Scheibes Glosse: Gesund pflegen
Es ist eine wahre Krisensituation für viele Familien: Plötzlich ist ein Schniefen oder ein Hüsteln zu hören, gelber Schnodder läuft aus der Nase und das Fieberthermometer schlägt Alarm – jemand aus der Sippe hat sich einen grippalen Infekt eingefangen. In dieser Situation zeigt sich immer wieder, dass Kinder, Frauen und Männer auf völlig unterschiedliche Weise mit der Krankheit umgehen.
Die Versorgung von kleinen Kindern ist eigentlich denkbar einfach. Man darf nur nicht den Fehler machen, nach dem Namen einer Krankheit zu fragen.
Ein grünlicher Hautausschlag, der im Dunkeln leuchtet? Ein Husten, der klingt, als hätte Charles Bukowski zwei Wochen lang Kette geraucht? Ein Nasenschnodder mit der zähen Konsistenz flüssiger Lakritze? Kein Arzt wird hier eine Antwort wissen, das Kind aber vielleicht insgeheim schon an feindliche Geheimdienste zur Entwicklung biologischer Waffen verkaufen. Besser ist es, die Standardantwort ahnungsloser Doktoren anzunehmen, die bereits ganzen Generationen besorgter Eltern gegeben wurde: „Indifferenter Infekt, beobachten, Fieber senken, abwarten, das geht schon wieder weg.“
Bei Kindern reicht es nun aus, sie ins Bett zu packen, ihr Lieblingsessen zu kochen, einen Stapel Comics zu kaufen und es ihnen auf dem iPad zu erlauben, ein paar Filme anzuschauen, die sie ansonsten aus Altersgründen bislang noch nicht sehen durften.
Beim insgeheim starken Geschlecht der Menschheit, also bei den Damen, sieht die Krankenakte schon ganz anders aus.
Die Frauen ackern in der Regel im Alltag deutlich mehr als die Männer. Sie leisten ihr Pensum auf der Arbeit, kümmern sich nebenbei um den Haushalt, erziehen die Kinder und müssen dann auch noch bei ihren Männern ausbügeln, was deren Mütter bei der Erziehung damals falsch gemacht haben.
Wenn sie ausnahmsweise einmal selbst krank werden – und zwar so sehr, dass das Gehirn zur Nase heraustropft, das Fieberthermometer explodiert und der Schüttelfrost ausreichen würde, um Sahne zu schlagen -, dann wünschen sie sich nur noch eins, nämlich selbst einmal betüdelt zu werden.
Sie erhoffen sich, dass ihr tumber Göttergatte ihnen im Wohnzimmer einen Thron baut, sie in Decken einwickelt, die Füße massiert und feierlich die Fernbedienung überreicht. Und während sie sich dann mit fiebriger Stirn und ziemlich unweiblichem Ins-Taschentuch-Tröten der Krankheit hingeben, hoffen sie darauf, dass die Männer alle ihre Aufgaben übernehmen und nebenbei noch ein Verwöhnprogramm abspulen.
Vieles davon klappt nicht. Und so geraten die Herren schnell in eine defensive Verteidigungsposition. Wie, der kleine Peter musste aus der Kita abgeholt werden? Das wusste ich ja gar nicht. Natürlich war ich einkaufen. Aber dein Lieblingseis haben sie anscheinend gerade aus dem Supermarkt-Programm genommen, das konnte ich nicht finden. Und Blumen gabs nur verwelkte, denen willst du doch nicht beim Verfaulen zuschauen?
So mancher Mann würde in dieser Situation plötzlich versterben, aber oft genug hat sie schon keine Kraft mehr, um ihm harte Gegenstände an den Hinterkopf zu werfen.
Und so gerät sie irgendwann in eine Laune, in der er auch mit etwas Mühe nichts mehr richtig machen kann. Bringt er einen heißen Kamillentee zum Wohnzimmerthron, hätte sie stattdessen einen Tee mit Fenchel erwartet. Und kocht er einen Milchreis, den sie mit ihrem wunden Hals verputzen könnte, hätte sie lieber einen Grießbrei gehabt. Kauft er eine Hühnersuppe, wäre eine Nudelsuppe besser gewesen. Und überhaupt: Als er das letzte Mal krank gewesen ist, da hatte sie doch ALLES für ihn getan!
Und da kommen wir zum nächsten Problem: Männer wollen in der Regel gar nicht umhegt werden. Sie möchten eigentlich nur in aller Ruhe sterben. Dabei haben sie alle Symptome genau im Blick. Läuft die Nase, zeigt das Thermometer eine Kommazahl mehr an als den Normzustand und juckt der Hals, ist es sofort an der Zeit, sich von den Kindern zu verabschieden und ihnen zu erzählen, dass der Papa ins Licht geht.
Nach einigen letzten Anweisungen und Ratschlägen für das weitere Leben der bald Hinterbliebenen möchte der stark leidende Mann eigentlich nur noch eins: Dass man die Abstellkammer für ihn freiräumt, ein paar Decken auf dem Boden auslegt, ihn hier hineinschubst und die Tür hinter ihm schließt. Damit er in Ruhe ableben kann.
Ein auf eigenen Wunsch anonym bleibender Mann berichtet: „In einer solchen Situation kann ich nur noch flach atmen und die Wand anschauen. Ich brauche nichts zu lesen, keinen Fernseher, keinen Tee, keine lieben Worte und auch kein Knabberzeug. Es reicht völlig aus, wenn man alle paar Tage einmal die Tür zur Abstellkammer öffnet und mich mit dem Fuß anstupst, um zu prüfen, ob noch Leben in mir ist. Aber eigentlich reicht mein Stöhnen und Jammern bereits aus, um das auch durch die Tür zu erahnen.“
Zum Glück lässt sich so ein grippaler Infekt meist überstehen. Und plötzlich öffnet sich die Tür zur Kammer wieder – und der Mann ist wieder da. (Carsten Scheibe)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 95 (2/2022).
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