Irmela Mensah-Schramm aus Wannsee: Mit dem Ceranfeld-Schaber gegen Nazi-Aufkleber!
Irmela Mensah-Schramm hat eine Mission. Sie hat rechtsradikale Aufkleber und Nazi-Schmierereien im Auge, denen sie auf ihren Wegen immer wieder im Stadtbild begegnet. Mit einem Ceranfeld-Schaber und einer anthrazitfarbenen Sprühdose bewaffnet nimmt sie den Kampf gegen die braunen Bildnisse auf – und dokumentiert ihre Arbeit in bislang 145 Ordnern. Mit ihrem sozialen Ungehorsam handelt sich die Aktivistin aus Wannsee immer wieder viel Ärger ein.
Irmela Mensah-Schramm wohnt in Wannsee, ist ehemalige Erzieherin und 78 Jahre alt. Trotz ihres hohen Alters hat sie noch immer einen sehr scharfen Blick – und erkennt ein winziges, mit dem Lackstift auf einen Stromkasten gekritzeltes Hakenkreuz schon aus größter Entfernung. Findet sie auf ihren Wegen ein verbotenes Nazisymbol, schreitet sie sofort zur Tat.
Irmela Mensah-Schramm: “Ich weiß genau, wo ich hingucken muss. Und wenn ich wieder ein neues Hakenkreuz entdecke, dann geht es in Windeseile los. Ich habe immer einen Ceranfeld-Schaber und eine Sprühdose mit dabei. Mit meiner Teleskopstange komme ich auch an höher gelegene Schmierereien.”
Die Menschenrechtsaktivistin beschäftigt sich seit über 40 Jahren damit, Nazischmierereien aus dem öffentlichen Stadtbild zu entfernen – auch wenn ihr das schon so manche Anzeige eingebracht hat. Einen echten Hotspot hat sie dabei in Berlin-Rudow ausgemacht: “In einem Kreis von nur zwei Kilometern habe ich in einem Jahr 166 unter Verbot stehende Nazisymbole entdeckt und übermalt. Darunter waren vor allem Hakenkreuze, aber auch SS-Zeichen, Keltenkreuze und bestimmte Runen, die im rechten Umfeld eine große Rolle spielen. Früher habe ich Hakenkreuze mit einem roten Herz übermalt. Jetzt kritzeln mir die Rechten aber sofort ein neues Hakenkreuz in das Herz hinein. Dann sieht es so aus, als hätte man ein Herz für die Nazis. Deswegen nehme ich jetzt nur noch Anthrazit-farbene Sprühfarbe, um die Symbole abzudecken.”
Akribisch dokumentiert Irmela Mensah-Schramm alle ihre Arbeiten: “Bis Ende März habe ich bereits 145 Ordner gefüllt. Nirgendwo sonst gibt es so eine umfangreiche Dokumentation über rechte Schmierereien wie bei mir. Diese Ordner haben einen echten zeithistorischen Wert. Ich sehe leider auch keine andere Person im Internet außer mir, die den Nazimist entfernt. Jedenfalls nicht in dieser Intensität. Es reicht eben nicht aus, nur gegen das rechte Denken zu sein. Man muss auch etwas dagegen tun.”
Was viele, die von der Arbeit der Wannseer Aktivistin im Fernsehen erfahren oder in der Zeitung gelesen haben, oft nicht richtig begreifen, ist dies: Die von Hand gekritzelten Schmierereien sind nur ein Teil der Verschandelungen im öffentlichen Straßenbild. Der Großteil der rechtsradikalen Provokationen, die Irmela Mensah-Schramm mit großem persönlichen Eifer beseitigt, kommen in der Form von selbstgemachten oder professionell gefertigten Aufklebern daher, wie man sie auch aus der Fußball-Szene her kennt.
Diese Aufkleber zeigen nicht einfach nur Symbole wie die meisten Handkritzeleien, sondern sie bringen richtige Botschaften unters Volk. Auf ihnen stehen Sprüche wie “Weiß ist bunt genug”, “Deutsches Reichsgebiet”, “Bargeldlos nach Auschwitz”, “Bitte flüchten Sie weiter”, “Deutschland steh auf”, “Lieber Kernkraft als Flüchtlingsstrom” oder “Aufstehen statt Ankleben”.
