Scheibes Glosse: Rollendes Tagebuch

Mein Auto ist in die Jahre gekommen, langsam muss ein neues her. Ich fahre meine Kisten ja immer, bis sie auseinanderfallen. Aber so langsam schluckt meine alte Kiste Öl, als hätte man Charles Bukowski eine volle Whisky-Flasche anvertraut. Meine Freunde nerven mich mit ihren Kauftipps. Sie halten mir Fotos von tollen Autos unter die Nase und sagen, ich soll mir den neuen XP7Q kaufen.
Wie ich ihn denn finden würde? Ja, weiß ist er. Und hat vier Räder. Ich kann doch ein Audi TT Cabrio nicht von einem VW Sharan unterscheiden. Automarken haben mich noch nie interessiert, da bin ich völlig unmännlich.
Die Kumpels zeigen mir immer neue Kauftipps und raten zu den Modellen von Rennzwo, Wollwo, Lessla oder Märzedes. Aber ich habe keine Ahnung von Autorennen, vom Stricken oder von den Jahreszeiten. Lasst mich damit zufrieden.
Ein echter Vorteil bei mir ist: Ich kann sehr ordentlich sein. Extrem ordentlich. Etwa, wenn ich etwas sammle wie z.B. alte Malko-Taschenbücher, 2-Euro-Sonderprägungen oder Muscheln aus den vergangenen Urlauben. Da kann ich sehr penibel sein. Drumherum vergesse ich die Ordnung aber gern einmal komplett.
Und so fühlt sich der Kofferraum meines aktuellen Autos an wie eine rollende Müllhalde. Ich nenne diesen Stauraum aber lieber mein mobiles Tagebuch. Vor einem Verkauf des Autos muss das alles ausgeräumt werden.
Schicht für Schicht geht es in die Tiefe. Obendrauf liegen zerfetzte Pappkisten von meinen Magazinen, die ich im Auto transportiert habe. Auseinandergefallene Plastiktransportkisten vom Einkauf. Halb leere Wasserflaschen vom wöchentlichen Badminton. Alte Einkaufsbons, die bis in das letzte Jahrzehnt zurückzuverfolgen sind. Die alte Winterjacke, die ich nach dem Ende des Sommers so dringend gesucht habe. Fünf verschiedene Scheibenkratzer, da ich immer wieder neue kaufe, weil ich die alten nicht mehr finde.
Ich entdecke auch einen Golfschläger, obwohl ich schon lange nicht mehr golfen war. Einen zerbrochenen Karbonpfeil, obwohl ich es dieses Jahr nur einmal zum Bogenschießen gebracht habe.
Der Sohn, in dessen Zimmer drei Viertel unseres Geschirrs verloren gegangen ist, geht kopschüttelnd am Kofferraum vorbei: „Echt, Papa, das kann doch nicht dein Ernst sein.“
Was? Ich rolle einfach die Mülltonne neben das Auto und in drei Sekunden ist alles aufgeräumt. Die Kiste mit den „geretteten“ Dingen inklusive der Winterjacke wird nachher ins Haus getragen – und bleibt dann hier bestimmt in einer Ecke ein paar Wochen lang unberührt stehen.
Alle Münzen, die ich im Fußraum des Autos finde, landen in einer leeren Kaugummidose. Das reicht bestimmt, um drei Mal das Parkhaus zu bezahlen, wenn ich mir mal wieder einen neuen Kinofilm anschaue. Aber auch für die Einkaufswagen am Supermarkt sind die Münzen bestens geeignet. Ich wundere mich, dass keine Mark- und Groschenmünzen mehr unter den Sitzen liegen. Anscheinend ist das Auto doch noch nicht ganz so alt.
Meine alten Autos habe ich immer finanziert, jetzt denke ich über ein Leasing nach. Die Tochter winkt ab: „Bloß nicht. Du verschrottest dein Auto über die Jahre. Das wird teuer, wenn es um den Restwert geht.“
Hey, die Tankklappe ist doch noch dran. Und auch sonst fehlen nur ein paar komische Abdeckungen im Chassis, die niemand braucht. Man muss einem Auto doch auch ansehen, dass es gefahren wird.
Das neue Auto soll – vielleicht – ein Elektromobil werden. Schluss mit Tanken, ab an die Steckdose soll das rollende Mobil. Eine entsprechende Wallbox könnte man direkt am Haus neben dem Carport installieren.
Die Frau des Hauses ist entsetzt: „Ich rate schwer davon ab. Du würdest immer wieder vergessen, das Auto zu laden. Dann bleibst du mit leerem Stromtank im Nirgendwo liegen, also irgendwo im tiefsten Wald. Als damals deine Tankanzeige kaputt war und du überall mit dem Auto liegengeblieben bist, konnte ich dir ja noch einen Benzinkanister vorbeifahren. Aber beim Elektroauto, was bringt man da? Eine Kabeltrommel mit sehr viel Kabel? Eine Handvoll AAA-Batterien? Ein Windrad mit Stromanschluss? Lass das mal schön bleiben.“
Ach, was weiß denn die Familie schon! Ich denke, wenn ich ein neues Auto habe, dann bin ich da ab sofort immer ganz akurat und ordentlich. Hoffentlich. (Carsten Scheibe / Foto: Tanja Marotzke)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 80 (11/2020).
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