Scheibes Glosse: Beim Friseur
Warum sind Frauen so oft pleite? Sie gehen zum Friseur! Hier lassen sie sich stundenlang verwöhnen, umfärben, zu neuen Schnitten verführen, mit Pflegetinkturen versorgen und an den Spitzen beschneiden. Am Ende bezahlen sie einen dreistelligen Betrag – und sind glücklich. Bei Männern sieht der Friseurbesuch meist ganz anders aus, auch mangels Masse bei den nur noch spärlich vorhandenen Haupthaaren. Es folgt ein Bericht über ein wiederkehrendes Trauerspiel, das deutlich preiswerter ausfällt als bei den Damen.
Jahrelang bin ich zu einem klassischen Familien-Friseur gegangen. Das ist so ein Friseur, der sich gleich um die ganze Sippe kümmert, also um meine Frau, um mich und um die Kinder. Der Friseur hatte sein Geschäft gleich bei uns um die Ecke. Die ganze Familie ist mit langen Zotteln hingelaufen und mit kürzeren Haaren wieder nach Hause zurückgekehrt. Irgendwann meinte meine Friseurin zu mir: „Du, wir haben da ein Problem.“
Was sie da nur vorsichtig andeutete, das waren meine zunehmend kahler werdenden Stellen auf dem anatomischen Nordpol – also genau an der Stelle auf meinem Hinterkopf, die ich im Spiegel nicht sehen kann.
Ich rückte ihren Satz umgehend grammatikalisch zurecht: „Nicht wir haben ein Problem, sondern leider nur du. Denn weniger Haare bedeuten, dass ich nicht mehr so oft zum Friseur gehen muss. Und ich hoffe darauf, dass es mangels Masse sogar noch etwas preiswerter für mich wird.“
Ich lernte umgehend, dass es für diesen follikelsensiblen Fall eine Fülle an Wässerchen, Pflegemitteln, Salben, Tinkturen, Pillen und Essenzen gibt – allesamt sehr teuer, täglich anzuwenden und geeint im Ziel, dafür zu sorgen, mir auf mystische Art und Weise die Haare aus der Kopfhaut zu ziehen. Und zugleich das Geld aus der Tasche.
Ein Fakt ist an dieser Stelle, dass ich völlig uneitel bin. Auf einer Flugzeugstartbahn aus Beton wächst eben auch kein Gras. Wenn die Haare auf meinem Kopf schwinden möchten, um stattdessen lieber auf den Schultern oder auf den Fußzehen zu wuchern, soll das eben so sein.
Ich wollte demnach kein Geld in teure Tinkturen investieren. Stattdessen verabschiedete ich mich viel lieber von echten Frisuren und gab stattdessen ab sofort das Kommando: „Bitte alles auf neun Millimeter stutzen.“
Im Corona-Lockdown kam es zu einer echten Revolution: Ich entdeckte die Vorzüge einer Haarschneidemaschine für mich. Die Kosten für das Gerät hatte ich bereits nach drei Sitzungen wieder eingespielt. Die Handhabung war ganz einfach: Man stellte das Gerät auf die gewünsche Haarlänge ein und ließ es aus dann allen nur erdenklichen Winkeln über den Kopf sausen. Dabei beugte ich mich über das Waschbecken, um die herunterfallenden Flusen aufzufangen. Das funktionierte in meinen Augen sehr gut. Meine Frau war vom Ergebnis deutlich weniger begeistert. Sie sprach von einem „Flickenteppich“, einem „Eichhörnchen, das betrunken in den Rasenmäher gerannt ist“ und einem „frisurtechnischen Komplettschaden.“
Ja, gut, an einigen Stellen waren die Haare tatsächlich noch etwas länger als an anderen. Meine Frau versuchte das mit meinem Frisur-Kantenschneider auszugleichen, mit dem ich sonst die Koteletten wegsäbele. „Upps“, sagte sie. Nun hatte ich an einigen Stellen plötzlich deutlich zu wenig als zu viele Haare.
„So kannst du nicht vor die Tür gehen“, meinte meine Frau. „Immerhin fällt dein Aussehen auf mich zurück. Geh zum Friseur. Es gibt keine Ausrede.“
Hmm, ich war ja schon einmal bei einem türkischen Barbier. Der hatte jedes Härchen einzeln auf den Kamm gezogen, es begutachtet und mit viel Liebe beschnitten. Der Barbier, den ich nun allerdings aufsuchte, ging die Sache von einer gänzlich anderen Seite an. Ob er nun Angst hatte, als Männer-Friseur als nicht-männlich angesehen zu werden oder ob er in Corona-Zeiten nur besonders schnell fertig sein wollte, konnte im Nachgang nie geklärt werden.
Fakt war in jedem Fall, dass der Typ mit seinem Rasiergerät rasant schnell und sehr brutal über meinen Kopf fräste, als wolle er einen Rotkohl schälen, eine Bowling-Kugel polieren oder einen Apfel pellen. Ich dachte bei dieser unsensiblen Zeitraffer-Behandlung nur an eins: Hoffentlich habe ich keinen Pickel oder Leberfleck auf der Rübe. Denn alles, was sich diesem Rasierer in den Weg stellen könnte, hätte keine Chance, den morgigen Tag zu sehen.
In gefühlt zwei Minuten war ich komplett fertig mit der neuen Frisur. Zum „Dank“ bekam ich noch eine Handvoll Zitronenduft auf den fast nackten Kopf geklatscht. Richtig Angst bekam ich aber erst, als mein Barbier zum Rasiermesser griff, um mir den Nacken auszurasieren. Wenn er nun wieder ein Tempo wie auf der Autobahn vorlegen würde?
Seit dieser Nahtoderfahrung hoffe ich sehr darauf, dass meine restlichen Haare noch deutlich schneller ausfallen mögen. (Carsten Scheibe)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 94 (1/2022).
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