Geschichtswerkstatt Teltow: In Teltow wurden sieben neue Stolpersteine verlegt!
Sie sind überall in Deutschland – und auch in vielen anderen Ländern Europas – mitten im Trottoir vor den Häusern der Nachbarn zu finden. Die Rede ist von den Stolpersteinen, die auf die Opfer der Nazizeit hinweisen – und die immer dort in den Bürgersteig eingelassen sind, wo die betroffenen Menschen ihren letzten freiwilligen Wohnsitz hatten. Initiator Gunter Demnig hat nun in Teltow sieben weitere Stolpersteine verlegt.
Damals, zur Zeit des Nationalsozialismus, verschwanden plötzlich zahllose Menschen aus der Nachbarschaft – und kehrten nie wieder zurück. Sie wurden eingesperrt oder umgebracht. Die Opferzahlen gingen in die Millionen.
Zahlen sind aber, und seien sie auch noch so hoch, völlig abstrakt und nicht fühlbar. Viel erschreckender ist es für die Menschen doch, wenn sie erfahren, dass die Opfer aus ihrer Mitte kamen, Nachbarn waren und vielleicht in einem Haus gleich um die Ecke gewohnt haben.
Der in Nauen geborene Künstler Gunter Demnig (www.stolpersteine.eu) hat mit den “Stolpersteinen” ein Lebenswerk geschaffen. Die mit einer beschrifteten Messingplatte versehenen Stolpersteine erinnern jeweils an ein Opfer aus der Nazizeit. Sie werden immer vor dem letzten freiwilligen Wohnort von im KZ umgebrachten Juden oder ins Arbeitslager deportierten Andersdenkenden in den Bürgersteig eingelassen – und halten den Namen, den Geburtstag und die Umstände des Todes fest. Inzwischen sind weit über 100.000 Stolpersteine verlegt worden, man findet sie in Berlin ebenso wie in Potsdam.
Auch in Teltow wurden seit 2011 bereits 26 Stolpersteine verlegt. Vor Ort kümmert sich die “Geschichtswerkstatt Teltow” darum, neue Einzelschicksale zu recherchieren und die Stolpersteinverlegungen umfassend vorzubereiten. Die Gruppe unter der Leitung der Historikerin Gabriele Bergner sagt über sich: “Nun weiten wir unsere Recherchen aus und befassen uns mit weiteren politisch Verfolgten, mit Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, aber auch mit Tätern. Wir wollen die NS-Zeit in Teltow umfassend aufarbeiten – mit dem Ziel, die bisherige Forschungslücke zu schließen.”
In der Vergangenheit konnte die Gruppe bereits die Ausstellung “Sie waren unsere Nachbarn – Jüdisches Leben in Teltow bis 1945″ im Rathaus stemmen. Nun lud die Geschichtswerkstatt am 6. März zur Verlegung von gleich sieben neuen Stolpersteinen in Teltow ein. Gunter Demnig, inzwischen 76 Jahre alt, ließ es sich nicht nehmen, die neuen Steine selbst ins vorbereitete Trottoir einzumauern: “Inzwischen gibt es 105.000 Stolpersteine. Etwa 95 Prozent davon habe ich selbst verlegt.”
Zu der Zeremonie waren auch Nachfahren der gewürdigten Opfer gekommen. Teltows Bürgermeister Thomas Schmidt war ebenfalls mit vor Ort, zusammen mit einer großen Anzahl interessierter Bürger.
Die Historikerin Gabriele Bergner bedankte sich bei Gunter Demnig: “Durch Ihr Werk zeigen wir, dass die Menschen nicht vergessen sind, die im Dritten Reich verfolgt wurden.”
Auch Bürgermeister Thomas Schmidt honorierte den Einsatz des Künstlers: “Gunter Demnig ist jemand, der sich bei uns in Teltow auskennt, er ist ja nicht zum ersten Mal hier. 105.000 Stolpersteine wurden bereits in Europa verlegt. Man muss sich klarmachen, wie viele Gedenken an diesen Steinen hängen. Es ist uns ein großes Bedürfnis, die nächste Generation in dieses Gedenken mit einzuschließen.”
Das ist am 6. März sehr gut gelungen. Viele Schüler aus der Grace-Hopper-Gesamtschule und vom Immanuel-Kant-Gymnasium waren mit vor Ort. Und nicht nur das. Einzelne Schülerinnen und Schüler lasen an den sechs Stationen zwischen der Mainstraße 5 und dem Hamburger Platz vorbereitete Biografien der Opfer vor, die sich auch auf der Homepage der “Geschichtswerkstatt Teltow” (www.geschichtswerkstatt-teltow.de) nachlesen lassen.
Gewürdigt wurden bei der dritten Stolpersteinverlegung in Teltow die NS-Opfer Johann Fiolka, Richard Homann, Otto Keßler, Reinhold Böttcher, Frieda und Hermann Lucke sowie Auguste Fischer. In den dokumentierten Lebensläufen dieser Menschen sieht man auch, dass es nicht immer darum ging, Bürger jüdischer Herkunft zu deportieren. Es traf auch Mitglieder der Kommunistischen Partei oder Männer, die homosexuell waren, was damals in Deutschland verboten war.
Wer weiß, welche Intention hinter den messingfarbenen Stolpersteinen steht, findet sie auf vielen Wegen im Straßenbild. Indem man sich vorbeugt, um die Inschriften zu lesen, “verbeugt” man sich auch vor der vor dem Vergessen bewahrten Person. Inzwischen rufen die Geschichtswerkstätten, die Interessengruppen und die Paten regelmäßig Mitbürger an bestimmten Tagen dazu auf, die Stolpersteine in ihrer Nachbarschaft zu putzen und zu säubern. So dass sie würdevoll ansehnlich und lesbar bleiben.
Mitunter hat sich der eine oder andere Bürger auch gefragt, ob es wirklich wichtig ist, diese besondere Art der Erinnerungskultur zu pflegen. Die aktuelle Kriegssituation in Israel und der zeitgleich wieder aufflammende Antisemitismus führen aber auch zu der gegensätzlichen Frage, ob es nicht gerade jetzt so bedeutsam wie schon seit Jahren nicht mehr ist, die Erinnerung zu bewahren und sogar noch zu vertiefen?
Gunter Demnig hat dazu eine ganz klare Meinung: “Ich sage, jetzt erst recht. Für mich sind vor allem die jungen Menschen das Wichtigste. Die wollen ja wissen, wie konnte so etwas im Land der Dichter und Denker überhaupt passieren. Da ist es doch wichtig zu sagen: So war es – und bitte niemals wieder.” (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 120 (3/2024).
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