Noch 2.960 Kilometer: Auf dem Jakobsweg bloß nicht die Orientierung verlieren!
Alle Wege führen nach Rom. Ganz viele führen aber auch nach Santiago de Compostela in Spanien. Das ist nämlich das erklärte Ziel von vielen Menschen, die auf dem Jakobsweg pilgern. Allein im vergangenen Jahr kamen 347.578 Pilger aus 190 Nationen in Santiago an, um ihr Pilgerbuch vorzuzeigen und sich ihren Segensspruch und eine Urkunde abzuholen.
Seit dem 30. Oktober wissen nun zumindest alle Steglitzer: Vom Drachenspielplatz in der Sembritzkistraße aus sind es noch ganz genau 2.960 Kilometer bis nach Santiago de Compostela. Denn an diesem Tag wurde direkt auf dem Spielplatz eine Trafostation vom Stromnetz Berlin eingeweiht, die mit einem passenden Wegweiser versehen wurde.
Was viele Berliner so gar nicht auf dem Schirm haben: Auch durch die deutsche Hauptstadt führt ein Pilgerweg. Das ist die „Via Imperii“.
Jörg Steinert vom Präsidium der Jakobusgesellschaft Brandenburg-Oderregion (www.brandenburger-jakobswege.de) hat sich in Berlin dafür starkgemacht, diesen Jakobsweg besser auszuschildern: „Von hier aus bis nach Santiago de Compostela braucht man zu Fuß auf dem Pilgerweg etwa drei Monate. Ich kenne mehrere Pilger, die diesen Weg bereits gegangen sind. Jahrhundertelang waren nur Männer auf dem Jakobsweg unterwegs. Das hat sich in der modernen Zeit gründlich geändert, seit 2018 sind mehr Frauen auf dem Jakobsweg anzutreffen als Männer. Aufgrund von Corona pilgern in diesem Jahr übrigens so viele Menschen wie seit dem Hochmittelalter nicht mehr auf dem Jakobsweg. Das liegt natürlich auch an den Reiseeinschränkungen.“
Claudia Rathfux, Prokuristin beim Stromnetz Berlin: „Bereits zu Beginn der Sommerferien hat Stromnetz Berlin mehrere Jakobsweg-Stromkästen in Tempelhof-Schöneberg und Steglitz-Zehlendorf mit Kilometer-Angaben versehen und als Wegweiser für den berühmten Pilgerweg eingeweiht. Nun wurde das erste Trafohäuschen mit Jakobsweg-Motiven gestaltet. Damit fügen wir der Beschilderung des Berliner Teils des Jakobswegs ein weiteres optisch ansprechendes Element hinzu. Wir freuen uns, dass wir damit die Sichtbarkeit dieses Kulturweges in unserer Stadt weiter verbessern können und hoffen auch, dass sich quer durch alle Bezirke weitere Unterstützer für die Wegmarkierungen finden.“
Das Trafohäuschen wurden von Mario Winkler gestaltet. Seine Firma Motiv-Wunsch.de verschönert bereits seit 15 Jahren kreativ Fassaden und andere Flächen in der Region. Das Häuschen zeigt auf der zum Spielplatz hingewandten Seite die Zeichnung eines jungen Mannes, der schwer bepackt, aber frohen Mutes den Weg nach Santiago de Compostela antritt. Die Richtung ist vorgegeben, auch die Entfernung wird angegeben.
Jörg Steinert: „Das Wandbild basiert auf einer Karrikatur von mir, die auch auf dem Pilgerpass der Kinder zu finden ist. Auf der anderen Seite des Häuschens ist das Brandenburger Tor in Berlin zu sehen – es markiert den Start der Reise. Passend dazu sieht man auf der anderen Seite des Häuschens das Ziel: Santiago de Compostela.“ Gern gibt der Graffiti-Künstler Mario Winklern allen Pilgern auch noch den klassischen Gruß mit auf den Weg: „Buen Camino“ steht es da zu lesen.
Mario Winkler: „Das Verschönern des Trafohäuschens ging sehr flott über die Bühne. Am Samstag wurden die Motive abgestimmt, ich habe zwei Tage vor Ort an den Bildern gearbeitet und am Freitag war schon alles fertig.“
Es handelt sich bei dem Trafohäuschen als Jakobsweg-Wegweiser übrigens um das erste seiner Art. Jörg Steinert: „Ich selbst bin schon 5.000 Kilometer auf dem Jakobsweg gepilgert, davon über tausend allein in Deutschland. So eine Trafostation als Wegweiser ist mir nie begegnet. Es gibt übrigens eigene Internetseiten mit Fotos der schönsten Wegweiser und Ausschilderungen. Da wird unsere Trafostation sicherlich auch bald zu sehen sein.“
Auch Frank Mückisch, Stadtrat für Bildung, Kultur, Sport und Soziales im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, freute sich über den ungewöhnlichen Wegweiser im eigenen Bezirk: „Der Pilgergedanke führt seit dem Mittelalter Menschen zusammen und lässt sie über ihr gemeinsames europäisches Erbe nachdenken. Ob religiös und/oder sportlich motiviert: Pilgern tut Leib und Seele gut und als Kulturstadtrat von Steglitz-Zehlendorf begrüße ich es ausdrücklich, dass wir den Verlauf des historischen Jakobswegs auch in unserem Bezirk sichtbar machen. Damit wird unser lebens- und liebenswerter Bezirk noch ein Stück weit attraktiver. Wir heißen alle Pilgerinnen und Pilger herzlich willkommen bei uns.“
Mit dem Trafohäuschen ist die Ausschilderung des Jakobsweges in Berlin noch lange nicht abgeschlossen. Jörg Steinert: „Allein in Steglitz-Zehlendorf sind acht weitere Stromkästen in Planung, die zu einem Wegweiser des Jakobsweges werden sollen. Die kleineren Stromkästen werden aber in der Regel einfarbig angemalt und mit der Jakobsweg-Muschel, einer Richtungsangabe und einer Kilometermarke versehen. Da man an einigen Stellen leicht vom Weg abkommen kann, wünschen wir uns auch Stromkästen etwas abseits der Strecke, die verirrte Pilger wieder zurück auf den Jakobsweg lotsen.“
Für die Betreiber des Trafohäuschens hat das Aufhübschen der Sichtflächen mit kunstfertigen Bildern auch einen sehr praktischen Grund: Die Stromkästen sind immer wieder Angriffsfläche für Jugendliche, die hier Tags aufsprühen. Sind sie mit einem professionellen Graffiti versehen, bleiben die Flächen verschon. Außerdem erhöhen die nun positiv auffallenden Trafostationen und Stromkästen die Sichtbarkeit des Stromnetzes.
Auf jeden Fall wissen nun alle Pilger in Steglitz: Sie sind noch auf dem richtigen Weg. Auch wenn noch ein paar hunderttausend Schritte zu gehen sind, bis Santiago de Compostela endlich am Horizont auftaucht… (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 80 (11/2020).
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