Theaterpremiere “Der Drache” im Schlosspark Theater: Ein Drachentöter stört den Status Quo!
Das “Schlosspark Theater” bringt “Der Drache” auf die Bühne, ein politisches Märchen von Jewgeni Schwarz, das 1944 in der Sowjetunion uraufgeführt und von Stalins Zensurbehörde sofort verboten wurde. Denn die Frage, die zu “Der Drache” passt, regt zum Nachdenken an: Wie kann ein heldenhafter Drachentöter seinem Job nachgehen, wenn das vom Drachen unterjochte Volk überhaupt gar nicht gerettet werden möchte?
Der heldenhafte Lanzelot (Fabian Stromberger) springt mit wallend-blonder Mähne auf die Bühne, blickt entschlossen umher und ist bereit dafür, sein Leben zu opfern, um den Drachen zu besiegen. Bereits in der Vergangenheit hat er so manchen Drachen aufgespießt, und wurde dabei immer wieder böse verletzt, ganz bestimmt auch schon drei Mal tödlich.
Und tatsächlich scheint sein Ankommen in einem kleinen Ort ohne Namen in allerletzter Sekunde zu erfolgen. Seit nunmehr 400 Jahren tyrannisiert ein gefährlicher, Feuer spuckender Drache das Dorf. Er frisst alles auf, was die Felder und die Tierställe hergeben, sorgt mit seinen dispotischen Anordnungen für Chaos und fordert dann auch noch einmal im Jahr die schönste Jungfrau des Ortes (dieses Jahr: Helen Barke) für seine ganz persönlichen und wahrscheinlich auch zwingend tödlichen Vergnügungen ein.
Doch was ist, wenn sich das ganze Dorf samt Bürgermeister (Dieter Hallervorden) bestens mit dem Drachen arrangiert hat – und man irgendwie ganz gut unter seiner Fuchtel lebt. Weil – er beschützt einen ja vor anderen Drachen. Und (so eine Idee des Schlosspark Theaters)- vor den “Migranten” wie etwa Lanzelot, die er verjagt und auffrisst. Weil die ganz böse und gemein sind. Sagt jedenfalls der Drache.
Wenn selbst die zu opfernde Jungfrau zur geplanten Rettung “Ach neh, lass mal” sagt, dann kann auch ein Lanzelot nicht mehr wirklich glänzen. Und guckt erst einmal verdattert.
Als “Der Drache” zum ersten Mal 1944 uraufgeführt wurde, da hatte er bereits eine große politische Agenda. Denn das Stück von Jewgeni Schwarz war nur vordergründig ein amüsantes Märchen. Unter der Oberfläche übte das Stück doch starke Kritik an großen Dispoten wie Stalin oder Hitler – und auch am Volk, das sich kritiklos diesem Übel ergibt.
Nicht umsonst sagt die Jungfrau, die sich gern opfern lässt: “Ein eigener Drache sorgt dafür, dass kein anderer Drache kommt, der noch schlimmer ist.”
Da hilft es dann auch nicht, wenn Lanzelot sofort schockiert erwidert: “Aber die anderen Drachen sind doch schon alle tot.”
Politische Strukturen behaupten sich, hat man sie erst einmal etabliert, auch in den schlimmsten Umständen erstaunlich gut. Weil auch im blutigen Drama und in der brutalen Unterdrückung immer jemand da ist, der seinen ganz persönlichen Vorteil aus der Sache ziehen kann. Wie etwa der Bürgermeister, der mit wirren Gesichtszuckungen und mit immer neuen Versprechern von echten Diskussionen ablenkt und so alle Argumente an sich abprallen lässt. Oder der Sohn des Bürgermeisters (Mario Ramos), der als klassischer Opportunist jede Gelegenheit ergreift, um den eigenen Einfluss zu mehren. So wird er zum Diener des Drachen – als Belohnung dafür, dass seine ihm eigentlich zugesprochene Braut nun lieber als Jungfrau dem Schuppentier geopfert werden soll.
Und selbst das weibliche Opfer fügt sich, denn dann “müssen wenigstens meine lieben Freundinnen nicht sterben”.
Klar kritisiert Jewgeni Schwarz die politischen Strukturen. Denn als der Drache getötet ist, Lanzelot aber verschwunden bleibt, kürt sich einfach der Bürgermeister selbst zum Drachentöter – und bleibt so weiterhin an der Macht.
Vieles lässt sich in das Märchen, in dem auch sprechende Katzen (Georgios Tsivanoglou) und Esel (Christiane Zander) auftauchen, hineininterpretieren. So ist es kein Wunder, dass das Stück in der Sowjetunion damals schnell die Aufmerksamkeit der stalinistischen Zensur auf sich zog – und verboten wurde.
Erstaunlich ist, dass “der Drache” in der heutigen Zeit, in der immer mehr dispotische Machtinhaber die Kontrolle über Länder und ganze Großmächte übernehmen, so selten in den Theatern gespielt wird. In Berlin wurde es 1965 unter der Regie von Benno Besson am Deutschen Theater uraufgeführt. Seitdem war es eher selten zu sehen. Das Schlosspark Theater beweist also einmal mehr ein gutes Händchen damit, diesen Stoff genau jetzt wieder zu reanimieren. Es passt zur aktuellen Zeit wie die Faust aufs Auge.
Im Steglitzer Theater feierte “Der Drache” am 26. Oktober seine Premiere. Philip Tiedemanns feiert mit dem Stück bereits seine 14. Inszenierung am Schlosspark Theater. Loben muss man Alexander Martynow für sein Bühnenbild und die herrlichen Kostüme. Am Ende kracht sogar ein riesiger Drachenschädel auf die Bühne.
Im Schlosspark Theater zeigt sich “Der Drache” auf eine sehr überspitzte und fast schon klamaukige Art und Weise. Der strahlende Held Lancelot wirft sich immer wieder in eine übertriebene Heldenpose, rollt mit den Augen und sucht den Drachen. Der Drache (Anatol Käbisch) zeigt sich in menschlicher Gestalt mit riesigen Krallenhänden und einem schmierigen Tyrannenduktus. Dieter Hallervorden nutzt sein gesamtes komödiantisches Talent, um mit Ticks und Sprachverwirrungen den nur vorgespielt verwirrten Bürgermeister zu spielen.
Im fast schon übertriebenen Spaß gehen die feinen politischen Spitzen ein wenig unter. Etwa, wenn die Bürger der Stadt den Kampf gegen den Drachen zu verhindern trachten, indem sie dem Drachentöter völlig unbrauchbare Waffen übergeben. Oder wenn der Bürgermeister beim nahenden Untergang des fliegenden Drachens den Bürgern verbietet, in den Himmel zu schauen, um so eine “Pandemie der Augenkrankheiten” zu vermeiden.
Am Ende geht der Zuschauer trotz der Holzhammer-Humoristik mit dem Gedanken nach Hause, ob es denn wirklich immer angebracht und menschlich ist, mit dem Drachen gemeinsame Sache zu machen. Oder ob man froh sein sollte, wenn ein Lanzelot kommt und sich der Bedrohung annimmt. Eins ist jedenfalls klar: Die Jungfrau ist am Ende mit Lanzelot besser dran als mit dem Drachen.
Henrik Kairies war für die Musik zuständig. Er fast zusammen: “Mehr als den Drachen fürchten die Bürger Veränderung. Deshalb muss Lanzelot (der Aktivist, der Querulant, der Unruhestifter) sich vor den braven Bürgern mehr als vor dem Drachen in Acht nehmen.” (Text: CS / Fotos: DERDEHMEL/Urbschat)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 128 (11/2024).
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