25 Jahre „Mörderische Schwestern“: Autorinnen lesen im Knast!
Viele Buchhändler können es bestätigen: Frauen lieben es, Krimis zu schmökern. Vielen kann es beim Morden gar nicht blutrünstig genug sein. Sie greifen sogar selbst zur Feder und schreiben erfolgreich eigene Krimis – wahlweise in Form einer pointierten Kurzgeschichte oder als Roman. Im Verbund nennen sich die deutschen Autorinnen „Mörderische Schwestern“.
Die Berliner Regionalgruppe feierte das 25-jährige Bestehen des Vereins nun mit einer echten Marathon-Lesung – stilecht abgehalten im ehemaligen Frauengefängnis in Lichterfelde.
Frauen können ganz schön nachtragend und rachsüchtig sein. Sie beobachten sehr gern, was um sie herum passiert. Und sie haben ein gutes Gefühl für menschliche Beziehungen.
Da ist es kein Wunder, dass sie auch hervorragende Krimi-Autorinnen sind. Um aus dem Schatten ihrer männlichen Kollegen herauszutreten, haben die amerikanischen Autorinnen bereits 1987 den internationalen Verband „Sisters in Crime“ ins Leben gerufen. Hier sind inzwischen über 4.200 Frauen organisiert und bestens miteinander vernetzt.
Am 3. Februar 1996 wurde das deutsche „Chapter“ dieser Vereinigung gegründet – und zwar von sieben Autorinnen in Frankfurt am Main. Vieles ist seitdem passiert. Die selbsternannten „Mörderischen Schwestern“ (www.moerderische-schwestern.eu) haben sich inzwischen von den Amerikanern emanzipiert und ihren ganz eigenen Verein gegründet. 600 mörderische Schwestern gibt es bereits. Zu ihnen zählen nicht nur die Autorinnen allein, sondern auch Buchhändlerinnen, Bibliothekarinnen, Übersetzerinnen, Lektorinnen und andere Buchbranchenprofis. Das erklärte Ziel ist es weiterhin, sich für die Förderung, Anerkennung und Professionalisierung von Autorinnen im Bereich Krimi starkzumachen.
Susanne Rüster, Sprecherin der Schwestern aus Berlin und Brandenburg: „Inzwischen morden wir auch gemeinnützig.“ Die Gemeinnützigkeit hat der Verein erhalten, weil er in jedem Jahr ein Schreibstipendium für eine Autorin auslobt.
Berliner Regionalgruppe feiert mit einem FrauenKRIMITag das Jubiläum „25 Jahre Mörderische Schwestern“
Am 4. September feierte die Berliner Regionalgruppe der „Mörderischen Schwestern“ (www.moerderische-schwestern-berlin.de) das 25-jährige Bestehen des Vereins mit einem wahrlich umfangreichen „FrauenKRIMITag“. Und wo könnte man eine solche Mammut-Lesung besser veranstalten als im ehemaligen Frauengefängnis in der Söhtstraße 7 in Lichterfelde? In dem Gefängnis, das mit seinen Holztüren völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint, saßen noch 2010 Frauen im geschlossenen Vollzug ein. Just genau hier hatte man das Rednerinnen-Pult direkt am Gangende zwischen all den Zellen aufgebaut, die damals verurteilte Mörderinnen beherbergten.
Das Programm begann mit einem musikalischen Vortrag von Katharina Micada. Die „singende Säge“ spielte mit dem Geigenbogen auf der Säge und sang das herzerweichende Stück „Die zersägte Dame“ von Friedrich Hollaender. So stimmte sie auf einen langen und sehr mörderischen Nachmittag und Abend ein. Die Autorinnen Nadine Teuber und Claudia Giesdorf führten als Moderatorinnen durch das Programm, das die Zuhörer 25 Euro kostete.
Viele bekannte Schwestern nutzten die Gelegenheit, um Kurzgeschichten mit einem plötzlichen unnatürlichem Ableben vorzutragen, darunter auch Ute Christensen, Andrea Gerecke, Astrid Ann Jabusch, Carla Maria Heinze, Swenja Karsten, Gesa Knolle, Salean Maiwald, Andrea Maluga, Anja Marschall, Sandy Mercier, Connie Roters, Susanne Rüster, Waltraud Schade, Comsha Stein und Gisela Witte.
