Walking Football in Wannsee: Wieder in Bewegung kommen – Geh-Fußball für Senioren!
Für viele Senioren ist Fußball eine Sportart, die leider nicht mehr in Frage kommt: Die Belastung für Knochen, Herz und Kreislauf ist einfach zu hoch, von der Verletzungsgefahr ganz zu schweigen. Eine Alternative hat Michael Rätsch von der Fußball-Vereinigung Wannsee e.V. etabliert: Beim „Walking Football“ sind Rennen, Kopfbälle und Spielerkontakte verboten.
Im Alter werden die Bälle immer kleiner. Viele Sportler, die früher den Fußball geliebt haben, schaffen es im fortschreitenden Alter und unter dem Eindruck verschiedener körperlicher Beeinträchtigungen nicht mehr, behende über den Platz zu rennen. Sie wechseln dann vom Fußball zum Tennis und später vielleicht zum Golfen. Wenn sie es überhaupt noch schaffen, einen Sport auszuüben.
Michael Rätsch (75) war sein ganzes Leben lang aktiver Sportler. Fußball, Tennis, Fallschirmspringen: „In der Zeit nach den Wettkämpfen tat mir aber immerzu alles weh. Außerdem wurde bei mir auch noch ein Diabetes diagnostiziert. In der Folge habe ich mit 70 Jahren ganz mit dem Sport aufgehört. In einem Diabetes-Magazin las ich Mitte 2019 das erste Mal etwas vom Walking Football, das kannte ich vorher gar nicht.“
„Walking Football“ ist eine Abwandlung vom Fußball, die in England erfunden wurde. Über eintausend Mannschaften huldigen auf der Insel bereits dem Sport, es gibt sogar eine eigene Liga.
Michael Rätsch: „Walking Football richtet sich gezielt an Senioren jenseits der Sechzig, die oft bereits deutlich gesundheitlich angeschlagen sind. Bei uns ist das Spielfeld nur 40 x 22 Meter groß, also etwa ein Viertel so groß wie ein normales Fußballfeld. Wir spielen auf Spezialtore, die drei Meter breit und einen Meter hoch sind. Eine Mannschaft besteht aus sechs Spielern, einen Torwart gibt es nicht. Meist spielen wir drei Drittel à 15 Minuten.“
Die Spieler dürfen beim „Walking Football“ nicht rennen, ein Fuß muss immer auf dem Boden bleiben. Körperliche Kontakte mit Spielern der gegnerischen Mannschaft sind nicht erlaubt und werden abgepfiffen oder mit gelben und roten Karten geahndet: Ein Umwerfen soll so ganz vermieden werden. Außerdem sind Kopfbälle nicht erlaubt und der Ball darf nicht höher als einen Meter fliegen.
Der „Geh-Fußball“ richtet sich an ehemalige Sportler, aber auch an jeden Senior, der Lust darauf hat, sich zu bewegen. Michael Rätsch: „Ich fand die Idee spannend, ich wollte das gern in meinem Wannseer Verein umsetzen. Ich habe in der Folge Zettel in Apotheken und Arztpraxen verteilt. Es kamen spontan vier Mitspieler aus verschiedenen Bezirken in Berlin zusammen. Am 15. August 2019 hatten wir unseren ersten Trainingstag im Sportstadion Wannsee. Mit dabei waren zwei sehr Übergewichtige, die gerne abnehmen wollten, und zwei ehemalige Fußballer mit erheblichen Gelenkbeschwerden. Inzwischen trainieren bei uns Spieler, die einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall überstanden haben. Es gibt auch Spieler, die ein chronisches Rückenleiden haben. Inzwischen sind wir über zwanzig Spieler, die zum Teil über 80 Jahre alt sind und die zwei Mal in der Woche bei Wind und Wetter draußen auf dem Sportplatz trainieren. Leider sind das alles Männer. Wir würden uns sehr über einige Frauen freuen, die vielleicht bei uns mitspielen möchten.“
Michael Pons (63) ist einer der Mitspieler, die sich beim „Walking Football“ (www.walkingfootballwannsee.de) äußerst wohl fühlen. Der Kassenwart der Gruppe sagt: „Ich habe in meinem Leben nie aktiv Fußball gespielt, bin aber trotzdem ein großer Fußball-Fan. Die neue Sportart erlaubt es nun auch mir, im Alter noch einen Teamsport auszuüben. Wie sich meine Beweglichkeit entwickelt hat, das hätte ich mir nie träumen lassen.“
Für Michael Rätsch geht es beim „Walking Football“ vor allem um die Gesundheit, um Spaß und Bewegung: „Wir holen die Menschen aus der Bewegungsarmut wieder an die frische Luft und auf den grünen Rasen. Bevor wir uns dem Ball widmen, gibt es bei uns immer ein 20-minütiges Aufwärmtraining. Der Sport selbst wirkt sogar einer Vereinsamung gerade der älteren Menschen entgegen. Ich muss schon sagen, wir sind eine tolle Truppe, die inzwischen auch Geburtstage zusammen feiert.“
Seit kurzem gibt es mit Ralf Messer (66) einen eigenen Trainer mit Lizenz. Michael Pons: „Seitdem Ralf da ist, lernen wir sehr viel dazu, auch richtige Spielzüge. Das hat uns vorher noch gefehlt.“
Die Wannseer waren der erste Sportverein in der Hauptstadt, der eine eigene Walking-Football-Mannschaft auf die Beine gestellt hat. Michael Rätsch: „Bundesweit waren die Bundesligavereine VfL Wolfsburg und Werder Bremen schneller. Inzwischen gibt es bei uns sieben weitere Berliner Vereine, die eigene Mannschaften gegründet haben.“
Nun steht für den Sommer sogar ein bundesländerübergreifendes Turnier im Raum, das direkt auf der Wannseer Sportanlage durchgeführt werden könnte. Wer da wohl gewinnen mag? Doch ausgerechnet beim „Walkíng Football“, das direkt auf dem klassischen Fußball aufsetzt, steht das Gewinnen absolut nicht im Fokus.
Michael Pons: „Das Gewinnen ist völlig unwichtig. Der Sieg steht an letzter Stelle. Wichtiger ist es, sich mit Gleichgesinnten zu treffen, sich zu bewegen und Spaß zu haben. Das sportliche Ergebnis steht hinten an, es gibt in diesem Sinn auch keine Siegerehrung bei einem Turnier.“
Gern unterstützt das Wannseer Gewerbe die rüstigen Rentner: Die Stolpe Apotheke hat bereits eine erste Spende für die Anschaffung eines Defibrillators in den Topf geworfen. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 94 (1/2022).
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