehlendorf.de entgegen.“ (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel wurde in „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 56 (11/2018) veröffentlicht.
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