Interview mit Sebastian Fitzek: Schau genau hin!
Sebastian Fitzek stammt aus Berlin-Lichterfelde – und ist Bestsellerautor. Seine Psychothriller werden regelmäßig verfilmt. In seinem neuesten Werk „MIMIK“ geht es um die Mimikresonanz, also um das Erkennen von nur ganz kurz und unwillkürlich gezeigten Gesichtsausdrücken. Beraten wurde der Autor dabei von Dirk Eilert, dem führenden Experten für das Fachgebiet der Körpersprache. Am 28. Oktober war Fitzek zu Gast in seiner alten Heimat – und signierte seinen neuen Roman in der Buchhandlung Wollschläger.
Sebastian Fitzek (www.sebastianfitzek.de), 1971 in Berlin-Lichterfelde geboren, hat 2006 sein erstes Buch „Die Therapie“ veröffentlicht. Es folgten viele weitere Psychothriller wie etwa „Der Augensammler“ oder „Passagier 23“. Einige von ihnen wurden sogar verfilmt. „MIMIK“ ist sein neuestes Werk (www.fitzekmimik.de). Es geht um eine Mimikresonanz-Expertin, die den schwierigsten Auftrag überhaupt lösen muss – sie muss sich selbst „lesen“.
Wie kommt man zum Schreiben? Was war denn Ihre Initialzündung?
Sebastian Fitzek: „Jedes einzelne Mal, wenn ich ein gutes Buch gelesen habe, gab es bei mir so etwas wie eine Initialzündung. Das war ganz bestimmt zum ersten Mal bei ‚Die Unendliche Geschichte‘ von Michael Ende so. Ich habe mir immer die Frage gestellt: Hast du auch eine Geschichte in dir, die es wert wäre, zu Papier gebracht zu werden? Es hat aber sehr lange gedauert, bis der Motor endlich angesprungen ist. Im Jahr 2000 hatte ich den ersten Impuls für einen Thriller. Da hatte ich auch endlich genug Sitzfleisch, um das auch mal bis zum Ende durchzuziehen.“
Wie schreiben Sie? Ganz akribisch nach Exposé oder einfach drauflos?
Sebastian Fitzek: „Bei mir ist das immer so ein Mittelding. Ich habe am Anfang ein etwa zehn Seiten langes Exposé, das den groben Handlungsrahmen für den Roman vorgibt. Da werden auch die Figuren schon angelegt. Spätestens nach achtzig Seiten entwickeln die Figuren beim Schreiben aber regelrecht ein Eigenleben. Sie werden selbstständig. Von diesem Punkt an beobachte ich sie eigentlich nur noch. Dann brauche ich das Exposé nicht mehr in die Hand zu nehmen, weil sich das Buch komplett davon gelöst hat.“
Warum schreiben Sie Psychothriller?
Sebastian Fitzek: „Das ist eine Frage, die man meinem Psychiater stellen müsste. Das ist ja keine bewusste Entscheidung für ein Genre, die ich da treffe. Als ich mein allererstes Buch geschrieben habe, haben mir erst die Verlage gesagt, dass es sich dabei um einen Psychothriller handelt. So stand es nämlich in den Ablehnungsschreiben. In den Schreiben haben sie mir gesagt, dass sie für Psychothriller in Deutschland leider keinen Markt sehen würden. Bis dahin wusste ich überhaupt gar nicht, dass ich Psychothriller schreibe. Das Genre selbst habe ich erst durchs Schreiben kennengelernt. Aber ich suche mir das Genre nicht aus, es sucht sich mich aus.“
Als Vater: Können Sie es ertragen, wenn Kindern in Büchern oder Filmen etwas passiert?
Sebastian Fitzek: „Ich schreibe über relevante Themen und natürlich auch über alle Themen, die mich als Vater beschäftigen. Kinder sind die zentralen Figuren in jeder Familie und deswegen sind sie es oft auch in meinen Geschichten. Ich kann es eigentlich überhaupt nicht ertragen, wenn Kindern etwas geschieht. Aber ich schreibe in der Regel über die Realität und mildere sie sogar noch ab. Ich denke mir ja gewalttätige Handlungen gegen die Kinder nicht aus.
Ein Beispiel aus dem Leben: In der Berliner Rechtsmedizin habe ich einen Freund besucht, der dort arbeitet. Auf dem Weg zu ihm bin ich an einer Spielecke für kleine Kinder vorbeigelaufen. Da habe ich ihn gefragt: Sag mal, parkt ihr hier etwa eure eigenen Kinder, während ihr an den Leichen herumschneidet? Und er sagte: Nein, das ist nicht für unsere Kinder. Die Kinderspielecke gehört zur Gewaltschutzambulanz. In Berlin gibt es inzwischen so viele Verdachtsfälle auf Misshandlung, dass Kinder dort quasi geparkt werden müssen, bevor sie untersucht werden, ob ihnen Gewalt angetan wurde oder ob es sich doch nur um einen Unfall handelt. Das sind Momente, die mich als Familienvater nachhaltig bewegen. Das sind dann eben auch die Szenen, die ich in meinen Büchern aufgreife. Einfach, weil sie relevant sind. Missbrauch und Misshandlung sind einfach relevante Delikte.“
Wie oft lesen Sie ein neues Buch noch einmal Korrektur, bis Sie am Ende sagen: Ich bin fertig?