Auch Heidi Ramlow als Veranstalterin und Organisatorin hinter den Kulissen setzte sich an das Rednerpult: „Das Bundesprogramm ‚Neu Start Kultur‘ hat uns finanziell unterstützt, sodass wir die thematisch passenden Räume im alten Frauengefängnis mieten konnten.“
Moderatorin Claudia Giesdorf schreibt selbst, seit sie einen Stift halten kann. Professionell publiziert sie seit 2015, inzwischen lebt sie von ihren Büchern, die sich gut verkaufen. Fünf Romane sind erschienen, darunter drei unter dem Pseudonym Jana Herbst: „Das letzte Buch habe ich doppelt veröffentlicht. Erst erschien es im Selbstverlag, dann hat es Weltbild gekauft. Amazon ist aber weiterhin die Plattform, auf der man am besten Geld verdienen kann.“
Der Corona-Lockdown hat der Autorin nicht unbedingt dabei geholfen, ein neues Buch in weniger als dem üblich aufzuwendendem Jahr zu verfassen: „Fürs Schreiben war Corona schlecht. Ich war alleine mit dem Kind Zuhause, da blieb auf einmal weniger Zeit als sonst. Und Kreativität lebt nun einmal vom Erlebten. Unter Corona erlebt man nur leider nicht sehr viel.“
Als Autorin profitiert Claudia Giesdorf sehr von den Mörderischen Schwestern: „Das ist ein tolles Netzwerk mit vielen Expertinnen an Bord. Da kann man schon einmal eine echte Pharmazeutin fragen, wie ein bestimmtes Medikament wirkt. Oder man findet Frauen, die schon einmal einen großen Verlagsvertrag unterschrieben haben, sodass man nachfragen kann, auf was man besser achten sollte.“
„Krimi-Oma“ Heidi Ramlow: Historische Morde mit Muckefuck
Die Lesungen im Knast waren ein echtes Vergnügen für die mucksmäuschenstill lauschenden Zuhörer. Zumal die Geschichten so grundverschieden waren.
Heidi Ramlow, die bereits als Schauspielerin, Regisseurin und Verlegerin gearbeitet und gerade den Brandenburgischen Literaturpreis 2021 gewonnen hat, entführte die Zuhörer ins Berlin des Jahres 1946. Ein Junge treibt durch das entbehrungsreiche Berlin nach dem Krieg und es kommt zu einer schicksalshaften Begegnung mit den Russen, bei der selbstgemachter Muckefuck eine entscheidende Rolle spielt.
Ute Christensen, die viele aus dem Fernsehen („Traumschiff“, „Ich heirate eine Familie“) kennen, ließ eine arrogante Ziege mit ihrer übergewichtigen Freundin als „Flügelfrau“ in einem Skigebiet auf Männerfang gehen. Im Trubel der geäußerten Gehässigkeiten und Fiesheiten finden sich am Ende alle mit einem Ruhepuls von Null im Leichenschauhaus wieder. Karma eben. Ute Christensen: „Ich bin Schauspielerin. Ich muss nicht vom Schreiben leben. Da dauert es auch schon mal länger, bis eine neue Kurzgeschichte fertig ist. Übung macht aber den Meister: Ich habe auch schon ganz viele Drehbücher geschrieben.“
Noch lustiger wurde es bei Astrid Ann Jabusch. Sie drehte in „Alle meine Enkel“ den Enkeltrick einfach um und ließ eine geldgierige Großmutter ihre kriminelle Ader entdecken: „Wenn ich das im Altersheim vorgelesen habe, haben sich alle diebisch gefreut und gequietscht vor Freude.“
Der Tag endete mit einem Kreuzverhör mit dem Kriminalisten Manfred Lukaschewski und einem „Crime Poetry Slam“, der bis Mitternacht andauerte (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 90 (9/2021).
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