Alles wieder neu: Nach dem Brand 2020 ist die Ladenstraße wieder offen!

Der Schreck war groß: Im November 2020 brannte es abends in der Zehlendorfer Ladenstraße. Mehrere Geschäfte auf der Nordseite brannten komplett aus oder wurden durch den Rauch stark beschädigt. Der Neuaufbau dauerte sehr lange: Der Denkmalschutz hatte überall ein Wörtchen mitzureden. Am 4. Mai war es nun aber endlich so weit: Die nördliche Ladenstraße wurde feierlich wiedereröffnet. Gleich mehrere neue Läden gingen an diesem Tag an den Start. Es waren aber auch bekannte Gesichter zu sehen.
Viele Zehlendorfer gerade aus der Bruno-Taut-Siedlung sind mit und in “ihrer” Ladenstraße großgeworden. Die Ladenpassage, die flankierend mitten in den U-Bahnhof “Onkel Toms Hütte” der Linie U3 hineingebaut wurde, ist für den Kiez seit 1931 der wichtigste Nahversorgungspunkt überhaupt. Hier gab es in der Vergangenheit neben verschiedenen Supermärkten auch ein Kino, einen Fischladen, eine richtige Fleischerei, eine kleine Drogerie, ein Schreibwarengeschäft und sogar ein uriges Tabakgeschäft, in dem die Kinder auch Erbsenpistolen und Pusterohre samt Knete kaufen konnten.
Das bedeutet: Den Anwohnern aus der Papageiensiedlung ist ihre Ladenstraße sehr wichtig. Als es hier im November 2020 plötzlich brannte und die Flammen am späten Abend meterhoch in die Nacht züngelten, war das Entsetzen groß. Der Anblick des offenen Dachs und der verschmorten Balken am nächsten Morgen war sogar noch schlimmer. Da war klar: Der Neuaufbau wird kein leichter sein. Zumal die Ladenstraße aufgrund ihres Alters unter Denkmalschutz steht und es hohe Auflagen bei der Restaurierung zu beachten gab.
Es hat gedauert. Die halbe Nord-Seite der Ladenstraße (www.onkeltomsladenstrasse.de) war über mehrere Jahre hinweg gesperrt, sodass der klassische “Rundgang” von einer Seite der Ladenpassage zur anderen nicht mehr länger möglich war.
In der Bauphase sind die Boutique “Jeans Corner” und “Elektro Schäffler” auf die andere Seite gezogen – und auch gleich dort geblieben. Der “Coiffeur Raguse” (www.coiffeur-raguse.de) ist hingegen von seinem “Übergangsstandort” wieder zurück in sein altes Ladengeschäft gezogen.
Dietmar Raguse: “Wir sind ein Familienbetrieb, uns gibt es in Zehlendorf bereits seit 1953. Wir waren froh, dass wir nach dem Brand einen Ersatzladen in der Ladenstraße bekommen haben, um die Kunden und natürlich auch die Mitarbeiter zu halten. Dreieinhalb Jahre sind eine lange Zeit. Umso froher sind wir, dass wir nun wieder in unser altes Ladengeschäft zurückziehen konnten. Vor Ort wurde alles neu gemacht, auch die Decken sind jetzt höher. Alles ist heller, freundlicher, auch die Fliesen sind raus.”
Doch nicht nur die direkt Betroffenen sind froh, dass die Ladenstraße wieder “heile” ist. Auch Marc-Andreas Demski vom Reformhaus DEMSKI (www.demski.de) an der Stirnseite der Ladenstraße freut sich für die Kollegen: “Seit 1935 gibt es hier ein Reformhaus, seit 1974 steht der Name DEMSKI über dem Geschäft. Wir haben mehrere Filialen in der Region. Der Standort in der Ladenstraße ist für uns nicht nur vom Umsatz her besonders wichtig, sondern auch vom Emotionalen her. Es gibt hier ein ganz besonders starkes Kiezgefühl und es ist immer wieder eine große Freude, hier zu arbeiten.”
Das bestätigt auch Carolin Demski: “Ich bin auch ein totaler Fan der Ladenstraße. Es ist alles so schön kiezig hier. Jeder kennt jeden. Wir kennen bestimmt neunzig Prozent unserer Kunden mit Namen.”
Marc-Andreas Demski: “Rund um die Ladenstraße wird viel gefeiert. Da sind wir immer gern dabei und lassen uns etwas einfallen.” Das war auch bei der Neueröffnung der Ladenstraße der Fall. Auf dem großen Platz auf der Seite der Onkel-Tom-Straße versorgten die Demskis die Zehlendorfer mit Flammkuchen, heißen Würstchen und Erdbeer-Spargel-Salat.
In der “Nordkurve” der Ladenstraße gibt es auch neue Gesichter. Einige Läden wurden frisch vermietet. Mit großer Neugierde schauten sich die Nachbarn aus der Papageiensiedlung das neue Angebot an. Das “QA Nailstudio” bietet nun eine Gelmodellage für Fingernägel, aber auch eine Maniküre, eine Pediküre und eine Wimpernverlängerung an. Bei “Di-Vita Massage&Spa” (www.divitaspa.com) kann man verschiedene Massagen buchen und sich nach Kräften verwöhnen lassen. Auch eine Infrarotsauna steht vor Ort zur Verfügung. Neu ist auch “Go Yummy“. Hierhin treibt einen in Zukunft ein knurrender Magen, denn es gibt Chicken Wings, Spicey Red Chicken, Nudelsuppen, Salat-Bowls und verschiedene Nachtische. Der “Telemedia-Point” mit Handy-Verkauf, Post und Lotto ist von der Süd-Seite auf die Nord-Seite gezogen und hat sich dabei vergrößert.
