Scheibes Glosse: Pinkelpause
Letztens waren wir ganz, ganz weit weg von Zuhause. Wir hatten einen tollen Event im Spreewald – und mussten abends nach der Veranstaltung mit dem Auto um ganz Berlin herum nach Falkensee fahren. Das ist an und für sich kein Problem – es war eine Fahrt von etwa einer Stunde Dauer.
Mit Frauen an Bord ist eine Autofahrt im Regelfall kein besonders entspannter Trip. Sie möchten ständig einen Stopp einlegen, um an der nächsten Tankstelle eine kleine Pinkelpause zu machen. Bei den Herren der Schöpfung ist das ganz anders. Wenn sie Druck auf der Blase haben, können sie locker noch von Berlin bis nach München fahren, ohne dass ihnen unterwegs die Gesichtszüge entgleisen. Das hat schon Mario Barth angedeutet.
Doch auch bei uns Männern gibt es Grenzen. Wir hatten im Spreewald noch ein Bierchen getrunken, das nun mitten auf der Autobahn wieder nach draußen wollte. Jetzt und sofort. Unverzüglich. Und mit großem Druck.
Der erste Druck kam natürlich genau an der Stelle, an der der Stau begann – und wir eine halbe Stunde lang nur im Schritttempo nach vorne rollten.
„Ich müsste mal“, meinte Andy und sagte es so beiläufig, als hätte es locker noch ein paar Stunden lang Zeit.
„Ich auch“, sagte Patrick – und machte es schon ein bisschen dringlicher. Ich schloss mich an und kniff dabei die Beine zusammen, dachte an die Wüste Gobi und suchte am Rand der Autobahn nach einem Schild, das auf einen nahen Rastplatz mit öffentlicher Toilette hinwies. Andy schien meine Gedanken gelesen zu haben: „Hier kommt kilometerlang nichts. Und alle Ausfahrten führen hier schon nicht mehr in den Wald, sondern mitten in den Berliner Großstadtdschungel hinein. Da gibt es weder Bäume noch Klohäuser. Stattdessen gucken alle.“
Während wir noch im Stop-and-Go-Verkehr rollten und das große Unglück aufgrund von vorderem Schließmuskelversagen immer näher rückte, beschloss ich, etwas Konversation zu machen: „Wart ihr eigentlich schon einmal an den Niagara-Fällen? Das Wasser prasselt da nur so die Steine herunter. Und das auf der kanadischen Seite ebenso wie auf der amerikanischen. Ich frage mich, wie viele Liter Wasser da wohl pro Sekunde herunterrauschen?“
Vom Beifahrersitz und aus dem Fond des Autos hörte ich nur ein verzweifeltes Grunzen. Andy fragte, ob ich nicht vielleicht eine Saftflasche mit an Bord hätte. Die mit der großen Öffnung.
Ich kam langsam in Fahrt mit meinen Gedanken: „Wisst ihr, was mein Lieblingsspielzeug in meiner Kindheit war? Das war eine Wasserpistole. Da hat man am Abzug gezogen und schon schoss das Wasser meterweit heraus. Solange, bis der Tank leer war. Ach, das war schon ein Spaß.“
Andy sagte nichts mehr. Er hatte die Augen verdreht, hielt sich am Türgriff fest und schwitzte. Er konzentrierte sich sichtlich darauf, dicht zu bleiben. Patrick sagte ganz leise: „Bitte nicht. Sag solche Sachen nicht.“
Ich sinnierte weiter: „Ich würde gern einmal wieder in den Urlaub fahren. Einfach am Strand liegen und die Wellen kommen angerauscht. So viel Wasser, was sich vor dem Strand bricht. Und außerdem fällt mir gerade ein, dass ich dringend meine Bananenpalme gießen muss. Sie ist ganz vertrocknet. Da hilft nur eine ganze Kanne voller Wasser. Obwohl es ja letztens geregnet hat. Da springt im Garten immer die Pumpe an und pumpt das Regenwasser in einem breiten Strahl auf den Rasen.“
Andy schlug nach mir. Ganz vorsichtig, um nur ja keine Druckwellen durch seinen Körper zu jagen. Er jammerte: „Jungs, ich muss euch etwas sagen. Bis nach Hause schaffe ich es nicht mehr.“
Patrick und ich nickten stumm. Der Mann hatte ein wahres Wort ausgesprochen. Zum Glück hatte sich der Stau aufgelöst und wir rauschten nun wieder schneller über die Stadtautobahn von Berlin.
Alle überlegten fieberhaft. Und jeder dachte nur an das eine.
„An der AVUS ist doch der LKW-Parkplatz. Dort könnte man….“
„Zu weit.“
„Der Grunewald…“
„Zu weit.“
„An der Heerstraße ist ein McDonalds.“
„Zu weit.“
„Wisst ihr, dass es bei uns mal einen Rohrbruch gegeben hat? Das Wasser zischte mit hohem Druck aus dem Leck.“
„Klappe, Scheibe!“
Am Ende rief Andy dringlich: „Nächste Ausfahrt raus. Da kommt direkt ein altes verlassenes Industriegelände. Mit einer Wiese. Da sieht uns niemand.“
Und er hatte Recht. Wir fuhren eine verlassene Rampe herunter. Herrlich, hier waren wir für uns und jeder hatte seine eigene Wiese. Der Reißverschluss war schon fast unten, da hörten wir Patrick schreien. Er kam nicht aus dem Auto heraus. Die Kindersicherung! Wir schafften es gerade noch, die Tür von außen zu öffnen, um ein Unglück zu vermeiden.
Was für ein Glücksgefühl. Selig stiegen wir wieder ins Auto und traten ganz entspannt die Heimreise an. Über unsere Frauen werden wir nie wieder lästern. (CS)
Dieser Artikel stammt aus „Zehlendorf Aktuell“ Ausgabe 103 (10/2022).
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