Interview mit Autor Till Raether über Zehlendorf-Roman „Treue Seelen“
Till Raether (Jahrgang 69) wuchs in Zehlendorf auf, musste die Stadt Berlin allerdings als junger Erwachsener verlassen, um seiner Passion nachzukommen – dem Schreiben. Als Redakteur der Hamburger Zeitschrift „Brigitte“ verdiente er fortan seine Brötchen. Nebenbei etablierte er sich als Romanautor und schickte mit Kommissar Adam Danowski ein besonders wunderliches Exemplar in den Ermittlungsdienst. Nun folgt sein Buch „Treue Seelen“.
Das tauscht den Krimi gegen eine Liebesgeschichte ein, spielt in Zehlendorf und weckt Erinnerungen an die Zeit, als in West-Berlin noch die Mauer stand.
Wie war das eigentlich, das Gefühl, damals in den Achzigern in Berlin-Zehlendorf aufzuwachsen? Als Steglitz noch ein eigenständiger Bezirk war, es cooles Langnese-Eis am Kiosk gab, der mörtelgraue „Osten“ auf der anderen Seite der Mauer wartete, die Kinder draußen spielten, bis es dunkel wurde, und die Jugendlichen vor dem „Haus Teltow“ abhingen, weil nur hier die Disco eine Mark kostete?
Till Raether war damals nicht nur dabei, sondern mittendrin. Als Buchautor hat er sein neues Werk „Treue Seelen“ genau in dieser Ost-West- und Tschernobyl-Zeit von Zehlendorf angesiedelt – und viele Erinnerungen an damals einfließen lassen. Echte Zehlendorfer werden deswegen mit dem neuen Roman ihr Vergnügen haben und in vielen Passagen die eigene Biografie wiederfinden. Die Fragen stellte Carsten Scheibe.
Nanu, „Treue Seelen“ ist ja gar kein Roman um Kommissar Adam Danowski. Was war das gleich noch mal für einer und wie viele Romane sind da erschienen?
Till Raether: „Adam Danowski ist ein alter Zehlendorfer, der Anfang der 2000er Jahre nach Hamburg abgeworben wurde, um dort als Kommissar in Tötungsdelikten zu ermitteln. Er ist von undeutlichem Heimweh nach Berlin geplagt, ermittelt umständlich und übellaunig, aber am Ende erfolgreich, und hat das bisher in fünf Romanen gemacht. Einer wurde verfilmt, mit Milan Peschel als Danowski, neulich im ZDF.“
„Treue Seelen“ ist ein Roman über die „verdrängte Geschichte einer ganzen Generation“. Was meinst du damit, was wurde da verdrängt?
Till Raether: „Na ja, du darfst nicht vergessen: die Klappentexte schreiben meist die Verlage und nicht die Autoren … Also, ich hätte nicht das Wort ‚verdrängt‘ gewählt. Aber es trifft schon, finde ich: Ich glaube, wir West-Berliner aus den Achtzigern haben ein bisschen verdrängt, dass es damals eine Zeit gab, in der wir dachten: Die Mauer bleibt, Berlin wird immer eine geteilte Stadt sein, man kann sich daran gewöhnen, es gibt keine Alternative. Die meisten Menschen, an die ich mich in West-Berlin erinnere, hatten sich damit abgefunden, dass das so ist. Mich eingeschlossen, aber ich war auch ein arroganter und ziemlich ahnungsloser Teenager.“
Worum geht es in „Treue Seelen“ eigentlich?
Till Raether: „Das ist eine Liebesgeschichte, die im Zehlendorfer Frühsommer 1986 spielt. Tschernobyl-Zeit! Ein junges Paar zieht aus, wie wir damals sagten, Wessiland nach West-Berlin und erwartet, dass da die Luzy abgeht.
Sie landen aber in Zehlendorf, lassen sich von der ruhigen Atmosphäre einlullen, bis er eine Affäre mit der älteren Nachbarin anfängt. Es ist eine Geschichte über einen wunderbaren Sommer, über dem eine diffuse Bedrohung liegt, es geht um das Scheitern von Beziehungen und Aufbruchsstimmung. Und um Civan’s Döner Imbiss an der Clayallee.“
Wie lange hast du an dem Buch geschrieben und warum hat es der Verlag genommen – und nicht ein weiteres Adam-Danowski-Buch verlangt?