Irmela Mensah-Schramm: “Auch bei mir in Wannsee habe ich rund um den Bahnhof viele Aufkleber gefunden – und entfernt. Sogar im ruhigen Lichterfelde wurde geklebt. Man findet die Aufkleber aber eigentlich überall, wenn man nur ein Auge dafür hat. Aufkleben geht halt schneller als Schreiben. Mit dem Ceranfeld-Schaber gehen die Aufkleber aber sehr gut ab. Was heile bleibt, kommt in meinen Ordner. Ansonsten wird es fotografiert.”
Wie kam es eigentlich zur Leidenschaft, den rechten Klebereien den Kampf anzusagen? Irmela Mensah-Schramm: “Ich bin ein 45er Jahrgang, die Nachkriegszeit hat mich sehr geprägt. Meine Eltern haben mir nie etwas von der Nazizeit erzählt, obwohl sie zum Glück nicht selbst involviert waren. Ein Schlüsselerlebnis für mich war sicherlich, dass die Schulen damals noch sehr Nazi-verseucht waren. Die Lehrer waren sehr völkisch und neonazistisch orientiert. Das hat mir keine Ruhe gelassen.”
Der Auslöser für den Aktionismus der Erzieherin: “Ich bin 1986 nach Wannsee gezogen. Auf dem Weg zur Arbeit fiel mir ein Aufkleber an meiner Bushaltestelle gleich gegenüber von meinem Haus auf. Da stand drauf: ‘Freiheit für Rudolf Hess’. Ich wollte den Aufkleber schon mit dem Schlüssel wegkratzen, hatte aber keine Zeit mehr: Der Bus kam und ich musste zur Arbeit fahren. Als ich wieder nach Hause kam, war der Aufkleber immer noch da. Das war ein Schock für mich, dass niemand in der Zwischenzeit den Aufkleber entfernt hat. Also habe ich das getan. Das hat so gut getan, dass ich es seitdem immer wieder tue. Natürlich gab es böse Anfeindungen. Ich habe anonyme Anrufe bekommen. Es gab E-Mails mit konkreten Bedrohungen. Und viele brenzlige Situationen direkt beim Entfernen der Schmierereien. Aber ich mache immer weiter. Vom Weggucken ändert sich ja nichts. Ein Polizist hat mir mal gesagt: Eine Demokratie muss auch solche Aufkleber aushalten können. Ich kann das nicht aushalten. Mir dreht sich der Magen um, wenn ich so etwas sehe.”
Wird es denn mehr mit den Aufklebern und den rechten Symbolen? Irmela Mensah-Schramm: “Nein, es wird nicht mehr. Ich finde zurzeit nicht mehr als vorher auch. Das kommt eher in Wellen – und zwar schon seit Jahrzehnten. Es gibt bei den Motiven und Sprüchen einen Unterschied zwischen dem Osten und dem Westen, aber der Osten ist nicht schlimmer als der Westen und der Westen nicht schlimmer als der Osten. Im Rückblick muss ich sagen, dass die Aufkleber von den Aussagen her früher noch schlimmer waren als heute. Ich stelle aber fest, dass der Fremdenhass eine neue Richtung einschlägt. Da steht dann in einem Nazi-Graffitto: ‘Was die Juden hinter sich haben, haben die Türken noch vor sich’. Dass die Menschen da noch ruhig schlafen können und diese Aufkleber im Straßenbild gar nicht wahrnehmen, das wundert mich auch nach 40 Jahren noch immer.”
Wichtig ist der Frau, die in den letzten 25 Jahren über 36.000 Euro (“Die Spenden nicht mit eingerechnet”) in ihre Handlungen investiert hat, auch noch dieses: “Ich bekämpfe Hass nicht mit Gegenhass. Gegenhass ist keine Option. Ich führe keinen Krieg gegen die Nazis, ich bekämpfe nur ihre Gesinnung.”
Um den Anfängen zu wehren, führt Irmela Mensah-Schramm viele Workshops in Schulen durch. Gemeinsam mit den Kindern werden Hassbotschaften ins Positive verfremdet: “Aus HASS wird dann auf einmal SPASS. Die Kinder haben viel Freude an dieser Aufgabe und sind sehr kreativ.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 121 (4/2024).
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