Scheibes Glosse: Corona-Einkaufen
Das Einkaufen im Supermarkt, es stellt mich in den Corona-Zeiten vor echte Herausforderungen. Das Chaos nimmt bereits kurz nach dem Einparken auf dem Parkplatz des Supermarktes seinen Lauf. Meine Hand greift zum Rückspiegel, an dem sonst immer meine Lieblingsmaske hängt. Doch nun greift die Hand ins Leere: Ich muss die Maske nach Gebrauch in die Jackentasche gestopft haben.
Aber anscheinend nicht in die aktuelle Jacke. Also muss ich im Kofferraum wühlen. Ich finde eine dreckige Einwegmaske, die ausgerechnet unter dem Benzinkanister klemmt. Meine Frau gibt ja gern einen Tropfen Lavendelöl in ihre Masken. Ich habe jetzt stattdessen einen beißenden Benzol-Hauch „Eau de Tankstelle“ in der Nase. Ich röchele wenig begeistert. Ein altes Pärchen springt sofort erschrocken einen Meter beiseite.
Um in den Supermarkt zu gelangen, muss ich durch eine Drehschleuse. Eine lange Schlange hat sich vor dieser Schleuse gebildet, weil immer nur ein Einkäufer zugleich in die Schleuse drängt. Eigentlich passen da – auch mit Abstand – mehr Personen in die Glaskabine. Ich husche mit in die sich drehende Parzelle. Mein Vordermann erschrickt darüber so sehr, dass er mit seinem Einkaufswagen gegen die Wand der Schleuse kracht. Die bleibt sofort stehen und sperrt uns ein. Der Mann dreht sich um: Nackte Angst blickt mir entgegen. „Keine Angst, mir geht es gut“, möchte ich sagen. Ich atme nur dummerweise einen Fussel der Maske ein – und kann gar nicht mehr aufhören zu husten. Das macht die Sache nicht besser. Es dauert wirklich lange, bis wir in das eigentliche Gebäude gelangen.
Normalerweise treffe ich zwischen Zeitschriftenabteilung, Waschmittel, Süßigkeiten und Pasta immer viele Bekannte aus dem Ort. Da bleibt immer Zeit für ein Schwätzchen. Aber meine Brille beschlägt ständig, wenn ich mit der aufgesetzten Maske atme. Und außerdem erkenne ich mein Gegenüber nicht wirklich. Wegen der Maske. „Bist du es?“ frage ich ein vermeintlich bekanntes Gesicht, hinter dem ich einen guten Kumpel vermute. Wir reden belangloses Zeug, lästern über dieses und jenes und verabschieden uns am Ende mit Blick auf die Uhr. Jaja, der Einkauf wartet ja noch. „Grüß Susanne von mir“, sagt mein Kumpel. Ich schau ihm nach und kratze mich dabei etwas verwirrt am Kopf. Meine Frau heißt doch Kristina.
Ich schiebe meinen Einkaufswagen weiter durch den Supermarkt. Beim Klopapier kloppen sich die Leute wieder um die letzten Rollen. Diese Anfänger. In unserem Bad könnten wir aus den gehorteten Rollen längst das Weiße Haus oder den Buckingham Palace nachbauen. Das reicht für Jahre. Wir finden: Süßigkeiten sind das neue Klopapier. Denn bei all den schlechten Corona-Nachrichten, die täglich durch die Presse geistern, hilft tatsächlich nur noch Schokolade gegen die aufkeimenden Depressionen. Dass dabei die Figur langsam aus der Form gerät und die letzten körperlichen Dehnungsfugen langsam aufgeblasen werden, ist ein Nebeneffekt, der gern in Kauf genommen wird.
Denn wo könnten wir uns denn noch der Allgemeinheit präsentieren? Im Restaurant, im Theater, im Konzert oder auf der nächsten Party? Oder gar auf Reisen? Wohl kaum. Ich sage es einmal so: Auf dem Sofa unter der wärmenden Decke sieht es niemand, wenn man beim Gürtel ein Loch etwas weiter außen wählt.
Ich rolle meinen Wagen in die Obstabteilung. Ein Kunde nimmt Orangen, Äpfel und Bananen in die Hand, wiegt sie kritisch und legt den Großteil wieder zurück. Ich sehe eine Mitarbeiterin des Supermarktes genervt mit den Augen rollen. Kurz schaut sie auf die Sprühflasche mit Desinfektionsmittel in ihrer Hand. Dann besinnt sie sich eines Besseren und sammelt das „berührte“ Obst ein – sicher ist sicher. Es kommt jetzt bestimmt in Quarantäne.
Ich bin inzwischen an der Kasse angekommen. Muskulöse Männer in schwarzer Kleidung und mit dem Wort SECURITY auf der Brust schauen mich kritisch an, als würden sie überlegen, ob es nicht vielleicht sicherer wäre, mich zu Boden zu werfen, um einen Corona-Schnelltest zu verlangen. Doch anscheinend sehe ich harmlos aus – ich werde zu einer Kasse durchgewunken.
Die Kassiererin sieht aus, als würde sie in einem Aquarium sitzen. Dicke Plastikwände bauen ihr einen Käfig. So sollen Viren von ihr ferngehalten werden. Die Frau vor mir trägt die Maske unter der Nase und muss plötzlich niesen. Ach guck an! Ja, davor schützen die Plastikwände natürlich auch.
Meinen Einkauf zahle ich am Ende lieber kontaktfrei mit dem Handy. Wir haben ja Corona. Da ist man besser vorsichtig. Man kann ja nie wissen, wem man seine EC-Karte in die Hand drückt. (Carsten Scheibe / Foto: Tanja Marotzke)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 81 (12/2020).
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