Kleinmachnow: Derk Ehlert – „Wildtiere in der Großstadt“
Wer in der Großstadt aufwächst, hat nur noch selten Kontakt mit den richtig „wilden“ Tieren aus dem Wald. Doch Wildschwein, Fuchs und Marder drängen längst in die urbanen Häuserschluchten. Das Zusammenspiel aus Mensch und Wildtier ist dabei nicht immer einfach. Und so lohnt es sich, das eigene Wissen rund um die ungezähmten Vierbeiner auf den neuesten Stand zu bringen.
Dabei hilft einer sehr gern – Derk Ehlert, studierter Landschaftsplaner und Wildtierreferent des Landes Berlin. Er arbeitet seit vielen Jahren in der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz – und kennt sich mit dem Thema „Wildtiere“ in der Großstadt“ bestens aus.
Am 31. Januar hatten knapp 200 Zuhörer die Gelegenheit dazu, einen Vortrag genau zu diesem Thema in den Neuen Kammerspielen Kleinmachnow zu hören. Es war ein äußerst spannender Vortrag über die „Big 5“ von Berlin, die fünf wildesten Wildtiere: Wildschwein, Fuchs, Marder, Waschbär und – Kaninchen. Ehlert: „Das sind die Arten, über die sich die Menschen am meisten aufregen.“
Die Betreiber der Neuen Kammerspiele Kleinmachnow kennen sich gerade mit dem Waschbären sehr gut aus. Sie hatten ein solches Tier als unfreiwilligen Bewohner der Zwischendecke, bis er durch eben diese Decke brach und im kleinen Saal landete. Man hat dann versucht, den Waschbären mit einer Lebendfalle zu fangen, was nicht gelang. Derk Ehlert: „In Berlin ist es nicht erlaubt, mit Fallen zu arbeiten. Hier dürfen Wildtiere wie ein Waschbär nur vergrämt werden. Am besten sorgt man dafür, dass diese Tiere erst gar nicht ins eigene Haus gelangen können.“
Dass so viele Tiere aus Brandenburg nach Berlin einwandern, ist laut Ehlert auch der Tatsache geschuldet, dass 40 Prozent der Stadtfläche aus reiner Natur bestehen. Ehlert: „Keine andere Stadt Europas hat so viel Grünfläche. Hier findet man 20.000 Tier- und Pflanzenarten, so viele wie in keiner anderen Metropole Deutschlands. Pro Jahr wandern fünf bis acht neue Arten nach Berlin ein. Meist sind das aber Insekten.“
In der Senatsverwaltung laufen täglich 20 bis 50 Anfragen besorgter Bürger zum Thema Wildtiere ein. Oft wissen die Stadtmenschen nicht, wie sie sich etwa angesichts eines Wildschweins verhalten sollen – und geraten in Panik. Ehlert: „Noch vor 30 Jahren waren die Wildschweine nur im Wald zu finden. Nun sind sie auch in unseren Gärten heimisch. Da ist es ja auch viel schöner, denn es gibt Blumenzwiebeln und Essensreste vom Kompost zu fressen.“
Übrigens wandern weiterhin Wildschweine aus Brandenburg nach Berlin ein. Da aber alle guten Reviere bereits belegt sind, müssen die „Ossis“ mit den verbleibenden Flächen vorlieb nehmen. Das sind dann meistens die Parks oder Grünflächen, in denen die neu Zugezogenen sofort sehr unangenehm auffallen.
Wildschweine zu füttern ist verboten, hier drohen bis zu 5000 Euro Strafe. Ehlert: „Ein Wildschwein bekommt man in vier Wochen handzahm, aber das ist dann genau das Wildschwein, das am Ende aus Sicherheitsgründen geschossen werden muss, weil es den Menschen nicht mehr aus dem Weg geht.“
Auch sonst vermittelte der Experte bei seinem Vortrag spannende Fakten:
– Die Biene als drittwichtigstes Nutztier der Welt wird zunehmend auch in der Großstadt gehalten, so etwa auch auf dem Reichtagsgebäude. Honig aus der Stadt sei sogar gesünder als Honig vom Land.
– Über tausend Waschbär-Familien wohnen zurzeit in Berlin.
– Hornissen waren lange Zeit in Berlin nicht sehr beliebt. Auch sie wandern verstärkt in die Stadt ein. Was gut ist, denn eine einzelne Hornisse kann bis zu 70 Wespen am Tag fangen und vertilgen. Es gibt inzwischen Wartelisten für Hornissenfreunde, die ein eigenes Nest haben möchten, das an anderer Stelle entfernt werden musste.
– Waldohreulen profitieren vom milden Winter mit vielen Mäusen. Der Nachwuchs sitzt frei auf dem Boden und wird hier von den Eltern gefüttert. Viele Spaziergänger nehmen die Vogelbabies aus falschem Mitgefühl mit und können sie nicht auf Dauer versorgen. Der Förster kann sich nicht um die Vogelkinder kümmern. Es gilt wie bei Rehkitzen – nicht mitnehmen.
– Der Biber war fast ausgestorben in Deutschland. Nun ist er wieder da, zunehmend auch in Berlin. Er ist längst wieder im Buschgraben, im Tiergarten und in Berlin-Mitte aktiv.
– Kaninchen haben sich bestens an die Großstadt angepasst – ihre Anzahl nimmt stetig zu. Der ganze Tiergarten ist voll von ihnen. Viele Kolonien leben auf den Mittelinseln der Straßen. Hier graben sie tiefe Höhlen und können so Wege und Straßen untergraben. Etwa 1000 Kaninchen im Jahr werden bejagt.
– In Berlin gibt es etwa 1500 Fuchsreviere. Hier passen sich die Tiere bestens an den Menschen an – und ernähren sich vor allem von Ratten. In Zehlendorf geht es den Füchsen besonders gut. Hier leben die Füchse bis zu 80 Prozent vom Katzenfutter, das die Menschen für ihre Haustiere auf die Terrasse stellen. Der gefährliche Fuchsbandwurm spielt in Berlin seit 20 Jahren keine Rolle mehr. Der Bandwurm wird über die Feldmaus übertragen – und die fressen die Füchse in der Stadt kaum.
– In Berlin wird sogar gewildert. Freizeitjäger schießen illegal im Wald auf Wildschweine und Rehe.
– Der Amerikanische Sumpfkrebs mit den roten Scheren ist nicht mehr allein in den Gewässern des Tiergartens zu finden. Er hat längst weitere Tümpel und Seen in Berlin erobert. Im Tiergarten hat man bereits 4.000 Krebse eingesammelt.
– Windanlagen stehen erst an Platz 4 der Gründe für das Vogelsterben in der Region. Auf Platz 1 stehen ganz normale Fenster, gegen die die Vögel fliegen und sich dabei das Genick brechen.
Am Ende äußerte Derk Ehlert noch einen Wunsch: „Jeden von uns kann es treffen. Bei einem Wildunfall, wenn einem ein Wildschwein oder ein Reh vors Auto läuft, sollte man nicht weiterfahren, sondern anhalten und die Polizei rufen. Die verständigen einen Jäger. 85 Prozent der Wildtiere sterben nicht auf der Straße, sondern schleppen sich ins Unterholz, wo sie qualvoll verenden. Ein Siebtel aller erlegten Wildschweine zeigt Blessuren von Autounfällen. Die Dunkelziffer nicht gemeldeter Unfälle ist groß.“ (Text/Foto: CS)
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