Sabine „Solveig“ Engel: System Error in Stahnsdorf!
Am 26. Januar lud die Gemeindebibliothek Stahnsdorf zum ersten Mal nach Corona wieder zu einer Lesung in die eigenen Räume ein. Zu Gast war die Stahnsdorfer Autorin Sabine Engel, die eigentlich freundliche Kinderbücher schreibt, unter ihrem Pseudonym Solveig Engel aber ihre dunkle Seite auslebt und ihren „Evil Twin“ von der Leine lässt. Sie las aus ihrem neuen Roman „System Error“, der bei Heyne erschienen ist.
Der SciFi-Thriller „System Error“ nimmt den Leser mit in eine moderne Welt, an deren Schwelle wir gerade stehen. Es geht um Künstliche Intelligenz und um die ewige Frage, was in diesem Umfeld wohl alles schiefgehen kann. Angesichts der Tatsache, dass K.I.-Systeme wie ChatGPT zurzeit das Internet auf den Kopf stellen, ist diese Frage nicht gerade unberechtigt.
Im Heyne-Taschenbuch programmiert der IT-Entwickler Micah eine K.I. namens Cyb, die Millionen persönlicher Daten aus dem Internet analysiert und auf dieser Basis Verbrechen vorhersagt, bevor sie überhaupt durchgeführt werden. Auf diese Weise gelingt es im Roman tatsächlich, die Anzahl der Übeltaten deutlich zu reduzieren. Aber die Journalistin Lotta Schwarz hegt den Verdacht, dass Cyb doch nicht so zuverlässig ermittelt, wie das den Anschein hat.
Am 26. Januar fanden sich etwa zwanzig interessierte Zuhörer in der Gemeindebibliothek ein, um der Autorin zu lauschen. Zum Thema erzählt Sabine Engel: „Künstliche Intelligenz ist ein spannendes Feld. Es beginnt mit der Frage, was Intelligenz eigentlich ist. Ich habe allerdings den Eindruck, dass der Begriff K.I. ziemlich inflationär verwendet wird. Es klingt einfach toll. Dabei ist nicht jeder Algorithmus, der schneller als ein Mensch Zusammenhänge in großen Datenmengen erkennen kann, direkt intelligent. Mein Taschenrechner kann schließlich auch schneller rechnen als ich. Trotzdem würde ihm vermutlich niemand Intelligenz unterstellen. Aber was ist mit Chatbots, die immer häufiger anstelle von Menschen in Hotlines eingesetzt werden? Der Mathematiker Alan Turing hat einen nach ihm benannten Test vorgeschlagen: Wenn ein Mensch nicht mehr erkennen kann, ob er mit einer Maschine oder einem anderen Menschen kommuniziert, dann ist die Maschine wahrscheinlich intelligent. ChatGPT schafft es tatsächlich, seine Nutzer zumindest über einen kurzen Zeitraum zu täuschen. Cyb geht noch einige Stufen weiter – aber ‚System Error‘ spielt ja auch in der Zukunft.“
Sabine Engel hat Physik und Astronomie studiert. Einen Doktortitel hat sie im Bereich der Astrophysik erlangt: „Physik war eigentlich das erste Fach, das ich in der Schule nach der 10. Klasse abgewählt hatte. Erst später hat der Funke gezündet. Das lag an einem Buch über Einstein und die Relativitätstheorie, das ich gelesen habe. Nach der Schule wollte ich trotzdem lieber eine Ausbildung machen. Doch aus irgendeinem Grund habe ich meinen damaligen Freund in die Uni begleitet – und ich bin geblieben.“
Nach dem Diplom dachte Sabine Engel über eine Karriere im Journalismus nach: „Ich wollte Wissenschaftsjournalistin werden und habe nach dem Studium drei Monate bei ‚Spektrum der Wissenschaft‘ ein Praktikum gemacht. Aber feste Stellen waren rar. So habe ich erst einmal promoviert.“
Das mit dem Schreiben, das schlummerte aber weiter in der Astrophysikerin: „Als meine Kinder geboren wurden, habe ich viel Zeit zuhause verbracht und versucht, meinen ersten Roman zu schreiben. Ich habe aber schnell gemerkt, dass die Entwicklung einer komplexen Geschichte ein Handwerk ist, das ich zunächst erlernen musste. Also habe ich an der Master School Drehbuch in Berlin einen Kurs belegt und gelernt, wie man Figuren anlegt und einen Handlungs-Plot entwickelt. Mein erstes Werk war ein Filmdrehbuch. Da das Drehbuch aber keinen Abnehmer fand, habe ich daraus ein Kinderbuch gemacht. Ich fand eine Agentur, die sich um die Vermarktung kümmerte – und 2013 erschien mein erstes Kinderbuch ‚Mission mit Schwein‘ im Baumhaus Verlag.“
In der Folge sind weitere Bücher wie „Der Wichtelstreik“, „Das unsichtbare Rentier“, „Null Peilung in Kyoto“, „Bühne frei für Ben“ oder „Familie Kuckuck wandert aus“ entstanden. In den Anthologien „Vorsicht Schwiegermutter!: Widerstand zwecklos. Schwiegertöchter und -söhne berichten“ und „Schlachtfeld Elternabend: Der unzensierte Frontbericht von Lehrern und Eltern“ sind ebenfalls Beiträge veröffentlicht worden.
