Scheibes Glosse: Guck mal!
Seit meiner Zeit auf dem Gymnasium trage ich eine Brille auf der Nase, ohne sie bin ich leider blind wie ein Maulwurf. Natürlich ist es nicht immer angenehm, ein „Blindfisch“ zu sein und ein „Glotzofon“ auf der Nasenwurzel zu tragen. Allerdings: Ohne Sehhilfe schnellt bei mir ganz rapide der Fettnäpfchenfaktor in die Höhe.
Ach, man hat es schon nicht leicht, wenn man eine Brille trägt. Dann ist man eine „Brillenschlange“, ein „Vierauge“, ein „Dioptrienjunkie“ oder ein „Nasenradler“. Die Mädels werden auch schon einmal als „Lupenprinzessin“ verunglimpft, wenn sie ein „Nasenfahrrad“, eine „Intelligenzprothese“, eine „Gesichtsbrezel“, einen „Bildstabilisator“, eine „Gesichtsverglasung“, eine „Sehkrücke“ oder „Glasaugen“ tragen.
Über die Brille wurden sogar Lieder geschrieben. Heinz Rudolf Kunze ging mit dem Song „Brille“ an den Start, bei den Ärzten wurde es mit „Alle auf Brille“ schon deutlich fieser. Reinhard Horn sprach deswegen mit „Sybille mit der Brille“ Selbstvertrauen aufbauend die Kinder an, Detlev Jöcker machte es ihm mit „Ich trage eine Brille“ prophylaktisch nach.
Wirklich cool wird die Brille aber anscheinend erst dann, wenn sie als Sonnenbrille zum Einsatz kommt. Dann trällert Volker Rosin über den „Gorilla mit der Sonnenbrille“. International gelang Corey Hart mit „Sunglasses at night“ sogar ein Welthit.
Immerhin: Zwei Drittel aller Menschen in Deutschland tragen bereits eine Brille. Und es werden immer mehr.
Auch ich gehöre dazu. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich so in der 7. Klasse damit begonnen habe, in der letzten Reihe im Unterricht mit den Augen zu kneifen, weil ich die Schrift an der Tafel nicht mehr gut lesen konnte. Und es lag nicht an der Schrift des Lehrers.
Mein Aha-Erlebnis hatte ich in einer U-Bahnstation in Berlin. Ich betrat den Bahnsteig von der einen Seite und bemerkte ein hübsches Mädchen, das genau von der anderen Seite kam und mir freundlich zuwinkte. Etwa hundert Meter trennten uns. Und als ich näher kam, stellte ich fest, dass es doch nur ein furchtbar hässlicher Kumpel aus der Schule war. Danach bekam ich zügig meine erste Brille.
Die muss man natürlich auch möglichst immer dabei haben. Einmal bin ich mit der Mitfahrzentrale von Berlin nach Köln gefahren und wurde von einem sehr merkwürdigen Hippie mitgenommen, der sich auf der Fahrt zwei Joints und drei Bier reinzimmerte. Mein Angebot, dass doch auch ich fahren könnte, ich allerdings meine im Führerschein vorgeschriebene Brille nicht dabei hatte, lehnte er sofort ab: „Alter, Sicherheit geht immer vor. Das können wir leider nicht bringen.“
Eine meiner Brillen liegt inzwischen im Atlantischen Ozean. Ich war in Florida der irrigen Ansicht, dass die Brille so fest auf meiner Nase sitzt, dass sie problemlos einer sich brechenden Zwei-Meter-Welle standhält. Das war nicht der Fall.
In einem anderen Urlaub fiel mir meine Brille gleich am ersten Tag auf die Steine. So musste ich zwei Wochen lang durch ein Spinnennetz schauen. Daraus lernt man: Im Urlaub sollte man immer eine Ersatzbrille mit dabei haben. Ich nehme jetzt immer meine zuletzt ausrangierte „alte“ Brille mit.
Ein Problem bei mir ist, dass ich kein Glas sehen kann, wenn ich eine Brille trage. Ich bin schon einmal mit einem vollen Teller von der Salatbar frontal und direkt mit dem Teller voran gegen die Eingangstür eines Restaurants gelaufen, weil ich nicht gesehen habe, dass jemand die Glastür geschlossen hatte.
Wären Kontaktlinsen also besser als ein „Nasengestell“? Ich habe es versucht. Allein der Versuch, mir Linsen aufzusetzen, hat meine Augen so zum Tränen gebracht, dass Hochwasseralarm beim Optiker ausgerufen wurde. Mir operativ eine neue Linse einsetzen lassen? Niemals: Ein Freund sieht nach dem Eingriff temporär Lichter an Stellen blinken, wo es gar keine gibt.
Ich gehe lieber den nächsten Schritt in der lebenslangen Beziehung eines Menschen zu seiner Brille: Ich habe mir eine Gleitsichtbrille zugelegt. Nun muss ich unterwegs genau schauen, an welcher Stelle ich durch das Brillenglas schaue, um wahlweise im Nah- oder im Fernbereich scharf zu sehen. Dummerweise fehlt mir hier genau der Sichtbereich für die Entfernung, in der mein Monitor steht. Also brauche ich nun auch noch eine Desktop-Brille.
Leider bringe ich beide Brillen immer wieder durcheinander. Das sorgt für Probleme: Wenn ich mit der Desktop-Brille Auto fahre oder beim Badminton nur noch Löcher in die Luft schlage, komme ich echt in visuelle Schwierigkeiten.
Rettung naht in meinem Brillenfachgeschäft. Die Damen, die mich hier seit über zwanzig Jahren betreuen, lenken meine Sicht in eine ganz neue Richtung: Mit einer schönen Brille auf der Nase würde ich doch viel besser aussehen, seriöser, intellektueller, einfach wie ein echter Geschäftsmann.
Und schon bin ich der Meinung: So eine Brille auf der Nase kann doch auch unfassbar toll sein. So rein seriös und intellektuell betrachtet. (Carsten Scheibe)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 112 (7/2023).
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