Scheibes Glosse: Corona-Wörterbuch
Oh weh. Corona hat die ganze Welt auf links gedreht, das öffentliche Leben angehalten und dafür gesorgt, dass die Menschheit auf Abstand geht. Kuscheln war gestern, heute begeht man lieber “social distancing” nach der Abstandsregel oder der AHA-Formel. Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache hat festgestellt, dass Corona seit März 2020 für 1.200 Wortneuschöpfungen oder Wortumdeutungen gesorgt hat.
Demnächst bekommt Corona bestimmt noch ein eigenes Duden-Kapitel. Damit man die Seuchenbegriffe auch ja richtig schreibt.
Tatsächlich ist es wirklich krass, sich einmal vor Augen zu führen, was für Wörter wir auf einmal täglich benutzen, die vor zwei, drei Jahren noch niemand auf der Welt verstanden hatte.
Das beginnt bereits beim Einkaufen im Lockdown oder im Shutdown. Die eigene Wohnung, auch Quarantänefestung genannt, verlässt man nur noch zum Einkaufen. Um der grassierenden Klopapierhysterie zu huldigen, muss man vor Betreten des Supermarkts unbedingt einen Mund-Nasen-Schutz aufsetzen, so will es die von der Regierung verordnete Maskenpflicht und auch die öffentliche Maskendisziplin. Wer kein Maskenmuffel sein möchte, setzt besser das Gesichtskondom oder einen Schnutenpulli auf. Im Supermarkt gilt inzwischen eine Einkaufswagenpflicht, ohne Wagen als Abstandshalter wird kein Einkaufen mehr gestattet. Viele Einzelhändler müssen derweil geschlossen bleiben, hier kommt es zum Schaufenstershopping mit dem Handy in der Hand. Wer lieber online bestellt, bekommt seinen Zusteller kaum noch zu Gesicht – es gilt neuerdings die kontaktlose Zustellung. Das bedeutet: Die Pakete werden auf dem eigenen Anwesen versteckt und man kann sie suchen gehen.
Wer in seiner Quarantäneblase einen Trip nach draußen plant, wird schnell zum Hygieneritter und passt auf, bloß nicht ins Visier eines selbsternannten Seuchen-Sheriffs zu geraten. Denn eins ist klar – noch so eine Coronawelle können wir uns alle nicht leisten, die 50er-Inzidenz muss unbedingt bewahrt werden. Also werden wir ganz vorsichtig zur Anderthalbmetergesellschaft, frönen in den Hotels lieber einem Beherbergungsverbot und denken über eine Öffnungsstrategie so rein gar nicht mehr nach. Niemand möchte schließlich gern zum Superspreader werden, keiner möchte eine Virusmutante ausatmen und jeder nimmt statt einer Umarmung einen Ellenbogengruß, den Fist Bump oder den Foot Shake mit zusammengeschlagenen Füßen in Kauf, um sich zu begrüßen. Die Reproduktionszahl muss unbedingt im Auge behalten werden, damit die Sieben-Tage-Inzidenz auf lange Sicht endlich mal wieder sinkt.
Wer nicht gerade systemrelevant ist und coole Sonderprivilegien genießt, ärgert sich über seine mangels Friseur-Besuch wuchernde Coronafrisur (alias Krisenfrise), macht ob der vielen Freizeit ein Coronababy und hat Angst vor seinem späteren After-Corona-Body: Besuche im Fitness-Studio sind ja leider auch nicht möglich.
Wer eine Firma hat, versucht durch eine aufgestellte Spuckschutzscheibe aus Plexiglas, rechtzeitig beantragte Überbrückungshilfen und die zugesagte Dezemberhilfe zu überleben, scheitert dann aber doch an der Coronawolke und der Covidverordnung. Und nicht zuletzt an der Bürokratie.
Der Nachbar wird derweil wieder zur Coronapetze, wenn man bei der Umsetzung der Homeofficepflicht nicht die Ein-Freund-Regel beim Besuch beachtet, der Hustenetikette nicht gerecht wird oder gar eine in der Öffentlichkeit verpönte Coronaparty feiert. Dabei wissen wir doch alle, dass die Gesundheitsämter eine Kontaktnachverfolgung kaum noch umsetzen können und man so sehr schnell zum Infektionstreiber wird.
Ach, ihr seid doch alles doofe Schlafschafe, sagen da die Querdenker, die absolut coronamüde sind, nach dem Konsum von zu vielen YouTube-Videos von der Coronalüge reden und von der Allgemeinheit gern als Covidioten bezeichnet werden. Sie pfeifen auf den digitalen Fernunterricht und auf die Herdenimmunität und möchten endlich wieder einmal verreisen. Mit dem schwedischen Modell wäre das alles nicht passiert!
Derweil beginnt nun endlich das Impfen. Es werden überall erste Impfzentren aufgebaut. Um den Impf-Nationalismus zu vermeiden, impft Deutschland mangels Impfstoff allerdings viel zu langsam. Es kommt zum Impftourismus, die Impfstoffmafia entsteht, und wer dank der Impfpriorisierung keinen Impfvorrang bekommt, entwickelt einen echten Impfneid. Denn es geht für die, die geimpft sind, ohne dabei zum Impfvordrängler zu werden, auch um Impfprivilegien. Und möchten wir nicht alle unser altes Leben wieder zurück haben? (CS)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 84 (3/2021).
Seitenabrufe seit 30.03.2021:
Sie haben eine Artikelidee oder würden gern eine Anzeige buchen? Melden Sie sich unter 03322-5008-0 oder schreiben eine Mail an info@zehlendorfaktuell.de.
Anzeige