Sabine Engel (www.sabineengel.com): „Mein letztes Buch war ein Sachbuch in der Reihe Pixi Wissen mit dem Titel ‚Bionik‘. Es ist im Herbst 2022 erschienen.“
Solveig Engel als „Evil Twin“
Und dann brach sich die dunkle Seite von Sabine Engel Bahn: „Ich hatte irgendwann die Idee, meine Erfahrungen als Physikerin mit dem Schreiben zusammenzubringen und einen echten Wissenschaftskrimi zu schreiben. So ist mein Roman ‚Neondunkel‘ entstanden, den ich als Selfpublisher herausgebracht habe. Er wurde sogar auf der Leipziger Buchmesse mit dem Indie Autor Preis ausgezeichnet. Im Roman geht es um eine junge Physikerin in einem unterirdischen Labor, das ein kleines bisschen an das Labor erinnert, in dem ich meine Diplomarbeit gemacht habe.“
Aber wie um alles in der Welt kommt man auf die Idee, als Pseudonym für die doch eher erwachsenen Wissenschaftskrimis den Namen Solveig Engel zu verwenden? Er ist ja doch sehr nah am eigentlichen, „richtigen“ Namen Sabine Engel.
Sabine Engel: „Die Nähe ist gewollt. In mir wohnen ja auch beide Seiten meiner Seele dicht beieinander. In Solveig sehe ich so etwas wie einen dunklen Zwilling, der einen Hang zum Bösen hat.“
In „System Error“ geht es um die Sicherheit unserer persönlichen Daten. Wie steht die Autorin selbst zum großen Feld der Cyber-Sicherheit: Was sagt sie zu betrügerischen Phishing-Mails oder zu Viren-Bomben, die man sich beim Besuch dubioser Homepages einfangen kann?
Sabine Engel: „Die Sicherheit unserer Daten ist ein großes Thema, das uns jetzt schon stark beschäftigt und sicherlich auch in Zukunft eine große Rolle spielt – im Großen wie im Kleinen. Phishingmails sind eine üble Betrugsmasche, die wirklich jeden treffen kann. Man ist für einen Moment unaufmerksam, schon hat man auf einen Link geklickt, hinter dem sich Schad-Software verbirgt, oder versehentlich einem dubiosen Absender sein Passwort für das Onlinebanking mitgeteilt. Dabei handelt es sich um Einzelschicksale. Viel gravierender für die Gesellschaft sind die richtig großen Fälle. Da beginnt es schnell gruselig zu werden. Es gibt Cyber-Akteure, die solche Phishingmails als Einfallstor nutzen, um Behörden oder ganze Unternehmen anzugreifen. Zum Teil sind sie so gut aufgestellt, dass sie sich wirklich fast überall hineinhacken können. Gerade erst ging die Zerschlagung des Cybercrime-Netzwerks HIVE durch die Presse. Solche Gruppen haben Geld, ausgebildete Leute und Ausdauer. Jemand hat mal gesagt, eine deutsche Firma, die bislang noch nie angegriffen wurde, war einfach nicht interessant genug. Und es geht ja nicht nur um Firmendaten oder die persönlichen Daten ihrer Kunden. Früher wurden Banküberfälle mit der Pistole in der Hand durchgeführt. Dann verlor die örtliche Filiale vielleicht einhunderttausend Euro. Heute verschwinden dreistellige Millionenbeträge einfach auf digitalem Weg durch Cyberangriffe – vor allem im Umfeld von Cryptobörsen. Das sind Verbrechen, die durchaus systemrelevant sind.“
In ihrem Buch „System Error“, aus dem die Autorin während ihrer Lesung am 26. Januar in der Gemeindebibliothek Stahnsdorf auch etwa eine Stunde lang vorgelesen hat, geht es um eine Künstliche Intelligenz, die das Leben der Menschen sicherer gestalten soll, am Ende aber doch nicht so genau arbeitet, wie man das erwarten sollte. Da fragt man sich, wie die Autorin zum Thema Künstliche Intelligenz steht.
