Scheibes Glosse: Neue Kollegen
Viele kleine Firmen und große Unternehmen suchen zurzeit händeringend Mitarbeiter. Das Problem: Der Markt ist wie leergefegt. Es scheint so, als seien während der Corona-Pandemie Millionen arbeitsfähige Twens und Mitdreißiger in ein unbekanntes Land ausgewandert. Die Firmen müssen inzwischen einstellen, was noch da ist – und echte Zugeständnisse machen. Das ist auch bei uns in der Redaktion so.
Früher haben wir die offenen Stellen in der Redaktion nach Talent besetzt. Diese Zeiten sind längst vorbei, wie eine Mitschrift von einem unserer aktuellen Einstellungsgespräche zeigt.
„Guten Tag, Herr Schmidt, Sie möchten gern bei uns anfangen zu arbeiten?“
„Das kommt ganz drauf an. Möchten Sie Zeugnisse sehen?“
„Ach, was. Zeugnisse. Das ist doch nur bedrucktes Papier. Sie atmen, das ist doch schon Qualifikation genug. Alles andere lernen Sie hier einfach bei der Arbeit. Fehler sind doch dafür da, dass man sie erst macht und dann vermeidet.“
„Ich achte sehr auf meine Work-Life-Balance. Können Sie mir denn da Zugeständnisse machen?“
„Aber natürlich. Ich hoffe, dass Ihnen eine 3-Tage-Woche gelegen kommt. Natürlich richten wir Ihnen auch gern ein Home-Office ein. Bei uns gibt es ein kostenfreies Sportprogramm, wöchentliche Massagen, freie Getränke, Gratis-Mahlzeiten und ein umfangreiches Bonusprogramm, sobald Sie einmal zwei Wochen lang nicht krank waren. Corona zählt da natürlich nicht. Haben Sie eine Freundin?“
„Das geht Sie natürlich nichts an, aber nein, habe ich nicht.“
„Dann besorgen wir Ihnen eine Mitgliedschaft bei einem Dating-Dienst im Internet, damit Sie für Ihre soziale Ausgeglichenheit eine Partnerin finden. Und wir stellen Ihnen einen lieben Hund aus dem lokalen Tierheim. Für Ihre emotionale Gesundheit. Und bitte entschuldigen Sie, dass wir Ihnen einfach so eine heterosexuelle Beziehung unterstellen. Wir sind voll woke, sehr tolerant. Wir arbeiten an einer Gender-Vorgabe für unsere Artikel und haben schon seit Jahren eine Unisex-Toilette.“
„Wichtig wäre mir schon noch sehr, dass ich als Neuer nicht die ganzen Doofi-Arbeiten machen muss.“
„Wo denken Sie hin! All diese Aufgaben habe ich doch als Chef längst an mich gerissen. Das kann man doch keinem Mitarbeiter zumuten. Ich bringe den Müll raus, mache das Büro sauber, putze das Klo, übernehme das Beschwerde-Telefon und gehe auch zu allen Presseterminen, die besonders langweilig sind. Oder gefährlich, weil die Wahrscheinlichkeit hoch ist, als Lügenpresse eine aufs Maul zu kriegen. Damit sich unsere ‚Neuen‘ ein wenig eingrooven können, bekommen sie bevorzugt nur die guten Termine – Restauranttests, Kinovorführungen und Konzertbesuche. Natürlich gibt es für unsere Neuen auch ein Spesenkonto, damit sie unterwegs wichtige Ausgaben wie Benzin, Imbiss-Currywurst und Strafzettel nicht aus der eigenen Kasse bezahlen müssen.“
„Ich habe von einem Freund gehört, dass es in seiner Firma gar keine Arbeitsvorgabe mehr gibt. Er entscheidet selbst, wann er arbeiten kommt.“
„Ach wissen Sie, daran soll es doch nicht scheitern. Dann streichen wir das mit der 3-Tage-Woche und Sie kommen, wann Sie wollen. Die liegengebliebene Arbeit drücke ich den alten Mitarbeitern mit rein, die sind das ja nicht anders gewöhnt. Die langweilen sich Zuhause nur.“
„Ich habe noch eine andere Arbeitsstelle in Aussicht, da muss ich fünf Minuten weniger lange fahren.“
„Aber das ist doch gar kein Problem. Wir schicken Ihnen einfach den Firmenwagen mit Chauffeur. Der holt Sie Zuhause ab und bringt Sie auch wieder. Und die fünf Minuten kompensieren wir mit unserem neuen Service-Programm. In Ihrer Arbeitszeit kümmert sich der Chauffeur um Ihre Einkäufe, beaufsichtigt Ihre Handwerker und holt auch die Pakete ab.“
„Wie ist denn Ihre Einstellung als Arbeitgeber zum Thema Powernapping?“
„Da sind wir voll dafür. Wir haben sogar unser Lager geräumt und hier stattdessen einen sogenannten Snoezelraum mit Bettchen, rotierenden Lichtern an der Decke und Smoothjazz-Musik eingerichtet, in den man sich für ein kurzes Schläfchen zurückziehen kann.“
„Sie machen ja ganz schön Zugeständnisse. Wie sieht es mit dem Geld aus?“
„Ach, da sind wir ganz demokratisch. Wir teilen einfach sämtliche Einnahmen noch vor dem Gegenrechnen der Ausgaben durch die Anzahl der Mitarbeiter. Die Steuern zahle ich aus eigener Tasche, wofür ist der Chef denn sonst da?“
„Toll.“
„Wissen Sie, in anderen Unternehmen werden nach dem Peter-Prinzip die Mitarbeiter so lange befördert, bis sie eine Position erreichen, für die sie nicht mehr kompetent sind. Bei uns fangen wir mit der Inkompetenz bereits ganz unten an – bei der Einstellung der Mitarbeiter.“ (CS)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 101 (8/2022).
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