Nikolassee: Bei den Pfadfindern vom Stamm Kimbern!
Ja, es gibt sie noch, die Pfadfinder, die gemeinsam auf große Fahrt gehen, die in aus Bahnen zusammengeknüpperten Zelten schlafen, die schwierige Knoten lernen und die gern am knisternden Lagerfeuer sitzen und alte Lieder singen.
In Nikolassee ist der Stamm Kimbern (www.stamm-kimbern.com) aktiv. Er trifft sich im „Château“, einem kleinen Häuschen, das eigentlich zum Mittelhof gehört, den Pfadfindern aber exklusiv zur Verfügung steht.
Der Stamm Kimbern gehört zum Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder, abgekürzt BdP. In Berlin gibt es zurzeit neun Stämme und zwei Aufbaugruppen, sodass die Pfadfinder im Stadtbild durchaus noch präsent sind. In Nikolassee kümmern sich Janco, Fiona, Jan, Leo und Marlene um die Betreuung des Stammes, um die Finanzen, um die einzelnen Aktionen und um die Organisation der Fahrten. Sie alle sind gerade erst 18 oder 19 Jahre alt und übernehmen trotzdem die volle Verantwortung. Janco Willer: „Unser Stamm wird nach dem Prinzip ‚Jugend leitet Jugend‘ geführt. Wer älter wird, merkt irgendwann, dass es an der Zeit ist, den Stamm loszulassen und einem Jüngeren die Verantwortung zu überlassen. Wobei weiterhin gilt: Einmal ein Pfadfinder, immer ein Pfadfinder.“
Kinder können bereits ab sechs Jahren bei den Pfadfindern mitmischen. Sie landen in der „Meute“. Ab 12 Jahren werden die Mädchen und Jungen bei den Pfadfindern in „Sippen“ organisiert. Fiona Book: „In diesem Alter haben Jungs und Mädchen komplett unterschiedliche Interessen. Da macht es einfach Sinn, die Sippen nach Geschlechtern zu trennen.“
Sind die Teenager 16 Jahre oder älter, gehören sie nun zu den „Rovern“ – und übernehmen zunehmend organisatorische Aufgaben, um so dem Stamm auch etwas zurückzugeben.
Wer bei den Pfadfindern ist, darf sich zunächst einmal einen tollen Namen geben. Beim Stamm Kimbern aus Nikolassee tragen die einzelnen Gruppen so klingende Namen wie die „Steinböcke der Dordogne“, die „Zwergwiesel von Charente“, die „Luchse von Saléon“ oder die „Schakale von Nanterre“.
Im eigenen Château herrscht die pure Selbstbestimmung, hier schauen keine Erwachsenen nach dem Rechten. Im Flur stapeln sich die Schuhe, überall liegt etwas herum. Aber: Im gemütlichen Chaos gibt es doch eine geheime Ordnung. In der Küche sind alle Teller abgewaschen, in jedem Raum hängt eine Mahnung zu mehr Sauberkeit an der Wand – und am schwarzen Brett gibt ein akribischer Plan vor, welche Gruppe an welchen Tagen für das Sauberhalten der einzelnen Räume – inklusive Küche und Klo – eingeteilt ist.
So viel Eigenverantwortlichkeit kennen viele Knirpse von Zuhause gar nicht, wo sich die Eltern weiterhin um alles kümmern und den Nachwuchs mit den Hausarbeiten in Ruhe lassen. Learning by doing – diese Devise ist den Pfadfindern ganz besonders wichtig. Und sie gilt eben auch bei so elementaren Dingen wie dem Sauberhalten der eigenen Gruppenräume.
Marlene Zimmermann: „Elektronische Geräte sind bei uns verpönt. Wir wollen zusammen etwas unternehmen. Deswegen möchten wir verhindern, dass die Kinder auch bei uns weiterhin einsam vor dem Smartphone sitzen. Selbst auf unseren Fahrten, die oft bis zu drei Wochen lang dauern, bleiben die Smartphones und Tablets zuhause. Nur als Gruppenleiterin habe ich ein Handy mit dabei, das ich aber nur ganz selten anmache, um Abstand vom Nachrichtenkonsum und der ‚Meldepflicht‘ zu bekommen und stattdessen den Augenblick zu genießen.“
Beim Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder gehört die traditionelle Pfadfinderkluft fest mit dazu. Dazu zählen Klufthemden, Jujas, Koschis und natürlich auch die traditionellen „Affen“ – die Rucksäcke der Pfadfinder.
Was unternehmen die Pfadfinder eigentlich, wenn sie sich regelmäßig im Château treffen?
