Scheibes Glosse: Schräge Marotten

Sie sind ja alle etwas komisch, diese Menschen mit ihren schrägen Marotten, den sinnbefreiten Angewohnheiten und den echt skurrilen Ticks. Ich habe so etwas nicht. Ich nehme mir nämlich gern das letzte Stück Torte, habe keine Angst vor schwarzen Katzen und klopfe auch nicht auf Holz, wenn jemand etwas Schlimmes erzählt. Wie gut ist es, dass ich völlig normal bin.
Ich muss niemanden kneifen, wenn eine französische Ente an mir vorbeifährt. Ich habe keine Angst vor einer düsteren Zukunft, wenn ich unter einer Leiter hindurchgehe. Und ich suche in der Tüte Gummibärchen nicht nach den roten Exemplaren.
Kurzum: Ich bin ganz normal. Ich habe keine komischen Marotten, also keine „notorischen Angewohnheiten, die für Mitmenschen unverständlich sind“. Stattdessen denke ich völlig rational und logikgesteuert. Von einigen kleinen nicht weiter erwähnenswerten Ausnahmen einmal abgesehen.
Schlafe ich alleine in einem Hotel in einem Zimmer mit Doppelbett, nehme ich immer die Bettseite, die zum Fenster zeigt.
Tanke ich an der Tankstelle, justiere ich die Benzinabgabe stets so, dass die angezeigte und am Ende zu zahlende Geldsumme mit einer Null endet.
Man darf den Fernsehsender nicht mitten in einem gesprochenen Satz in der gerade gezeigten Sendung wechseln. Ein Senderwechsel darf auch immer nur am Ende einer Werbung stattfinden, nie mittendrin.
Fahre ich mit dem Auto von A nach B, nehme ich immer den Weg, auf dem ich am wenigsten oft abbiegen muss – auch wenn das länger dauert.
Ich lese keine Krimis, die damit beginnen, dass Kinder entführt werden.
Ich lasse eigentlich immer den letzten Bissen auf dem Teller liegen.
Bei Cola darf es nur die echte Coca Cola sein. Bei der Light-Variante geht aber nur Pepsi Max.
Bei allen Dingen, die mir in die Hände kommen, überlege ich mir, ob man sie nicht vielleicht sammeln könnte. Ganz egal, ob es Apotheken-Notdienstpläne, amerikanische 25-Cent-Münzen, bunte Werbe-Kugelschreiber oder aber im Briefkasten eingesteckte Restaurant-Flyer sind.
Ich frage niemals nach dem Weg. Niemals. Auf gar keinen Fall. Lieber verhungere ich mit leerem Tank in einer vergessenen, dunklen Sackgasse in einer fremden, mir völlig unbekannten Stadt.
Biegt jemand im Supermarkt in meinen Gang ein, muss ich weitergehen, egal, ob ich das Gesuchte bereits gefunden habe oder nicht.
Das Wechselklimpergeld, das ich im Laufe eines Tages bekomme, wandert nicht in den Geldbeutel, sondern in die Hosentasche. Abends kommt es in ein Einmachglas. Ich habe von Hause aus niemals Münzen bei mir.
Ich liebe Weisskohl, Wirsingkohl, Rosenkohl, Spitzkohl, Rotkohl, Sauerkraut und Brokkoli. Grünkohl hasse ich dafür wie die Pest, das kommt mir nicht auf den Teller.
Mit Büchern bin ich sehr penibel. Sie dürfen keine Eselsohren haben, keine Lesespuren und keine Flecken. Bei Hardcovern nehme ich vor dem Lesen den Schutzumschlag ab, damit ihm nichts passiert.
Geldscheine lege ich so ins Portemonnaie, dass alle Vorderseiten in die gleiche Richtung schauen.
In jedem Urlaub stelle ich die Koffer ab, drehe eine Runde durch die Nachbarschaft und sage meiner Familie anschließend, welche giftigen Tiere es am Urlaubsort gibt. Die Familie möchte das aber gar nicht wissen.
Ich höre im Auto kein Radio mehr. Stattdessen habe ich im Handy meine Auto-Playlist mit 279 handverlesenen Titeln gespeichert. Laut einer App soll das reichen, um mich 2,2 Tage lang nonstop mit meiner Lieblingsmusik zu versorgen.
Im Bett darf nur der Kopf unter der Bettdecke hervorschauen, wenn das Licht aus ist. Sonst kommt der Schwarze Mann aus dem Schrank und schlägt einem mit seinem Schwert alles ab, was unter der Decke hervorschaut.
Wenn ich Auto fahre, schaue ich regelmäßig in den Rückspiegel, um herauszufinden, ob ich verfolgt werde. Dabei merke ich mir die Autos hinter mir.
Schummeln bei Karten- und Brettspielen geht gar nicht, darauf sollte in meinen Augen eine sehr hohe Gefängnisstrafe stehen.
Wenn man eine Pizza isst, muss man zwingend die Kruste mitessen. Da gibt es keine Diskussionen.
Ich merke mir ganz genau, was man alles in der Natur essen kann und wie man es findet. Falls doch noch die große Zombie-Apocalypse kommt und die ganze Zivilisation zusammenbricht. (Carsten Scheibe)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 97 (4/2022).
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