Scheibes Glosse: Ode an meinen Kiosk
Meine Kindheit – sie ist bereits ein paar Jahrzehnte her – ist untrennbar mit den beiden Kiosken rund um den U-Bahnhof „Onkel-Toms-Hütte“ verbunden. Sie waren stets das zu Fuß erlaufene Ziel meiner Schritte, sobald das monatliche Taschengeld in meiner Jeans gelandet war. Als ich noch ganz klein war, da griff ich gern in die riesigen Plastiktöpfe am Kiosk, um UFO-Oblaten, Brausebonbons, Schaummäuse und Zuckermünzen herauszufischen. Für nur ein paar Groschen (den heutigen Cents) konnte man da leicht eine ganze Papiertüte füllen.
Das reichte locker aus, um den Kumpels auf dem Spielplatz noch ein paar Lakritzschnecken zuzustecken. Nie wieder war es so preiswert, sich als Kind ein paar Naschereien zusätzlich zu gönnen.
Dann kamen die ersten Leseversuche hinzu. Das Micky-Maus-Magazin war jede Woche gesetzt. Das hatte damals Comics satt zu bieten und noch keine billigen Spielzeuge als Beilage, die von den bunten Bildern ablenkten. Ich weiß noch genau, wie der Slogan lautete: „Freitag ist Freutag.“ Warum? Weil da die neue Micky Maus an den Kiosk kam. „YPS – das Magazin mit dem Gimmick“ erschien, wenn ich mich richtig erinnere, immer am Dienstag. Hier waren die Inhalte nie so richtig gut. Dafür aber das aufgeklebte Gimmick. Da gab es die legendären Urzeitkrebse, das Pusterohr, das um die Ecke schoss, Geheimtinte für den Agenten von morgen, Zaubertricks für die Hosentasche und tausend andere wirklich schräge und für Kinder sehr nützliche Spielsachen. Meistens musste man das Heft sogar zwei Mal kaufen. Weil beim Zusammenbauen der Gimmicks immer etwas schiefging und die Teile beim ersten Mal stets zerbrachen.
Später waren es dann die Heftromane. „Die Terranauten“, „Professor Zamorra – Der Meister des Übersinnlichen“, aber auch „Macabros“, „Perry Rhodan“ oder der „Gespensterkrimi“. Für damals „eine Mark noch etwas“ gab es Spannung pur für gut eine Stunde, dann waren die auf billigem Papier gedruckten Geschichten weggelesen. Heute wären die Eltern froh, wenn ihre Kinder etwas lesen würden, anstatt stundenlang am Display ihrer Smartphones zu kleben. Damals galten die Heftchen aber noch als Schundliteratur. So manche lautstarke Diskussion gab es da im Hause Scheibe mit den Eltern.
Ich nutzte dann erst recht die Gelegenheit, um von meinem Stammkiosk Ecke Onkel-Tom-Straße / Argentinische Allee zu dem Kiosk auf der anderen Seite der Ladenstraße am U-Bahnhof zu laufen. Dort gab es manchmal schon die Hefte „aus der Zukunft“. Dank Phasenvertrieb bekamen manche Bundesländer die Heftchen nämlich um Monate früher als andere. Und Bahnhofskioske wurden manchmal eh ganz anders beliefert. So konnte man schon einmal „schmulen“, was den Helden der gedruckten Serien denn wohl in den kommenden Monaten so passieren würde.
Ein Besuch bei dem „anderen“ Kiosk war übrigens immer auch lohnend, weil er die coolere Eistruhe hatte. Hier gab es den originalen „Braunen Bären“ und das echte „Dolomiti“, dafür ließ ich den „Nogger“ oder den „Ed von Schleck“ gern in der Truhe liegen.
Später ging es natürlich weiter mit der BRAWO. Als Teenager ändern sich die Interessen eben. Die Aufklärungsseiten wurden Woche für Woche wichtiger – und Doktor Sommer erklärte spannendere Fakten als jeder Lehrer in der Schule. Damals gab es ja noch kein Internet – und die BRAWO stellte die gesamte Aufklärung, die wir kriegen konnten. Außerdem gab es da ja noch den Starschnitt zum Zusammenkleben. Über unzählige Hefte hinweg sammelte man das dünne Papier, um die ausgeschnippselten Fetzen dann zusammenzukleben. Ich weiß gar nicht mehr, wer zuerst in Lebensgröße an meiner Zimmerwand klebte. Ich hoffe, es war jemand aus STAR WARS. Ich fürchte, es war Ingrid Steeger aus „Klimbim“.
Wechsel in die Gegenwart: Seit Jahrzehnten war ich nun an keinem Kiosk mehr. Zeitschriften beziehe ich im Abo. Oder ich lese sie digital auf dem iPad. Aber jedes Mal, wenn ich am U-Bahnhof „Onkel-Toms-Hütte“ vorbeifahre und meinen alten Kiosk sehe, dann denke ich gern daran zurück, wie er mein Leben über so viele Jahre mit beeinflusst hat. Und sinniere darüber nach, ob der Kiosk für die Kinder von heute noch immer eine so große Rolle spielt. (CS, Foto: Tanja M. Marotzke)
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