Ronald Rauhe zu Besuch in Zehlendorf im Bettenhaus Schmitt: Aus dem spannenden Leben eines Gold-Olympioniken!
Zwei Mal Bronze, einmal Silber, zwei Mal Gold: Als Kanusportler hat Ronald Rauhe aus Falkensee wirklich alles gewonnen, was nur geht. Inzwischen hat er das Paddel an den Nagel gehängt und setzt sich nun – auch in seinem Buch “In einem Boot” – für mehr Wertschätzung für den Leistungssport in Deutschland ein. Am 26. September hielt Ronald Rauhe seine allererste Lesung ab – im Bettenhaus Schmitt in Zehlendorf-Mitte.
Bei seiner allerersten Lesung legte Ronald Rauhe (www.ronaldrauhe.de) sein Buch “In einem Boot” aber doch sehr schnell beiseite und ließ sich stattdessen auf ein Frage-Antwort-Spiel mit Mark Schmitt, dem Besitzer vom Bettenhaus Schmitt, ein. Dabei erzählte der Leistungssportler a.D. offen und spannend aus seinem Sportlerleben. Wir haben mitgeschrieben.
“In der Schule hatte ich es mitunter schwer. Ich war viel auf Wettbewerben unterwegs. Ich habe von den Lehrern leider kein Material passend zum versäumten Unterricht mit auf den Weg bekommen, sollte aber nach meiner Rückkehr gleich so manche Arbeit schreiben. So bin ich auch einmal sitzengeblieben. Deswegen habe ich die Schule gewechselt. Auf der Heinrich-Böll Oberschule in Spandau habe ich viel Verständnis und Unterstützung erfahren. Anschließend ist die Schule zur Sportbetonten Schule geworden.”
“In Potsdam hatten wir eine Gegenstromanlage, auf der ich das Kanufahren trainieren konnte. Das war schon echtes High-Tech. So konnte ich mich auf den Monitoren live selbst sehen und meine Technik in Echtzeit anpassen und korrigieren. Mit den passenden Sensoren am Paddel konnte man sogar die Kraft messen, mit denen das Blatt ins Wasser sticht. Krass: Die Gegenstromanlage war 35 Stundenkilometer schnell. Ich wurde beim Training über einen Seilzug gesichert. Wäre ich bei dieser Strömungsgeschwindigkeit aus dem Boot ins Wasser gefallen, wäre das lebensgefährlich gewesen.”
“Die Kanus wurden von der Berliner Firma FES exklusiv für uns hergestellt. Das ging so weit, dass wir alle vermessen wurden. Das Boot wurde genau auf das jeweilige Gewicht angepasst. Wenn jemand krank wurde und ein Ersatz ins Boot stieg, der ein anderes Gewicht hatte, war das schon ein Unterschied. Das macht auch psychisch etwas mit einem Athleten, wenn er weiß, dass das Boot auf ihn persönlich abgestimmt ist. Und es macht auch etwas mit dem Gegner. Die wussten immer, dass wir ein Top-Equipment haben.”
“Als die Olympischen Spiele in Tokio anstanden, haben wir unser Boot rechtzeitig verschickt, damit es sicher vor Ort eintrifft. Der Schock: Beim Umladen hat jemand das Boot mit dem Gabelstapler aufgespießt, es war hinüber. Wir hatten zum Glück ein Ersatzboot für das Training. Wir hatten aber nur fünf Stunden, um dieses Boot zum letztmöglichen Flieger nach Tokio zu bringen. In dieser Zeit haben wir sogar noch eine riesige Holzkiste gebaut, damit das Unglück nicht noch einmal passiert. Zum Glück hat alles geklappt.”
“Eigentlich wollte ich schon nach Rio mit dem Leistungssport und den Olympischen Spielen aufhören. Ich hatte ein super Ende und war gerade Dritter geworden. Aber dann wurde über den Winter unser olympisches Programm geändert. Der Kajak Vierer wurde von den 1.000 Metern auf die 500 Meter verkürzt. Das war genau mein Ding und ein Riesenanreiz, es noch einmal zu versuchen. 2017 habe ich auf dieser neuen olympischen Strecke mit meinem neuen Team auch noch den Weltrekord geholt. Ich musste anschließend meiner Frau erklären, dass es mit dem Ruhestand noch etwas dauert. Wir haben gemeinsam als Familie beschlossen, noch einmal vier Jahre ranzuhängen und Tokio mitzunehmen. Auch wegen der Kinder haben wir uns einen exakten Plan zusammengelegt, wie wir das in den vier Jahren meistern. So haben wir beschlossen, dass wir als Familie niemals länger als zwei Wochen voneinander getrennt sein werden. Notfalls würde die Familie eben nachreisen.”