Ganz neu geht “1000 Berlin 37” (www.instagram.com/1000berlin37) an den Start – mit einem Tattoo-Studio. Sicherlich dem ersten, das es in der gesamten Region gibt. Leon Weinrich (33) ist einer der beiden Gründer: “Ich bin direkt hier in der Onkel-Tom-Straße aufgewachsen und wohne nun am Vierling. Mein Partner kommt aus Schlachtensee. Wir sind sehr heimatverbunden und haben deswegen auch den Namen ‘1000 Berlin 37’ für unser Tattoo-Studio gewählt – das war ja früher die Postleitzahl hier vor Ort.”
Aber ist der Zehlendorfer Kiez der richtige Platz für ein Tattoo-Studio? Max Maier De-Faveri: “Wir sind nicht wirklich abhängig von der Laufkundschaft. In der Regel kennt uns die Kundschaft schon aus der Tattoo-Szene oder findet uns über Instagram. Dann vereinbaren die Kunden einen Termin und kommen gezielt zu uns gefahren. Wir freuen uns aber auch über Walk-Ins. Bei der Wiedereröffnung der Ladenstraße war bei uns das Studio richtig voll – und sogar viele der älteren Besucher haben sich nach einem Tattoo erkundigt.”
Leon Weinrich: “Es gibt gerade einen Generationswechsel in Zehlendorf. Das Publikum wird jünger. Wir wurden bereits im Vorfeld der Eröffnung angesprochen. Viele Leute, von denen man das gar nicht denkt, haben bereits ein kleines Tattoo, und wünschen sich nun noch ein zweites oder drittes. Ich habe mich ein wenig auf den Holzschnitt-Stil konzentriert, und auf ältere, klassische Motive, die mir gut gefallen.”
Max Maier De-Faveri: “Ganz wichtig: Niemand braucht Angst vor einem Tattoo zu haben. Gut schlafen vorher, gut frühstücken, dann geht das. Die vom Schmerz her schlimmsten Stellen sind die Achselhöhle, die Kniekehle, der Hals und die Fußsohle. Wir stechen übrigens alle Tattoos kostenfrei nach. Mein Ding sind Sticker-Tattoos. Das sind kleine Schriftzüge oder Symbole, die oft eine persönliche Bedeutung haben. Die steche ich in Schwarzweiß, manchmal auch in rot.”
Nicht ganz zufrieden mit dem neuen Ladenmix ist Renate Lachmann, die in Fußnähe wohnt: “Eine Fleischerei mit frischem Fleisch und hausgemachten Wurstwaren hätte ich mir eher gewünscht.”
Bei der offiziellen Neueröffnung samt dem Durchschneiden eines roten Bands sagte Benjamin Szajak als Geschäftsführer der Eigentümergesellschaft: “Ich erinnere mich, dass ich am 16. November nach dem Brand weit über hundert Telefonate mit der Feuerwehr, der Polizei, der Staatsanwaltschaft, der BVG, der Versicherung, der Bank, mit vielen Mietern und allen möglichen weiteren Personen hatte. Mit meinen damals 26 Jahren war ich mit meinem Büro plötzlich dafür verantwortlich, dass der U-Bahn-Verkehr in Berlin wieder anständig läuft. Und das, obwohl wir die Ladenstraße erst ein paar Monate zuvor übernommen hatten. Dreieinhalb schwierige Jahre später stehe ich mit ein paar mehr grauen Haaren als vorher nun hier – und wir können endlich wieder gemeinsam die komplette Ladenstraße feiern.”
Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg wohnt selbst im Kiez: “Als ich im November auf meinem Lesesessel saß und die Nachricht aufkam, dass die Ladenstraße in der Onkel-Tom-Straße brennt, war ich entsetzt, aber im ersten Augenblick auch sofort traurig. Ich dachte: Das kann doch nicht sein, es darf doch gar nicht sein, dass unsere Ladenstraße brennt.” Und: “Es ist nicht selbstverständlich, dass nach so einem Unglück so viele Händlerinnen und Händler bleiben und die Ladenstraße am Leben erhalten.”
Klar ist: Hier haben viele Verantwortliche hinter den Kulissen mit viel Schweiß, Beharrlichkeit und dem Willen, dass sich alles am Ende doch noch zum Guten wendet, dafür gesorgt, dass die Ladenstraße weiterhin die einzige Ladenpassage in Berlin bleibt, durch die eine U-Bahn fährt. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 122 (5/2024).
Seitenabrufe seit 26.06.2024:
Anzeige

Sie haben eine Artikelidee oder würden gern eine Anzeige buchen? Melden Sie sich unter 03322-5008-0 oder schreiben eine Mail an info@zehlendorfaktuell.de.