Scheibes Glosse: Beim Arzt
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Tatsache ist: Einen Arztbesuch schiebe ich gern auf die ganz lange Bank. Als Mann gehe ich erst dann zum Onkel Doktor, wenn die Knochen aus der Haut gucken, die Sicht völlig verschwimmt, der Schmodder aus den Ohren tröpfelt oder das Bein völlig seinen Dienst versagt. Letztens war es dann doch wieder einmal so weit. Und was soll ich Euch sagen, ich war bei einem echten Männerversteherarzt!
Der Arzt schaut auf, er ist schon etwas älter und hat einen weißen Kittel an. Um seinen Hals hängt ein Stethoskop. Er guckt mich prüfend über den Rand seiner Brille an: „Herr Scheibe, Sie waren aber schon längere Zeit nicht mehr bei mir.“
Ich stammele: „Nun ja, ich hatte echt viel Arbeit. Plötzlich waren auch die Kinder auf der Welt. Das Farbfernsehen wurde erfunden. Ich war im Urlaub.“
Der Arzt winkt ab: „Ach, wenn Sie gesund sind, dann ist doch alles in Ordnung. Die Steinzeitmenschen sind ja auch nicht zum Arzt gegangen. Obwohl ich nicht verhehlen möchte, dass sie im Schnitt nur dreißig Jahre als geworden sind.“
Ich mache mich frei und der Arzt schaut skeptisch auf meine anatomische Mitte: „Naja, ein, zwei Kilo zu viel haben Sie schon auf den Rippen.“
Ich stottere: „Ich koche halt gern, beim Pokern gibt es immer Süßigkeiten und die Currywurst ist so lecker.“
Der Arzt hält mir eine Schale Bonbons hin: „Alles gut. Es gibt Studien, zwar nicht viele, aber es gibt sie, die besagen, dass ein paar Kilo mehr genau richtig sind, um ein paar Jährchen länger zu leben. Das sagen sie auch zu einem Glas Rotwein am Tag. Sie trinken doch hoffentlich regelmäßig Rotwein? Sonst müsste ich Ihnen das verschreiben. Und wenn Sie einmal auf einer einsamen Insel stranden, haben Sie Ihren eigenen Vorrat immer mit dabei.“
Eine steile Falte erscheint auf der Stirn meines Arztes. Ich lutsche meinen Bonbon und warte ab. Da kommt sie auch schon, die Frage aller Fragen: „Treiben Sie Sport?“
Ich huste: „In Gedanken sehr viel. Tatsächlich ein wenig Badminton.“
Der Arzt winkt ab: „Das ist gut, sehr gut. Allein das Verletzungsrisiko. Abgerissene Bänder, explodierende Knorpel, geprellte Muskeln, angebrochene Knochen. Niemand will so etwas gern haben. Also lassen Sie am besten das Badminton auch noch sein. Sonst verbringen Sie noch Wochen im Krankenhaus, verlieren Ihren Job, werden arm, Ihre Frau verlässt Sie, die Kinder kennen Sie nicht mehr. No sports! Das sagte schon Winston Churchill – und der war einer der berühmtesten Staatsmänner überhaupt.“
Ich muss mich mit Gewalt daran erinnern, warum ich überhaupt beim Arzt bin: „Ich werde meinen Husten gar nicht mehr los. Das macht mir Sorgen.“
Der Arzt horcht meine Lunge ab, dafür hat er ja sein Stethoskop: „Oh ja, das pfeift und zieht in der Lunge, als hätte jemand vergessen, die Tür zuzumachen. Sie rauchen doch wohl nicht etwa? Da würde mir keine Studie einfallen, die das gutheißen würde. Ansonsten ist es doch gut, dass Sie husten. Da wirft der Körper alles aus der Lunge heraus, was da nicht hingehört. Sorgen würde ich mir machen, wenn die Lunge gleich mit herausfliegt. Es wird schon keine Tuberkulose sein.“
Na, da bin ich ja beruhigt. Ich werde mutiger und präsentiere dem Arzt meine Füße. Vorsichtig mache ich ihn auf meinen großen Zeh aufmerksam und frage: „Ist das etwa ein Nagelpilz?“
Der Arzt guckt, schüttelt den Kopf, holt das Vergrößerungsglas hervor und schaut sich die Misere ganz genau an: „Ei, ei, ei.“
Ich frage nach: „Ist es so schlimm?“
Der Arzt schaut mir kurz ins Gesicht: „Keine Ahnung. Damit kenne ich mich nicht aus. Aber ich habe eine Lösung für Sie! Nagellack. Am besten einen schönen roten. Schwupps ist das Problem gelöst.“
Ich staune: „Aber ich bin doch gar keine Frau.“
Der Arzt steht wieder auf und geht zurück hinter seinen Schreibtisch: „Ach, das ist doch heutzutage egal. Sieht doch eh niemand. Und wir können auch ganz klar sagen: Mit Pilzen sind Sie nie wieder allein, das ist doch auch ganz toll.“
Langsam wird mir mein Arzt suspekt. Ich ziehe mich wieder an und möchte gehen.
Der Arzt hält mich auf und öffnet seinen Musterschrank: „Warten Sie, nehmen Sie noch ein paar Proben mit. Wie wäre es mit ein paar Schlaftabletten? Ich habe hier auch etwas gegen Herzrasen. Möchten Sie gern Antibiotika haben? Oder Pillen gegen extrem starke Kopfschmerzen?“
Die Tür geht auf und die Arzthelferin schaut hinein: „Herr Heine! Was machen Sie denn hier? Ziehen Sie sofort den Arztkittel aus. Frau Doktor möchte Sie in Zimmer 2 sehen. Danach sind Sie dran, Herr Scheibe. Bitte noch etwas Geduld.“ (CS)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 99 (6/2022).
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