Till Raether: „Ich musste erst zu einem anderen Verlag! Nein, im Ernst, ‚Treue Seelen‘ erscheint bei btb in München, mit den Danowskis geht es weiter bei Rowohlt in Hamburg. Im September kommt der nächste. Ich habe also zeitweise parallel an den Büchern gearbeitet. An einem Krimi arbeite ich etwa ein Jahr, an ‚Treue Seelen‘ doppelt so lange.
Und ich glaube, es ist immer gut, wenn man als Autor auch unterschiedliche Sachen macht. Das ist wie in jedem Job: Dadurch entwickelt man sich ja hoffentlich auch weiter, und die anderen Projekte profitieren davon. Meine Schwiegermutter sagt immer: Man wird alt wie ‘ne Kuh und lernt immer noch dazu. Hoffentlich!“
Die 80er Jahre, die im Buch eine Rolle spielen: Das ist ja nicht von ungefähr die Zeit deiner eigenen Jugend. Und da das Buch in Zehlendorf spielt: Wie war denn der Bezirk so in den Achtzigern für dich? Nimm uns mal mit auf einen Trip durch deinen Kiez?
Till Raether: „Meine Frau und ich haben uns gerade eine ganze Autofahrt lang über Eis-Hennig unterhalten, und wie es einfach das Ding war, in der Filiale an der Berliner Straße abzuhängen, gegenüber vom Hinterausgang von Woolworth. Bei Wulle hatte ich leider ein Jahr Hausverbot, weil ich sehr ungeschickt versucht hatte, ein 10er-Pack Cassetten zu klauen. Was blöd war, weil meine Mutter, die nichts davon wusste, mich immer dahin geschickt hat, und dann musste ich mir Ausreden ausdenken, warum es bei Woolworth keine Klobürsten gibt gerade. Bei ‚Die Schallplatte‘ nebenan habe ich 1986 Ärger bekommen, weil ich mit meinem Trick aufgeflogen bin, Platten zu kaufen, zu Hause auf Cassette zu überspielen und dann mit der Begründung, sie seien ja schon gespielt, zurückzubringen. ‚The Queen Is Dead‘ von ‚The Smiths‘ war die letzte LP, wo mir das gelungen ist, die Cassette habe ich noch. Ansonsten war mein wichtigster Besitz der orangefarbene Jugendfilmclub-Ausweis vom Bali-Kino, da war ich in jeder verbilligten Vorstellung, für drei Mark um 18 Uhr und für fünf Mark um 20 Uhr, am Donnerstag, das war auch ein super wichtiger Treffpunkt für uns. Mein Freund Benni und ich fanden es lustig, auf den zwei letzten Sitzen am Gang in der letzten Reihe Zigarren zu rauchen und sind dafür rausgeflogen. Manchmal kam Helgard Gammert, die wunderbare Chefin, während der Vorstellung rein, hat das Licht angemacht und dem gesamten Publikum gesagt, wir sollen endlich leise sein und ihre Stühle nicht kaputtmachen. Ich hab Zehlendorf damals, im Gegensatz zu den Figuren in meinem Roman, durchaus als aufregend und abwechslungsreich empfunden, aber als Teenager ist einem ja auch noch alles neu.“
Der Ost-West-Konflikt, der ja in Berlin immer spürbar war, wie hast du ihn selbst damals erlebt?
Till Raether: „Mein Vater hat viele Freundschaften im Osten der Stadt und in der DDR gepflegt, wir waren relativ oft ‚drüben‘, wie man sagte. Ich habe mich dann immer irgendwie fehl am Platze gefühlt, aber vielleicht lag das auch an der Pubertät. Die stärkste Erinnerung an den Ost-West-Konflikt ist für mich das stundenlange Warten im Stauraum von Dreilinden, bevor es über die B5 Richtung Hamburg und Nordsee-Urlaub ging, und wie mein Vater hin und wieder nicht widerstehen konnte, auf die Frage ‚Waffen, Munition, Funkgeräte?‘ mit ‚Danke, wir kaufen nichts‘ zu antworten, das hat dann immer noch ein, zwei Stunden mehr auf die Uhr gepackt. Da kam es dann auf den Bahnübergang bei Karstädt, wo immer die Schranke zu war, auch nicht mehr an. Und die Berichte über die auf der Flucht Getöteten haben mich sehr beeindruckt und beschäftigt, zuletzt in Zehlendorf ja noch Anfang 1989 Winfried Freudenberg, der mit seinem Ballon beim Waldsee abgestürzt ist.“
Tschernobyl spielt ja in dem Buch eine große Rolle. Hat dich der Unfall damals so sehr mitgenommen, geprägt?
