Theaterpremiere im Schlosspark Theater: “Stasi, Stress und Stolperfallen”
Die DDR, die Stasi, die Mauer, die FDJ und Pittiplatsch: All das ist schon lange her! Aber ist bereits genug Zeit vergangen, um darüber Witze machen zu dürfen? Dieter Hallervorden vom Steglitzer Schlosspark Theater ist der Meinung: Ja. Aus diesem Grund hat er das französische Erfolgsstück “Berlin, Berlin” ins Deutsche übersetzt. Am 7. September feierte “Stasi, Stress und Stolperfallen” in Berlin Premiere. Mit auf der Bühne: Bürger Lars Dietrich und Caroline Beil.
Der Vorhang hebt sich und zeigt eine typische DDR-Wohnung aus der damaligen Zeit – mit geschmacklosen Holzmöbeln, DDR-Wimpel, FDJ-Bild an der Wand, Telefon mit Schnur und einem Pittiplatsch. Aus dem Off spielt die fröhliche FDJ-Hymne “Freie deutsche Jugend, bau auf”. In diesem “Arbeiterschließfach” der alten DDR-Platte wohnt der Stasi-Mitarbeiter Werner (Tonio Arango) mit seiner bettlägerigen, uralten Mutter – direkt an der Mauer mit bestem Blick auf die herumzuckenden Suchlichter der Grenzposten.
Nur allzu gern würde die fesche Peggy (Sabine Fürst) beim Stasi-Schnüffler anheuern, um seine alte bettlegerige Mutter (aus dem Off krächzend zu hören: Waltraut Habicht) zu pflegen. Klar, dass Werner keine Bewerbungsunterlagen braucht als alter Stasi-Mann: “Nein, die brauche ich wirklich nicht. Ich weiß doch schon alles über Sie.”
Was der Stasi-Mann aber nicht ahnt: Peggy und ihr leicht dusselig-verängstigter Freund Sandro (Bürger Lars Dietrich) wollen rübermachen in den Westen. Sie möchten unter dem antifaschistischen Schutzwall hindurch nach West-Berlin entkommen und den Arbeiter-und-Bauern-Staat weit hinter sich lassen. Von Werners Wohnung aus gibt es einen Weg in den Keller. Dort muss Sandro fünf Mauern durchbrechen, damit sie ins Glück entrinnen können.
Doch dann taucht der BND-Agent Hans (Marko Pustisek) auf und erpresst das fidele Pärchen: Major Neptun (Marc Laade) wird vor Ort erwartet. Er soll im Auftrag des Westens belauscht werden.
Dieter Hallervorden als Stück-Schnüffelnase und Übersetzer
Das Schlosspark Theater hat sich bereits in der Vergangenheit als sehr wagemutig erwiesen, was die Aufführung von sperrigen, schrägen, schenkelklopfenden oder tiefschürfenden Stücken anbelangt.
Die Stasi-Klamotte “Stasi, Stress und Stolperfallen” stammt aus dem Französischen. Dort wurde das Stück unter dem Titel “Berlin , Berlin” in Paris aufgeführt – und hat 2022 den “Molière” als “beste Komödie” erhalten. Die Autoren Gérald Sibleyras & Patrick Haudecœur haben das Theaterstück geschrieben – und dabei kein DDR-Klischee ausgelassen. Von den hässlichen DDR-Klamotten über die Verwendung hunderter typischer DDR-Begriffe (“Brigade”, “Broiler”, “Genosse”) bis hin zur geschmacklosen Wohnungseinrichtung entsteht die Deutsche Demokratische Republik noch einmal neu auf der Bühne.
Dieter Hallervorden hat das Stück entdeckt und übersetzt: “Etwa zwei Mal im Jahr fahre ich nach Paris, um mir anzuschauen, was an Komödien neu auf dem Theater-Markt zu bewundern ist.” Vor Ort entdeckte er das Stück – und holte es nach Berlin: “Es ist meine 12. Übersetzung einer französischen Komödie, die wir zur Eröffnung unserer 16. Spielzeit als deutschsprachige Erstaufführung präsentieren.”
Zwischen Toter Oma, Pittiplatsch, Stasi-Überwachung und Straflager in Bautzen präsentiert sich “Stasi, Stress und Stolperfallen” als amüsante Klamotte mit viel Slapstick, übertriebener Dramatik und sehr viel Ostalgie. Insbesondere Bürger Lars Dietrich als völlig überforderter und viel zu netter Ossi weiß auf der Bühne zu überzeugen.
Auf Caroline Beil muss man bis nach der Pause warten. Aber dann verlagert sich das Geschehen in die Stasi-Zentrale. Caroline Beil zeigt sich voller Spielfreude als knurrende Stasi-Super-Bitch mit in Margot-Honnecker-Lila gefärbten und hochtoupiertem Haar, die im engen Kostüm einfach blendend aussieht, zugleich aber Angst und Schrecken verbreitet.
Wie und ob es Peggy und Sandro schaffen, der Stasi zu entrinnen und in den Westen rüberzumachen, das hält die Zuschauer schon sehr gespannt in ihren Sitzen.
Es ist schon verblüffend, wie die beiden Franzosen aus der Ferne alle Klischees zum DDR-Lebensgefühl eingesammelt haben, um daraus eine überdrehte Klamotte zu zaubern, in der man sich 35 Jahre nach dem Mauerfall so richtig schön amüsieren kann über braune Lederimitatjacken, den innerdeutschen Wettkampf der Agenten und die Sehnsucht nach dem Westen. Fast möchte man die FDJ-Hymne mitsingen, sie hatte ja in ihrer Tonalität auch etwas.
Und trotzdem bleibt einem mitunter das Lachen im Hals klemmen, wenn von Stasi-Folter, dem Todesstreifen und den Fluchtversuchen der DDR-Bürger zu hören ist. Spätestens, wenn im Hintergrund die Schüsse an der Mauer knallen, schluckt man trocken: Darf man das so bringen? Immerhin steht das Schlosspark Theater mitten in Berlin, also genau dort, wo früher Ost und West aufeinanderprallten, wo die Stasi verhört und drangsaliert hat, wo Menschen an der Mauer gestorben sind. Hier sind die Wunden nur oberflächlich verheilt. Mitunter tut es weh, über die deutsch-deutsche Vergangenheit Witze zu reißen.
Aber genau in dieser Frage hat das Schlosspark-Theater unter Dieter Hallervorden schon immer Mut bewiesen. Die Zuschauer haben bei der Premiere viel gelacht und gekichert, nach dem Ende wurde geklatscht, das erste Feedback unter den Zuschauern fiel positiv aus. Und wenn “Stasi, Stress und Stolperfallen” mit seiner seichten Handlung, der gelebten Ostalgie und seinem kniffligen Thema am Ende nur dafür sorgt, dass man sich die Schrecken der DDR noch einmal wieder neu vor Augen führt, dann hat das Stück doch schon vieles richtig gemacht. “Stasi, Stress und Stolperfallen” wird noch bis zum 20. Oktober im Schlosspark-Theater gespielt. (Text: CS / Fotos: DERDEHMEL/Urbschat)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 126 (9/2024).
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