Fiona Book: „Die Kinder der Meute toben zusammen im Freien, wandern im Wald, spielen Spiele, singen zusammen oder erkunden die Umgebung. Sie lernen dabei auch bestimmte Werte kennen und begreifen besser, wie man miteinander umgehen kann und wie man aufeinander Rücksicht nimmt. Und trotzdem kann man auch ganz Kind sein und kindische Spiele spielen. Letztens erst haben wir mit einer Gruppe Gipsmasken von unseren Gesichtern angefertigt.“
Marlene Zimmermann: „Die älteren Pfadfinder ab 12 Jahren wandern sehr viel. Hier setzen wir auch gern spannende Bauprojekte um, machen zusammen ein Lagerfeuer, setzen das Fahrtenmesser für verschiedene Zwecke ein und lernen, wie man aus den Zeltbahnen eine Kröte, eine Jurte oder einen Vikinger aufbaut. Auch Erste Hilfe, das Morsen, die Stammeskunde, das Wissen um die Natur, die verschiedenen Pfadfindergrüße und die Materialpflege stehen auf dem Plan.“
Die älteren Pfadfinder begeben sich auch einmal im Jahr auf große Fahrt und bereisen drei Wochen lang andere Länder, etwa Frankreich oder Tschechien. Unterwegs gibt es keine Eltern, die sich um die Kleinen kümmern: Alles muss aus eigener Kraft funktionieren, auch die Orientierung mit der Karte, das Waschen der Kleidung, das Aufbauen der Zelte, das Essen kochen und das Abspülen.
Fiona Book: „Auf einer solchen Großfahrt, die immer sagenhafte Abenteuer und Eindrücke mit sich bringt, lernt man ganz stark die Segnungen der Zivilisation zu schätzen. Nachts das Licht per Schalter einschalten oder mit Salz kochen – das vermisst man irgendwann doch sehr.“
Marlene Zimmermann: „Erstaunlich ist auf Fahrt immer wieder die Reaktion der Menschen, denen wir begegnen. Oft werden wir herzlich willkommen geheißen und können dann etwa in der Scheune eines Bauern übernachten. An anderer Stelle werden wir dafür mit dem Hitlergruß gegrüßt, weil die Leute denken, wir gehören einer rechten Organisation an. Wovon wir natürlich Lichtjahre entfernt sind.“
Auf eine Sache ist der Stamm Kimbern ganz besonders stolz – auf die eigene Sangeskunst. Die Liederbücher des Stammes sind fast dicker als ein Telefonbuch. Sie enthalten zahllose Lieder in vielen Sprachen, die seit Generationen von den Pfadfindern am Lagerfeuer gesungen werden. Leo Genähr: „Zu uns Berlinern gehören die ordentlichsten Singstämme. Das ist ein tragendes Element bei uns, wir halten das Singen für sehr wichtig. Auf Burg Rabenstein haben wir beim Singewettstreit der Stämme schon oft den 1. Platz geholt.“
Wer lange genug bei den Pfadfindern mit dabei ist, darf sich mit verschiedenen Auszeichnungen schmücken. Das beginnt mit dem gelben Wölflings-Halstuch und reicht über das Jungpfadfinder-Abzeichen bis hin zur Pfadfinderkordel für das Handgelenk.
Janco Willer: „Bei uns gibt es aber keinen Drill, keinen Druck und kein Konkurrenzdenken. Hier ist man ganz sich selbst und wird dafür auch geschätzt. Oft entwickeln die Kinder bei den Pfadfindern geheime Fähigkeiten, von denen sie selbst vorher noch nichts gewusst haben.“
Zum Stamm der Kimbern gehören zurzeit 93 aktive Pfadfinder und noch einige passive. Wer mit dabei sein möchte, zahlt deutlich unter hundert Euro Jahresbeitrag. Fahrten müssen natürlich extra bezahlt werden.
Marlene Zimmermann: „Was wir bei den Pfadfindern machen und wie sich das Pfadfinder-sein anfühlt, das lässt sich in Worten schwer vermitteln. Oft kommen neue Pfadfinder zu uns, weil sie schon jemanden kennen, der das Halstuch trägt. Wir freuen uns über jeden, der bei uns vorbeischaut.“ Die Wochentage und Uhrzeiten der Gruppentreffen sind auf der Homepage zu finden. (Text / Fotos: CS)
Info: BdP Stamm Kimbern, Château, Kaiserstuhlstraße 25, 14129 Berlin, www.stamm-kimbern.com
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