Scheibes Glosse: Im Steinbruch – Mit einem Nierenstein ist man wirklich nie alleine!

Zum Artikelschreiben brauche ich eigentlich nur meinen Kopf – und vielleicht auch noch drei, vier Finger zum Tippen. Da liegt es doch auf der Hand, dass ich mir um die anderen Bestandteile meines Körpers wenig Gedanken mache. Sie sind eigentlich nur dafür da, um Kopf und Hände in Position zu halten. Ab und an muckt das biologische System aber auf – und erinnert mich daran, dass es tatsächlich auch noch andere Körperteile gibt.
Eines Morgens wache ich davon auf, dass mir jemand ohne Vorwarnung ein Messer seitlich von hinten in den unteren Rücken sticht – auf der rechten Seite. Mit weit aufgerissenen Augen springe ich aus dem Bett, entdeckte aber keinen wie auch immer gearteten Angreifer. Indes – die Schmerzen bleiben.
Da ich an der pulsierenden Stelle meine Niere verorte, springe ich ins Auto und fahre mit zusammengekniffenen Lippen so schnell es nur geht zu meinem Urologen. Der greift sofort zum Ultraschallgerät, fährt mit dem Scanner ein paar Achten auf meinem Bauch und verkündet fröhlich: “Glückwunsch, es wird – ein Nierenstein. Der klemmt im Gang von der Niere zur Blase fest. Rien ne vas plus. Das muss ganz schön weh tun.”
Na super. Was soll ich denn mit einem Nierenstein? Der Arzt schickt mich zur Röntgenpraxis ein paar Straßen weiter, um ein hochauflösendes CT anfertigen zu lassen. Nach dem Scan begrüßt mich der auswertende Arzt in dieser Praxis nicht minder fröhlich: “Na, ihr erster Nierenstein?” Ich bin schockiert: Ja, warum, habe ich denn jetzt ein Abo auf Nierensteine?
Der Arzt greift zu einem bildhaften Vergleich: “Das ist wie mit Pfifferlingen. Wo einer wächst, da finden sich auch noch mehr.”
Tatsächlich zeigt er mir nicht nur ein schönes Nierensteinchen im CT-Bild, zwei mal fünf Millimeter groß, der meinen Nierengang blockiert, sondern auch schon Nummer zwei, der noch in der Niere auf einen baldigen Abgang wartet. Wahrscheinlich genau dann, wenn ich in naher Zukunft in einem Urlaubsflieger in Richtung Übersee sitze und mich neun Stunden lang nicht bewegen kann.
Um das Steinchen auszuschwemmen, bekomme ich mehr Medikamente, als ein ganzes Seniorenheim morgens schlucken kann. Der Urologe hat derweil noch mehr fröhliche Nachrichten auf Lager: “Wir geben krampflösende Mittel. Sie haben eine gute Chance, dass der Stein auf natürlichem Weg abgeht. Mit Ultraschall zertrümmern geht leider nicht, da würden wir alle biologischen Strukturen mit zerlegen. Wenn die Schmerzen schlimmer werden, kommen Sie nicht zu mir. Fahren sie gleich ins Krankenhaus. Dann wird der Stein geholt. Nutzen Sie Ihre Fantasie, wie die Ärzte das tun werden, ohne Sie aufzuschneiden. Abrakadabra.”
Zuhause ist ein Sitzen nicht mehr möglich, auch kein Liegen. Nur wandern. Im Haus absolviere ich einen halben Pilgerlauf, ganz nach dem Credo meines Arztes: “Saufen und laufen – das hilft.”
Dr. Google informiert mich derweil, dass die Schmerzen bei einem Nierenstein 30 Prozent über dem einer Geburt liegen. Nach ein paar Tagen mit Schmerzmitteln, die absolut nicht zu wirken scheinen, komme ich mir vor, als hätte ich nacheinander drei Kinder zur Welt gebracht. Quer. Im Gehen.
Am Ende bekommt die Vorstellung davon, mir den Stein selbst mit einem rostigen Löffel aus dem Körper zu schneiden, immer mehr bejahende Zustimmung: Hauptsache, die Koliken hören auf.
Es ist erstaunlich, wie viele Gleichgesinnte es gibt, wenn man nur das Thema Nierensteine anspricht. Ein Freund erzählt mir, dass er einmal eine ganze Nacht springend auf einem Trampolin zugebracht hat, um irgendwie den Stein herauszubringen. Ein anderer hat eine Massagepistole angesetzt, um den Stein voranzutreiben.
Einer fragt besorgt: “Hast du auch immer dein Sieb dabei?” Ja, wofür das denn? “Um den Stein aufzufangen, wenn er wie von der Pistole geschossen ans Tageslicht kommt. Bevor er das Porzellan zerschießt.” Hmmm, ob ich mir wohl unser Küchensieb ausborgen kann?
Freunde können so böse sein. Der eine lädt mich ein, mit ihm “Aliens” zu schauen. Der andere visualisiert das sofort: “In dir wächst etwas, das unbedingt heraus möchte.” Jemand schreibt fast schon lyrische Zeilen: “Wenn du morgens die Augen aufschlägst und dir klar wird: Du bist nicht alleine!”
Ein Familienmitglied fragt mich, ob ich dem Steinchen schon einen Namen gegeben habe? Ich nenne ihn Pluto, weil ich mir vorstelle, dass ein ganzer Kleinplanet meine inneren Kanäle verstopft. Der Arzt verliert seine gute Laune nicht: “Angesichts Ihrer Blutwerte haben wir etwa eine Woche lang Zeit, auf einen Abgang zu warten, dann sollten wir den Pluto lieber holen.”
Nach einer Woche sind die Schmerzen plötzlich weg. Pluto hat sich nicht gezeigt, ich scheine ihn nur mit Willenskraft atomisiert zu haben. Na, dann bis zum nächsten Mal. (Carsten Scheibe)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 132 (3/2025).
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