“Und dann kam mitten in der Vorbereitung für Tokio – Corona. Das hat mir echt den Boden unter den Füßen weggerissen. Denn erst hieß es: Tokio fällt aus, die Olympischen Spiele fallen aus. Drei Jahre Vorbereitungszeit wären damit umsonst gewesen. Dann hieß es, Tokio wird nur verschoben. Das hat mich im Training am Leben erhalten.”
“Das Training für Olympia war unter Corona extrem. Wir durften in verschiedenen Trainingslagern wie etwa in Kienbaum weiter zusammen im Team trainieren, während alle anderen eingesperrt waren und das Haus nicht verlassen durften. Da hatte ich ein sehr schlechtes Gewissen. Wir durften aber selbst das Trainingslager auch nicht verlassen. Ich habe also meine Familie in der längsten Phase zweieinhalb Monate lang nicht gesehen. Ein Treffen wäre zu gefährlich gewesen. Schließlich hätten die Kinder ja Corona in der Kita bekommen und über mich die ganze Mannschaft anstecken können. Am Ende, als die Bedingungen etwas aufgelockert wurden, hat meine Frau die Kinder immer eine Woche vor einem Treffen aus der Kita genommen, damit von dort keine Viren kommen können.”
“Das isolierte Trainieren unter Corona-Bedingungen hat uns Athleten unfassbar zusammengeschweißt. Die Kameraden waren in dieser Zeit eine echte Ersatzfamilie. Als wir in Tokio Gold geholt haben, haben wir uns die Medaillen am Ende gegenseitig umgehängt. Es kamen bei uns so viele Emotionen auf. Für dieses Rennen sind so viele Opfer gebracht worden.”
“Tokio war auch deswegen besonders, weil es kein Publikum gegeben hatte. Ich war zufrieden damit. Aber als ich jetzt in Paris die Menge gesehen habe, dachte ich, das hätte ich auch gern noch einmal genossen.”
“In Tokio wusste ich: Das ist nun mein letztes Rennen. Sonst war ich immer total aufgeregt. Da war ich aber plötzlich ganz ruhig. Das Rennen hat extrem viel Spaß gemacht. Die Boote sind mit 25 Stundenkilometern unterwegs. Am Ende hat ein halber Meter Vorsprung das Rennen entschieden.”
“Ich habe zuletzt viele Angebote bekommen, als Trainer im Sport zu bleiben. Auch aus dem Ausland. Wenn ich mir anschaue, was im Ausland bezahlt wird, ist mir klar, warum so viele Trainer ins Ausland gehen. Ich würde das, wenn überhaupt, dann gern in Deutschland tun. Da muss aber noch viel passieren im Land. Wie in meinem Buch ‘In einem Boot’ (22 Euro, Edel Sports, www.edelsports.com) geschrieben, geht es um die Wertschätzung im Sport. Da haben wir in Deutschland noch viele Baustellen.”
“Wir Sportler brauchen keine Million Euro, wenn wir Gold gewinnen. Wir brauchen Sicherheit. Vielleicht Rentenpunkte. Sonst haben wir am Ende keine jungen Menschen mehr, die es sich trauen, diesen Weg zu gehen.”
“Es geht immer um das Mindset. Kann ich dieses oder jenes schaffen? Ich wollte wissen, ob ich ohne Hilfe im Wald überleben kann. Ich habe es ausprobiert. Ich hatte nur einen Müllsack, ein Messer und Streichhölzer dabei. Fünf Tage habe ich es geschafft.”
“Sollen die Olympischen Spiele nach Deutschland kommen? Ja, unbedingt. Ich weiß, was das bewirken kann. Deutschland kann das. Gerade Berlin kann eine tolle Kulisse stellen. 2040 wäre perfekt, da feiern wir auch 50 Jahre Wiedervereinigung. Die Spiele sind nicht nur ein Sportereignis, sondern auch ein gesellschaftliches Event, das nachwirkt.”
“Mein Körper ist nach all den Jahren Extremsport ziemlich lädiert. Man lernt, die Schmerzen zu tolerieren. Ich habe das aber bewusst in Kauf genommen.”
“Manchmal ist man in einem Wettkampf zu Dingen fähig, die kann man anschließend nicht mehr verstehen. Mir ist in einem Rennen ein Muskel abgerissen. Ich habe das Rennen zu Ende gebracht und bin im Ziel vor Schmerzen zusammengebrochen.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 127 (10/2024).
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