Sebastian Fitzek: „Das Schreiben von einem neuen Buch dauert etwa drei bis vier Monate. Es kann aber noch einmal sechs bis sieben Monate dauern, bis es tatsächlich fertig ist. Der Prozess des Überarbeitens dauert demnach länger als der des Schreibens. Man geht immer wieder an das Buch heran, auch mit Hilfe der Lektoren. Gute Lektoren zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht verlangen, dass etwas umgeschrieben wird. Stattdessen stellen sie einfach nur Fragen. Etwa: Wieso spielt dieses Buch eigentlich in Süddeutschland?“
Was war toll an Ihren Verfilmungen? Und haben Sie gelitten, wenn Szenen umgeschrieben werden mussten?
Sebastian Fitzek: „Toll ist, dass ich so in die Köpfe meiner Leser hineinschauen kann. Auf einmal sehe ich, wie sich die Ausstattung ein bestimmtes Zimmer vorstellt. Wie sich der Regisseur in die Szene hineindenkt. Oder wie die Casting-Agentur die Figuren sieht. Auf einmal merke ich, was für Bilder ich in die Köpfe der Menschen pflanze. Das ist für mich ein wahnsinnig interessanter Prozess. Zum Thema Leiden: Das ist vergleichbar damit, wenn das eigene Kind erwachsen wird und auf eine Klassenfahrt geht. Man ist plötzlich nicht mehr Herr der Lage, sondern nur noch Beobachter. Ein Buch plötzlich ziehen zu lassen, das ist nicht einfach.“
Sie haben Lesungen z.B. in einem Bestattungsinstitut und in einer Zahnarztpraxis durchgeführt. Für das Buch „Playlist“ haben Sie sich Songs von Beth Ditto, Silbermond und Rea Garvey schreiben lassen. Sie experimentieren gern?
Sebastian Fitzek: „Eher ist es das: Ich möchte mich nicht wiederholen. Ich möchte die Zeit nutzen, um nicht den x-ten Aufguss einer Idee zu machen, die es schon hundert Mal gab, sondern stattdessen lieber überlegen: Was würde mir persönlich Spaß machen? Was macht mir auf einer Lesung Spaß? Deswegen lese ich auf einer Lesung auch relativ wenig, sondern erlaube den Zuhörern einen Blick hinter die Kulissen. Dabei werden viele Fragen beantwortet, die Sie auch gerade stellen. Das interessiert die Leute eben deutlich mehr, als einfach nur aus einem Buch vorgelesen zu bekommen. Das ist letztlich die Kernfrage, die ich mir auch beim Schreiben immer wieder stelle: Interessiert mich das Thema selbst? Würde ich so ein Buch selbst gern lesen wollen? Und dann drücke ich mir die Daumen, dass ich nicht der einzige bin, der so denkt.“
Sammeln Sie eigentlich alle Ihre Buchausgaben im Hardcover und im Taschenbuch – auch aus anderen Ländern?
Sebastian Fitzek: „Ich hoffe, dass ich alle Ausgaben habe. Aus den anderen Ländern Bücher zu bekommen, ist manchmal etwas schwierig, weil man nicht immer bemustert wird. Ich ärgere mich selbst, dass ich von meinem ersten Buch ‚Die Therapie‘ die erste Auflage nicht habe. Hin und wieder schaue ich beim Signieren, ob es die erste Auflage ist, und dann würde ich dieses Buch am liebsten gleich klauen.“
MIMIK ist gerade erschienen. Hat Sie der Mimik-Experte Dirk Eilert zum Mimikresonanz-Thema animiert?
Sebastian Fitzek: „Definitiv. Wir haben uns 2015 in einer Fernsehsendung beim rbb kennengelernt. Hier sollten die Gäste in einer Gameshow einen fiktiven Kriminalfall lösen, indem wir Verdächtige verhören, die aber natürlich nur Schauspieler waren. Dirk Eilert war auch da. Er hat uns als Experte echte Tipps aus der Praxis gegeben und uns gesagt, worauf man im Verhör achten muss. Er meinte, das Mimikresonanz-Thema wäre doch auch für einen Thriller sehr spannend. Ich habe das für mich erst einmal abgelehnt, weil ich dachte, die Fernsehserie ‚Lie to me‘ mit Tim Roth hat das eigentlich schon recht gut umgesetzt. Dem kann ich ja nichts Neues hinzufügen. Dann kam ich aber auf die Idee, dass es in einem Thriller nicht um eine Fremdanalyse, sondern um eine Selbstanalyse gehen könnte. In meinem Buch MIMIK dreht sich alles um eine Expertin auf dem Gebiet der Mimikresonanz, die sich selbst analysieren muss. Als ich diese Idee hatte, habe ich Dirk angerufen und ihn gefragt, ob er mir als Experte mit Rat und Tat zur Seite steht. Ohne ihn hätte ich das nicht schreiben können.“
Jetzt gehen Sie zusammen auf Tournee: Am 2. Dezember sind Sie etwa im Tempodrom in Berlin zu sehen. Was wird da passieren?
Sebastian Fitzek: „Das wird ein interaktiver Abend sein. Es geht natürlich um das Buch. Es wird eine Lese-Show geben. Die Zuschauer lernen aber auch, was es mit der Mimikresonanz auf sich hat. Worauf kann und sollte ich achten, bei anderen und auch bei mir selbst? Wir gehen davon aus, dass die Menschen ihre Umwelt und auch sich selbst nach der Show mit anderen Augen sehen werden.“ (Text/Foto: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 104 (11/2022).
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