Premiere im Schlosspark Theater: „Dinge, die ich sicher weiß“!
Im Schlosspark Theater weiß man nie so recht, was man bekommt, wenn ein neues Stück ansteht. Es kann klamaukig komisch werden wie bei „Monty Python’s Spamalot“, romantisch-anrührend wie in der „Winterrose“ oder wahnwitzig-irre wie in „Einer flog übers Kuckucksnest“. Mit „Dinge, ich ich sicher weiß“ kommt nun ein echtes Familiendrama mit Herz auf die Bühne. Zum ersten Mal ist auch Heinrich Schafmeister mit dabei.
Rosi ist 18 Jahre alt, das Nesthäkchen ihrer Familie, ein gern gesehener „Unfall“, wie die Eltern immer wieder betonen, und ein echter Wirbelwind. Als man ihr auf einer Europareise das Herz bricht, flüchtet sie verwirrt zurück in den Schoß der Eltern. Da ist doch alles so wie immer, da gibt es bestimmt keine bösen Überraschungen?!
Weit gefehlt. Das Bühnenstück „Dinge, die ich sicher weiß“ von Andrew Bovell zeigt den Zuschauern, welche verborgenen Geheimnisse und Katastrophen unter der Oberfläche der familiären Gemütlichkeit hausen. Und wehe, wenn sich diese Geheimnisse erst einmal ihren Weg an die Oberfläche bahnen.
Der besessen im Garten ackernde Papa (Heinrich Schafmeister) und die scharfzüngige Mutter (Maria Hartmann) müssen in der Folge so einiges schlucken.
Jedes der drei Kinder (Johannes Hallervorden, Annika Martens, Tilmar Kuhn) neben Rosi hat seinen eigenen großen Koffer an Problemen mit dabei – und öffnet ihm im Verlauf des Stücks. Und das tut dem Zuschauer schnell richtig weh. Zu vertraut wird einem die Familie auf der Bühne schon nach wenigen Minuten. Die Mutter, die insgeheim alles weiß, der stoffelige und leicht zu belügende Vater – das kennt man alles so oder in Variationen aus der eigenen Familie. Auch, dass immer wieder um bestimmte Probleme „herumgeredet“ wird, ist sicherlich in vielen Familien so gang und gäbe. Auf jeden Fall kann man sich bestens vorstellen, wie so manche auf der Bühne gezündete „Bombe“ auch in der eigenen Familie einschlagen würde.
Das Stück, im Deutschen von Maria Harpner und Anatol Preissler adaptiert, ist mitunter wirklich brillant in seiner Wortwahl. Insbesondere die Mutter nutzt ihre Sätze wie ein forsch geschwungenes Skalpell, das die Lebenslügen der Kinder zerschneidet, um so zum grundlegenden Kern des Problems vorzudringen.
Angesichts des familiären Chaos, das sich da mit immer mehr Tempo entspinnt, gerät das Nestküken Rosie schnell in eine schwindelige Orientierungslosigkeit, weil das Fundament ihrer Welt auseinanderbricht. Wie ein Mantra muss sie sich den Titel des Theaterstücks aufsagen: „Dinge, die ich sicher weiß. Ich weiß, dass der Sommer zum Herbst wird und der Herbst zum Winter. Und dass auf den Winter der Frühling folgt und nach dem Frühling wieder der Sommer kommt. Und es geht weiter. Das Leben. Es geht weiter.“
Das Stück ist amüsant, poetisch, schmerzhaft ehrlich, erschütternd, berührend und sehr komplex. Man spürt, wie die Familie von ihrer Liebe zueinander zusammengehalten und zugleich zerrissen wird. Man sieht, wie die beiden Elternteile mit dem einen Kind nachsichtiger oder strenger als mit dem anderen sind. Und man erschrickt sich fast, als herauskommt, dass auch die Eltern so ihre ganz eigenen Geheimnisse aus der Vergangenheit haben.
Gleich in den ersten Sekunden greift der wunderbar aufspielende Heinrich Schafmeister als Vater der Familie im Schlafanzug nächtens zum Telefonhörer, um einen Anruf entgegenzunehmen, der kein schöner ist. Darauf folgt eine Retrospektive, bis die Vergangenheit die Gegenwart wieder einholt. Am Ende wird es dem Gast im Theatersaal eng um die Kehle und ein paar Tränchen kullern. Dass das Theater so etwas kann – das ist doch ganz großes Kino, oder? (Text: CS / Foto: DERDEHMEL/Urbschat)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 90 (9/2021).
Seitenabrufe seit 29.09.2021:
Sie haben eine Artikelidee oder würden gern eine Anzeige buchen? Melden Sie sich unter 03322-5008-0 oder schreiben eine Mail an info@zehlendorfaktuell.de.
Anzeige