Theater: Schattenlichter inszenieren den “Grill-Eklat” in der Zehlendorfer Paulus-Gemeinde
1985 wurde in der Zehlendorfer Paulus-Gemeinde die Theatergruppe „Schattenlichter“ gegründet. Seitdem führt die Truppe jährlich ein neues Stück im großen Gemeindesaal direkt neben dem Standesamt am Teltower Damm auf. Das 41. Stück hieß „Extrawurst“ – die Premiere war am 23. Februar. In diesem Jahr ging es um eine Vereinsversammlung im Tennis-Club: Ein neuer Grill soll angeschafft werden. Der Vorschlag sorgt schnell für multikulturelle Verstimmungen.
In den vergangenen Jahren haben die „Schattenlichter“ (www.schattenlichter.info) bekannte Stücke wie „Frau Müller muss weg“, „Boeing Boeing“ oder „Der Vorname“ aufgeführt – und damit die Zehlendorfer begeistert. Die neueste Aufführung trägt den Titel „Extrawurst“, was natürlich erst einmal Fragen aufwirft: Wem wird denn da eine Extrawurst gebraten?
Das 41. Stück der Theatertruppe wurde nach langen Proben wieder einmal nur an drei aufeinander folgenden Tagen aufgeführt – dieses Jahr am 23., 24. und 25. Februar. Die Abende waren wie immer bereits nach kurzer Zeit ausverkauft – fünf Euro kostete ein Sitzplatz im großen Saal.
Eine tolle Idee: Das neue Stück steigt direkt in die Mitgliederversammlung eines Zehlendorfer Tennisvereins ein. Auf der Bühne stehen die Schreibtische vom Vorstand und von den Beisitzern. Die Zuschauer sind ganz in diesem Sinne die Vereinsmitglieder, die dem Vorstand bei der Arbeit zuschauen.
Recht eintönig beginnt das Stück: Die klassische Vereinsarbeit muss abgewickelt werden. Die Vereinsvorsitzende Charlotte (Kristina Lane) führt durch die Punkte der Tagesagenda, ihre Stellvertreterin Kati (Elke Brumm) assistiert ihr. Mit im Publikum sitzen auch die stolzen „Vereinsmeister im Doppel“ – Bine (Diana Jesse) und Cem (Martin Schienbein).
Der Abend könnte mit der Eröffnung des Buffets gemütlich zu Ende gehen, würde ein letzter Tagespunkt nur zügig genug über die Bühne gehen – ein neuer Grill soll angeschafft werden. Aber genau dieser Grill erschüttert den Verein in seinen Grundfesten. Denn ausgerechnet der Pokalsieger Cem ist der „Quoten-Türke“ im Verein, ein Moslem noch dazu. Wie soll er denn den mit seinen Geldern mitfinanzierten Grill benutzen, wenn auf Vereinsfeiern sein Hammelfleisch neben religiös verpöntem Schweinefleisch zu liegen kommt?
Schnell brechen im Verein alle nett gemeinten gesellschaftlichen Fassaden zusammen. Atheisten und Gläubige, Deutsche und Türken, Männer und Frauen, Hardliner und Empathen knallen plötzlich in ihren Meinungen ungefiltert aufeinander. Schnell wird der Moslem gefragt: „Cem, was ist denn, wenn du die Grillluft von unseren Schweinewürsten einatmest, ist das dann auch Sünde?“ Aber ja, auch der „Schweinedampf“ ist Sünde.
Als dann noch herauskommt, dass Cem eigentlich gar nicht so große Probleme mit den deutschen Grillwürstchen hat, sondern eher seine Frau, die aber eine zum Islam konvertierte Deutsche ist, geht es richtig rund. Und überhaupt meint die stellvertretende Vorsitzende Kati bockig dazu: „Wir stellen ja in deiner Moschee auch keine Ballmaschine auf!“
Wenn es im Verein schon um Minderheiten geht: Muss da nicht ein zweiter Grill für Cem angeschafft werden? Und ein dritter für die Vegetarier? Ist das nicht auch eine Glaubensgemeinschaft? Und wie sagt Micha so schön: „Dann kaufen wir noch einen weiteren Grill für die Frutarier. Den stellen wir unter den Apfelbaum und warten, bis ein Apfel auf den Grill fällt.“
Der Zuschauer ist schockiert davon, wie linke und rechte Aussagen aufeinanderprallen, wie tolerant und intolerant einzelne Vereinsmitglieder sind und wie die Attribute „religiös“ und „ungläubig“ das Vereinsgeschehen auf den Kopf stellen. Elke Brumm: „Wir haben uns als Theatergruppe immer wieder gefragt, ob wir das tatsächlich so bringen können. Es ist schon ein sehr mutiges Stück, das zum Nachdenken anregt.“
Im Endeffekt streiten die vor dem Grill-Eklat noch so zivilisierten Tennis-Spieler aber genau so, wie sich ganz normale Bürger tatsächlich zanken, wenn die Öffentlichkeit gerade einmal nicht zuschaut. Für die extrem bissigen Kommentare, die den Zuschauer immer wieder erschrecken, zeichnen die beiden Comedy-Autoren Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob verantwortlich, die bereits an der Fernsehserie „Stromberg“ mitgewirkt haben.
Am Ende ist klar – hier geht es nicht nur um einen Grill, sondern auch um die Frage, wie die Tennisclub-Mitglieder (und damit auch „Wir“) in Zukunft zusammenleben möchten. Die Religion ist hier nur ein Beispiel für ein mögliches Aufeinanderprallen von verschiedenen Meinungen. Streiten kann man ja schließlich über so vieles.
Letztendlich ist das Stück „Extrawurst“ trotz seiner mitunter zum Fremdschämen animierenden Meinungsäußerungen ein gutes Beispiel dafür, dass uns die Streitkultur abhanden gekommen ist. Denn niemand kann sich wirklich eine „Einheitsdenke“ wünschen. Es ist gut, wenn verschiedene Kulturen, Meinungen und gern auch Vorurteile aufeinanderknallen. Denn gerade im Streit, im Hadern, im Zanken und im Argumentieren entstehen Kompromisse, die für die Zukunft festlegen, wie unser Zusammenleben funktionieren kann.
Ohne dass jemandem eine Extrawurst gebraten werden muss. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 108 (3/2023).
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