Scheibes Glosse: Briefwechsel
Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe waren nicht nur berühmte deutsche Autoren, sondern auch langjährige Brieffreunde, die sich zwischen 1794 und 1805 in etwa eintausend Briefen ausgetauscht haben. In den Schreiben ging es nicht nur um ihre literarischen Werke, sondern auch um Kommentare zu ihrem alltäglichen Erleben. Was wäre, wenn die beiden Autoren in Corona-Zeiten Briefe ausgetauscht hätten?
Mein lieber Freund,
es ist eine merkwürdige Zeit voller Unsicherheit und Spuk. Ein geheimnisvolles Teilchen rauscht durch die Luft. Es lebt nicht und macht doch krank, lässt das einfache Volk husten und die hohe Gesellschaft im Fieber erstarren. Zur Vermehrung scheint es den Menschen zu gebrauchen und hier zeigt sich, dass Geselligkeit, obwohl sonst in den Wirtshäusern hoch geschätzt, schnell ins Verderben führt.
Erste Stimmen erklingen, die darum bitten, man möge das Taschentuch, welches ansonsten in der Weste mehr dekorativen Zweck erfüllt, mit Parfum getränkt vor der Nase tragen. Ich weiß nicht, ob es der Beschäftigung des Volkes dient oder eine tatsächlich ursächliche Wirkung hat. Ich folge der Anweisung, und wenn ich dabei nur denken würde, es hielte die derben Gerüche meiner Umwelt von mir fern.
Habt Ihr schon Kenntnis von der Seuche, mein guter Freund? (Weimar, G.)
Werter Kollege,
Auch bei uns ist das unsichtbare Detergenz bereits dabei, der uns alle umgebenden Luft ihre unbekümmerte Frische zu nehmen. Angst und ein vorahnender Schrecken hemmen auch in unserer Nachbarschaft jeden Atemzug und die Herren Doktoren beklagen vollgezogene Betten in den Hospitalen.
Mir wurde ein anderer Fakt auffällig. Die Bürger horten die Zeitungen von gestern, um auf dem Abort ausreichend Material zur Säuberung des Allerwertesten zu haben – in der Befürchtung, die gedruckten Zeitungen würden in dieser Zeit der Unsicherheit auf Dauer nicht ausreichen. Auch steigt der Umsatz an Bäckerhefe auf einmal ins Astronomische. Mich deucht auch hier eine unnatürliche Angst Auslöser der Käufe zu sein. Als würde das gemeine Volk dazu in der Lage sein, ein Brot zu backen, wie es nur der Bäcker vermag.
Diese Handlungen ergeben mir keinen rechten Sinn und lassen mich ob ihrer unreflektierten Weise nachts schwer in den Schlaf finden. Hätte ich Angst, ob dieser diffusen Seuche keine Nahrung mehr zu finden, so würde ich doch eher dazu raten, ein paar Hühner und Hammel anzuschaffen. Und anstelle der Zeitungen würde ich sehr zur Bereitlegung eines angefeuchteten Lappens raten.
Schiller
Eben, da ich schließen will, verkündet der Nachtwächter mit lauter Stimme eine Ausgangssperre. Nachdem die zehnte Glocke am Abend erklingt, soll das Flanieren im Freien unterbunden werden. Ich verzichte so schweren Herzens auf meinen nächtlichen Spaziergang am Fluss und widme mich meinem neuen Roman.
Mein lieber Freund,
leider muss ich unser geplantes Treffen, dem ich voller Freude entgegengeschaut habe, doch wieder verneinen. Aufgrund der Seuche in der Luft, die zunehmend auch in Weimar Raum greift, ist das Reisen gänzlichst untersagt. Weder aus dem reinen Vergnügen, Euch zu sehen, noch aus geschäftlichem Anlasse darf ich in die Kutsche steigen. Ach, könnte ich wie Faust mit dem Besen aufsteigen, ich würde umgehend zu Ihnen eilen.
Doch es kommt noch garstiger, mein lieber Freund. Abstand zu halten, ist die neue Anweisung aus dem Rathaus. So weit, wie meine Arme reichen, darf ich niemanden mehr berühren, umarmen, freundschaftlich knuffen oder auch im Grimm aus den Schuhen heben. Ich möchte sehen, wie die hohen Herren, wie sie da im Ratskeller zechen, ihre breiten Pranken von den Hinterteilen der Schankfrauen auf Abstand halten!
Empört der Eure. G.
Werter Kollege,
fiebrig schreibe ich Euch diese Zeilen, mit zittriger Hand. Verzeiht, wenn die Schrift sich unlesbar aufs Blatt herniedersenkt, ein schrecklich Husten schüttelt mich. Ich habe die Seuche. Und hätte es wissen müssen. Das hohe Amt hat einen Test verfügt. Einmal in der Woche muss nun jeder Bürger zur Zauberfrau, um beim Pendeln zu erfahren, ob die unsichtbare Seuche bereits vom Körper Besitz ergriffen hat. Die Frau sah bei mir kein Pendeln, aber mir war, als hätte ich einen kleinen Ausschlag gesehen.
Mit Schröpfkuren, Blutegeln und Adernlass kämpfe ich gegen den Feind in meinem Körper. Noch hege ich Hoffnung. Seid auch Ihr mir wohlgesonnen, mein Freund.
Schiller
Mein lieber Freund,
ich schicke Euch anbei Zeitung, Hefe und beste Wünsche zur Genesung. In Weimar haben die Herren Medicus ein Vaccinum entwickelt, das helfen soll. Es wurde mir gestern mit einer gewaltigen Nadel in die Kehrseite appliziert. G. (CS)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 86 (5/2021).
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