Till Raether: „Nein, gar nicht. Ich erinnere mich allerdings an den Moment, an dem meine Freundin und ich an einem Kiosk Ecke Argentinische Allee die Schlagzeile auf der Händlerschürze der BZ sahen, und uns klar wurde, wie ernst das ist. Wir haben dann trotzdem unsere Fahrradtour gemacht und Nutella zum Frühstück gegessen. Ich muss sagen, dass ich mich komplett unverwundbar gefühlt habe, aber das soll ja auch so sein mit 17, oder?“
Die wichtigste Frage: Wie konntest du Zehlendorf nur verlassen?! Du lebst jetzt in Hamburg, oder? Was hat Hamburg, was Zehlendorf nicht hat? Und was vermisst du?
Till Raether: „Ich hab Zehlendorf unmittelbar nach dem Abi verlassen, aber meine Mutter hat noch bis 2017 hier gewohnt. Ich bin zum Arbeiten bei ‚Brigitte‘ nach Hamburg gegangen, das einzige, was Zehlendorf nicht hatte, war eine große Zeitschriftenredaktion. Meine Kinder sind in Hamburg geboren, ich fühle mich da jetzt schon verwurzelt, aber doch auch so, als wäre das nur eine Zwischenstation. Ganz ehrlich vermisse ich an Zehlendorf vor allem das Gefühl, von hier zu kommen, jeden Stein und jeden Strauch und jedes Straßenschild zu kennen.“
Du kommst vom Schadow-Gymnasium, oder? Bist dann stellvertretender Chefredakteur von Brigitte geworden. Hat dir das Shadow-Gymnasium den Schubs in diese Richtung gegeben? Oder kam das Schreiben ganz woanders her?
Till Raether: „Ich hab sehr gern für den ‚Roten Turm‘ geschrieben, die Schülerzeitung vom Schadow-Gymnasium. Und ich bin nach dem Schadow auf der Journalistenschule in München angenommen worden, sicher wegen der Erfahrung beim ‚Roten Turm‘. Und bei den Science-fiction-Fanzines, die wir ja unter anderem beide zusammen gemacht haben. Na ja, vom Teltow-Kanal an die Isar, puh, das war ein echter Kulturschock. Zum Studium war ich dann wieder in Dahlem, später kam ich dann auf Umwegen über die USA nach Hamburg, und heute schreibe ich neben den Büchern vor allem Kolumnen für ‚Brigitte Woman‘,
‚Merian‘ und andere.“
Bist du ein übersensibler, gequälter Geist? Man sagt ja, Autoren können nur gute Bücher schreiben, wenn sie selbst ordentlich leiden.
Till Raether: „Ich bin vor allem Optimist, und ich glaube, das ist eine super wichtige Eigenschaft fürs Bücherschreiben. Um sich hinzusetzen und sicher zu sein, dass man nach der ersten Seite noch 349 weitere schreiben kann, muss man schon optimistisch sein.“
Und finden deine Kinder dich toll, weil du Romane schreibst? Oder haben andere Papas coolere Jobs?
Till Raether: „Es interessiert sie nicht, aber sie sind jetzt auch 17 und 14. Als sie etwas jünger waren, fanden sie den Beruf gut, weil sie immer nur gesehen haben, dass ich nachmittags auf dem Sofa liege. Wie hart ich dabei nachdenke, sieht man ja von außen nicht.“
Was steht als nächstes an? Und wann ziehst du zurück nach Zehlendorf?
Till Raether: „Ich arbeite an einem Roman, der in den Siebziger Jahren in Steglitz spielt, aber erstmal kommt ‚Hausbruch‘, der sechste Danowski-Krimi. Meine Frau ist auch im Südwesten aufgewachsen, ich denke, sobald die Kinder aus dem Haus sind, kommen wir zurück.“ (Foto: Isabela Pacini)
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