Sabine Engel: „Ich sehe das Thema Künstliche Intelligenz zurzeit eher kritisch. Bislang weiß ich von keiner echten K.I.. Es gibt allerdings sehr gut programmierte Systeme, die auf enorm viele Daten zurückgreifen können. ChatGPT (https://chat.openai.com) geht bereits in die Richtung. Ich habe es mal ausprobiert. Am Anfang hatte ich wirklich fast den Eindruck, mit einem fühlenden Wesen zu kommunizieren. Das ging so weit, dass ich anfing, meine Fragen an ChatGPT höflich zu formulieren. Zum Test habe ich z.B. ChatGPT gefragt, ob ihr ein gutes Ende für mein neues Buch einfällt. Das Resultat waren zwar plausible Lösungsansätze, aber kreativ waren sie nicht. Insofern sind wir noch lange nicht am Ziel und ich kann hoffentlich noch ein paar Bücher selbst schreiben, bevor K.I. das für uns übernehmen.“
Trotzdem findet es die Autorin gruselig, was Algorithmen heute schon alles können: „Das fängt beim Online-Shopping an. Ich bestelle zwei, drei Dinge. Und dann werden mir auf einmal Vorschläge gemacht, was ich noch alles bestellen könnte. Noch schlimmer ist es in den Sozialen Medien. Hier lernt der Algorithmus, welche Themen mich interessieren und welche Meinungen und Einstellungen ich dazu habe. In der Folge bekomme ich immer mehr Posts gezeigt, die dazu passen. Das führt dazu, dass ich mich irgendwann in einer Blase befinde, weil mir nur noch Beiträge gezeigt werden, die mich in meinem Weltbild unterstützen. Wahrscheinlich denken dann auch Menschen mit extremen Ansichten, dass sie ganz normal ticken.“
Hat das Buch „System Error“ das Potenzial zur Fortsetzung? Sabine Engel: „Noch gibt es keinen Auftrag vom Verlag. Aber ‚System Error‘ klingt für mich wie die Vorgeschichte zu einem modernen ‚1984‘. Ich kann mir eine Fortsetzung sehr gut vorstellen.“
Glaubt die Autorin, dass es irgendwann einmal so eine Künstliche Intelligenz wie ihr Verbrechen-Verhinderungs-System Cyb geben wird? Sabine Engel: „Ja. Die Polizei testet bereits Algorithmen, um ihre Ressourcen effizienter einzusetzen. Das heißt dann zum Beispiel Predictive Policing. Auf dem weltweiten Markt werben Unternehmen für Sicherheitskameras, die mit einer Gesichtserkennung gekoppelt sind oder Menschenmengen auf der Suche nach Personen mit einem auffälligen Verhalten scannen. Wenn auf diese Weise ein Amoklauf oder ein Verbrechen verhindert werden kann, ist das toll. Wichtig ist, dass solche Lösungen transparent und kontrollierbar eingesetzt werden. Denn sonst befinden wir uns schnell im einem Cyb-ähnlichen System.“
Das fürchteten auch die Besucher der Lesung, die nach einer Fragen-und-Antwort-Runde durchaus sensibilisiert die Bibliothek verließen. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 107 (2/2023).
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