Scheibes Glosse: Lasst uns alle Birken fällen!
Meine erste „offene“ Autofahrt mit dem Cabrio fand in diesem Jahr im April statt. Sie führte mich bei über zwanzig Grad Außentemperatur und bei sonnigem Wetter von Potsdam nach Falkensee. Nach einer etwa halbstündigen Fahrt fiel mir ein, warum das Cabrio damals so ein immens eklatanter Fehlkauf gewesen war: Ich habe Heuschnupfen. Das erste Gewächs in deutschen Landen, das mich in den Ausnahmezustand treibt, ist die blühende Birke.
Die Pollen, die von diesem überflüssigen Baum milliardenfach ausgestoßen werden, legen sich auf meine Schleimhäute und lassen sie in Sekundenschnelle anschwellen.
Die Cabriofahrt endete demnach mit dem Kopf in einem Eimer Eiswasser, während es im Rachen juckte, als hätte ich mit Batteriesäure gegurgelt. Während es in der Nase kribbelte, als hätte ich eine Kolonie roter Waldameisen mit dem Strohhalm eingesaugt wie eine Linie Koks. Während es in den Augen schmerzte, als hätte ich sie weit geöffnet mitten in eine Sanddüne am Mittelmeer gesteckt.
Natürlich: Wenn man schon so blöd ist, sich als Allergiker im Cabrio den Pollen auszusetzen, dann muss man wenigstens die passenden Medikamente im Haus haben. Zum Glück habe ich eine ganze Kulturtasche voll mit Sprays, Pillen und Tropfen. Zu dumm, dass die meisten dieser Ingredenzien bereits im Jahr 2008 abgelaufen sind. Aber egal! Auch wenn sie ein klein wenig mehr auf den Schleimhäuten brennen als üblich – immer rein damit in die Augen und in die Nase. Zu dumm nur, dass das Asthma-Spray nun endgültig alle ist.
Vielleicht wäre es doch schlau, einmal wieder zum Arzt zu gehen, um es sich neu verschreiben zu lassen.
Die Kollegin im Büro bietet Homöopathie-Kügelchen an. Aber ich lehne ab. Das wäre in etwa so, als würde ich als Dompteur in einen Raubtierkäfig mit ausgehungerten Bestien steigen und hätte zur Abwehr nur einen eingebildeten Hocker in der Hand.
Mein Fehler war es ja schließlich nur, dass ich die müde machenden Anti-Heuschnupfen-Pillen nicht schon rechtzeitig in der Heuschnupfen-freien Zeit zu mir genommen habe. Das holte ich nach und schmiss mir nicht nur eine Pille ein, sondern über den Tag gleich mehrere. Mit dem Erfolg, dass ich sofort einschlief, egal, wo ich mich an diesem Tag auch nur hinsetzte.
Inzwischen kompensiere ich die bleiernde Müdigkeit mit Unmengen von Energy Drinks. Mit dem Erfolg, dass ich in der einen Minute herumrenne wie ein hyperaktives Duracell-Häschen auf Red Bull, um dann in der anderen Minute wie ein Toter zusammenzusinken, dem der Schnitter den Lebensfaden durchgetrennt hat.
Leider bleibt mir der Heuschnupfen nun eine ganze Weile erhalten. Nach den Birken (die ich am liebsten alle fällen und gegen Eichen, Buchen, Weihnachtsbäume oder betonierte Parkplätze ersetzen möchte) kommen bei mir ja auch noch die Gräser an die Reihe.
Also wird mir noch eine Weile der Rotz aus der Nase quellen, werden mir die geschwollenen Ohren jucken, werde ich röcheln wie Darth Vader und um die Augen aussehen wie ein Preisboxer, der jeden einzelnen Kampf seiner Karriere verloren hat.
Das Schlimmste ist: In dieser Phase, wenn alles juckt und kribbelt, vegetiert man nur noch vor sich hin. Man würde am liebsten in die Ewigen Jagdgründe wechseln, ist aber zum Weiterleben verdammt. Intellektuell ist man in dieser Phase absolut schon damit überfordert, stundenlang die nackte Wand im Wohnzimmer anzustarren.
Beziehungstechnisch kann ich in dieser Phase auch nichts mehr retten, wenn ich bei jeder Konversation nur stoisch antworte „Ist mir doch egal“ oder „Lass mich einfach in Frieden sterben“. Eigentlich möchte mit mir auch niemand mehr Essen gehen. Zu plötzlich kommen Nies- und Hustanfälle auf – und dann kann es am Tisch sehr unhygienisch werden. Immerhin: Meine Talente als Gesprächspartner keimen immer dann neu auf, wenn ich herausfinde, dass mein Gegenüber ebenfalls am Heuschnupfen leidet. Dann stelle ich schnell die alles entscheidende Gretchen-Frage: „Sag, wie hälst du es mit den Medikamenten? Sprich, welche Pillen helfen bei dir?“
Zum Glück ist ja bald wieder Winter. (CS, Foto: Tanja M. Marotzke)
<em>Dieser Artikel wurde in „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 61 (4/2019) veröffentlicht. </em>
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