Scheibes Glosse: Lüften im eiskalten Winter?
Der Winter kommt, die Temperaturen sinken. Gas und Strom sind auf einmal unerschwinglich teuer. Und selbst das Holz zum Heizen kostet so viel Geld, dass man versucht ist, stattdessen lieber zu einer warmen Decke zu greifen. Mitten im Versuch, ohne schmerzhafte Frostbeulen durch den Winter zu gelangen, trifft der Mann allerdings auf seinen frosterprobten Endgegner – seine permanent alle Fenster aufreißende Ehefrau.
Beim Badminton ist die ganze Halle nicht geheizt, es ist bitterkalt. Wir spielen uns im Pullover warm und sprechen in den kurzen Pausen zwischen den anstrengenden Begegnungen am Netz über die beste Möglichkeit, den kalten Winter zu überstehen.
Reinhold erzählt: „Jede Fensterritze habe ich inzwischen abgedichtet, damit kein bisschen warme Gemütlichkeit mehr aus der guten Stube entweichen kann. Und jetzt müsst ihr euch vorstellen: Da komme ich letztens nach Hause, drehe den Schlüssel im Schloss und freue mich bereits auf ein wenig Wärme. Und was passiert? Mir weht ein Eishauch entgegen, dass es mir meinen Schnäuzer sofort mit einer Eisschicht garniert. Auf dem guten Teppich hat sich schon Schnee gebildet. Pinguine laufen mir fröhlich mit dem Schnabel klappernd entgegen. Ich vermeine, im Wohnzimmer einen Elch, ein Rentier und einen Eisbären in trauter Dreisamkeit einen Skat klopfen zu sehen. Ihr könnt es mir glauben. Ich laufe zum Kühlschrank, öffne ihn, um mir in seinem Inneren die Hände aufzuwärmen, und frage mich: Warum ist es denn so kalt in meiner Stube?“
Ralf beugt sich vor: „Und? Warum ist es so kalt in deiner Stube?“
Reinhold zwirbelt sich den Schnurrbart: „Na weil, na weil…“
Wolfgang hält es nicht mehr aus: „Ja, weil… Nun sag schon!“
Reinhold breitet die Arme aus: „Na, weil meine Frau sich überlegt hat, dass es wichtig ist, zu lüften. ZU LÜFTEN! Am Fenster hängen bereits die Eiszapfen, es schneit im Wohnzimmer, ich sehe die ersten Robben, die Inuits bauen sich einen Iglu. Und meine Frau sitzt in ihrem dünnsten Kleidchen direkt vor dem Fenster und – LÜFTET.“
Wir nicken alle drei. Ich sage: „Das macht meine auch. Ständig. Stehe ich am Wochenende einmal später auf, dann ist der Frühstückstisch bereits gedeckt. Aber direkt nebenan steht die große Terrassentür offen. Was bringt mir das schönste Frühstück, wenn ich mit den nun tiefgefrorenen Brötchen Nägel einschlagen oder den Postboten auf 50 Meter Entfernung mit einem guten Wurf vom Rad holen kann? Wenn ich die Butter mit dem Schneidbrenner auftauen muss und die Marmelade die gefrorene Konsistenz von Beton angenommen hat? Der Frau ist aber nur eins wichtig: Dass regelmäßig gelüftet wird.“
Ralf nickt: „Ich kenne das. Ich habe extra zwei Raummeter Eichenholz eingekauft. Wenn die Gasheizung schon nicht laufen darf, weil ich ansonsten gleich Geldscheinbündel verfeuern könnte, greife ich eben auf den guten alten Kamin zurück. Ich schicke den Sohn sogar schon vor die Tür, damit er den Holzvorrat mit ein paar gefundenen Kienäpfeln aufwerten kann. Aber ich könnte den ganzen Wald Kanadas in den Ofen schieben, es würde sicher nichts bringen, weil auch bei uns wird GELÜFTET. Und zwar immer genau dann, wenn es endlich einmal richtig schön warm in der Bude ist.“
Ich wende ein: „Lüften kann ja gut gegen Schimmel sein. Der bildet sich schnell, wenn man nicht ausreichend heizt.“
Reinhold: „Kein Pilz, der etwas auf sich hält, würde es auch nur fünf Minuten in meinem Eis-Schloss aushalten. Väterchen Frost hat letztens schon an die Tür geklopft und gefragt, ob er über den Winter bei uns einziehen darf. Er hatte auch noch ein paar Polarfüchse mit dabei.“
Ralf jammerte: „Ich habe mir jetzt heimlich ein paar Taschenwärmer gekauft. Damit mir nicht gänzlich das Blut im Körper einfriert. Schockgefroren nennen wir das in der Wissenschaft. Ich habe das Gefühl, dass beim Lüften tatsächlich eine deutlich höhere Kälte entsteht, als sie eigentlich draußen vor der Tür herrscht. Beim Verdrängen der behaglich warmen Luft aus dem Haus muss es zu einer besonderen Art der Verdunstungskälte kommen. Ich bin mir ganz sicher.“
Ich sage: „Theoretisch könnte ich dir das alles genau berechnen. Aber mein Gehirn funktioniert in der Kälte nicht mehr. Nach der biologischen Grundregel nimmt ja die biologische Aktivität alle zehn Grad um die Hälfte ab. Zehn Minuten lüften – und ich bin an meinem persönlichen absoluten Nullpunkt angekommen. Da geht nichts mehr.“
Wolfgang schaut uns verschwörerisch an: „Und wisst ihr, Jungs, womit uns die Frauen dann kurz vor dem Einschlafen noch den absoluten Rest geben? Indem sie uns ihre eiskalten Füße an die Wade halten und jammern, dass ihnen ja soooo kalt sei.“
Wir nicken: „Ja, das kommt bestimmt vom Lüften.“ Und haben so gar kein Mitleid. (Carsten Scheibe)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 105 (12/2022).
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