Scheibes Kolumne: Mein digitales Leben
Heute morgen bin ich um 6.30 Uhr aufgewacht. Der Wecker im iPhone hat geklingelt, nein, eher Meeresrauschen geschickt. Ein Auge geht schon auf, also muss ich rasch die neuen Facebook-Meldungen checken. Dirk findet einen neuen Sinnspruch gut, Hoschi postet ein Foto von seinem Frühstück und Ingo sagt, dass er müde ist. Ich like alles und guck noch rasch auf den Wetterbericht.
Frühstück mit der Familie. Alle gucken auf das Display ihrer Geräte. Meine Frau gibt die Termine des Tages in den digitalen Kalender ein, auf den wir alle Zugriff haben. Die Tochter spielt Quiz Duell, ich lese Zeitung – am Bildschirm. Vor allem Mediendienste wie Meedia oder Serienjunkies. Gern auch Digg mit tollen Geschichten aus der ganzen Welt – auf Englisch. Ein Push-Alarm klingelt: Der Wetteralarm warnt vor Starkregen am Nachmittag. Ein Blick nach draußen – der Himmel zieht sich schon zu.
Es stehen Außentermine an. Die Navigations-App weist mir im Auto den richtigen Weg. Radio kann ich nicht mehr ertragen. Ich höre meinen eigenen Mix aus knapp 400 digitalen Lieblings-Songs, die ich mir in iTunes zusammengestellt habe. Fehlfarbens „Einsam“ mag ich grad nicht. Ich brauch mehr Tempo und spule vor auf „Dreckige Namen“ von Charly Brawo. Gut, dass mich die App SoundCloud dran erinnert, dass Julia und Angus Stone bald in Berlin ein Konzert geben. Die App schlägt mir automatisch Konzerte in der Nähe vor, wenn ich ein Musikstück der Band gespeichert habe.
Ich bin zu einem Geschäftsessen verabredet. Mein Termin ist noch nicht da. Kein Problem. Die Kindle-App gewährt mir über die Cloud Zugriff auf all meine digitalen Bücher. Ich lese gerade den Berlin-Zombie-Knüller „Berlin Requiem“ von BZ-Chefredakteur Peter Huth. Ein Fingerzeig – und der Roman ist geladen. Und das Buch wird genau an der Stelle aufgeschlagen, an der ich abends die Lektüre auf dem iPad eingestellt habe. Mein Termin verspätet sich. „Brauche noch 5 Minuten“ kommt über WhatsApp rein. Und völlig wurscht, ob da die Geheimdienste mitlesen. Es gibt einen guten Merksatz: „Schreibe nie etwas am Computer, was du nicht auch an das schwarze Brett deiner Familie, Schule, Firma pinnen würdest.“
Mein Termin kommt und entschuldigt sich. Kein Problem. Wir bestellen, machen Small Talk. Bevor es losgeht mit dem formellen Teil, fotografieren wir beide unser Essen, posten es auf Facebook und markieren uns gegenseitig auf den Bildern. Witzig. Das erste Like kommt. Die Notizen für mein Gespräch habe ich in Evernote mit dabei.
Eine Push-Meldung lässt das Handy vibrieren. Ein Foto. Mein weißer Hund, der bis zu den Augen im schwarzen Schlamm eines Entwässerungsgrabens steht. „Bin Gassi mit Becky“, schreibt der Nachwuchs. Alles klar. Ich schicke einen Smiley.
Zurück im Büro geht das digitale Aufräumen los. Zwei Stunden nicht im Büro. Das bedeutet: Etwa 145 neue Mails. Das meiste ist Quatsch, also Spam aller Art. Dazu viele überflüssige Newsletter. Das ist wie Goldschürfen. Am Ende bleiben nur fünf wichtige News übrig, die beantwortet werden müssen. Per Mac-App OutBank checke ich schnell den Kontostand, drei Kunden haben Geld überwiesen. Gut so. Das Finanzamt hat abgebucht. Mist.
Abends vor dem Fernseher schlage ich das Fernsehprogramm im iPhone nach und programmiere via App meinen Online-Videorekorder Bong.tv mit einer Sendung, die ich gerade nicht schauen kann. Die Aufzeichnung lade ich mir später als MP4-Video herunter und schaue sie am Mac. Der Sohn ist derweil in einer endlosen WhatsApp-Sesson gefangen und achtet seit Stunden weder auf das Fernsehen noch auf unsere Gespräche. Also in dem Alter waren wir früher ja nur unterwegs. Die Jugend von heute sollte mal lernen, ohne Technik auszukommen. (Carsten Scheibe)
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