Radfahren in Steglitz-Zehlendorf: Der ADFC berichtet!
Corona hat dafür gesorgt, dass immer mehr Berliner aufs Fahrrad umsteigen. So umgehen sie den öffentlichen Nahverkehr und damit den allzu innigen Kontakt mit jeder Menge fremder Menschen. An der frischen Luft sinkt das Infektionsrisiko deutlich – und zugleich tun die Radfahrer strampelnd auch noch etwas für die eigene Gesundheit.
Doch schaut man sich als Radfahrer in Steglitz-Zehlendorf um, so ist das Fahren mit dem Zweirad nicht immer ein reines Vergnügen. Oft fehlen Radwege komplett – oder sie sind in einem schlechten Zustand. Und in den Nebenstraßen bestimmt noch immer sehr oft das rumpelige Kopfsteinpflaster das Bild.
Wer könnte besser Bescheid wissen um die Nöte der Fahrradfahrer im Bezirk als die Stadtteilgruppe Steglitz-Zehlendorf vom „Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club Berlin e.V.“ (ADFC, www.adfc-berlin.de)? Wir sprachen mit Susanna Czerlinski, Michael Dittmann und Ingo Kraatz.
Susanna Czerlinski: „Unsere Stadtteilgruppe wurde kurz vor der Wende gegründet, da war ich schon mit dabei. Unsere Mitgliederzahl im Altbezirk Steglitz ist vierstellig, wirklich aktiv sind etwa zwanzig Mitglieder. Hier würden wir uns sehr über eine Verjüngung freuen, gerade aus der Jugend suchen wir noch nach Aktiven – gern aus Zehlendorf. Wir treffen uns einmal im Monat. Im Bezirksamt sind wir an den ‚Fahrräten‘ beteiligt. Das war früher der ‚Runde Tisch Radverkehr‘, da treffen sich Leute, die sich mit dem Thema Fahrrad beschäftigen.“
Nach dem Corona-Lockdown möchte der ADFC gern wieder in die Gänge kommen. Das Stadtradeln steht an. Außerdem wurde die „Kidical Mass“ seit dem März verschoben. Das ist eine Familien-Fahrrad-Demo frei nach dem Motto „Platz da für die nächste Generation!“ In über 70 Städten wollen Radfahrer für eine sichere Infrastruktur demonstrieren. Die „Kidical Mass“ soll nun laut ADFC-Information am 19. und 20. September stattfinden.
Michael Dittmann: „Wir können bestätigen, dass in der Corona-Zeit mehr Fahrräder verkauft worden sind als vorher. Wer zurzeit kleine Reparaturen an seinem Rad in Auftrag geben möchte, muss mitunter mehrere Wochen lang warten. Ohne Termin geht da oft gar nichts mehr. Auch sind im Handel die Normräder ausverkauft, es gibt oft nur noch die Sondergrößen.“
Viele Themen treiben den ADFC zurzeit um. So auch der Mindestabstand von 1,5 Metern zu einem Radfahrer auf der Straße, der von einem Autofahrer beim Überholen eingehalten werden soll.
Susanna Czerlinski: „Es ist wichtig für die Sicherheit der Radfahrer, dass dieser Abstand beim Überholen beachtet wird. Allerdings bringt die Maßnahme den Verkehr zum Stocken, weil die Autofahrer oft in den Gegenverkehr ausweichen und auf eine entsprechende Lücke warten müssen. Es ist mir letztens selbst so ergangen, als ich mit dem Fahrrad ein anderes Rad überholen wollte. Da war die Spur viel zu schmal, um den Abstand zu wahren.“
Ingo Kraatz: „Ich stelle in meinem Alltag fest, dass die Autofahrer tatsächlich mehr Abstand halten, seitdem die 1,5 Meter auch gesetzlich verankert wurden. Es gilt aber leider noch nicht für alle. Manche Autofahrer brettern auch extra dicht an uns Radfahrern vorbei, um zu stänkern.“
Susanna Czerlinski: „Es passiert ja durchaus etwas. Auf der Oberbaumbrücke hat man den Radstreifen auf drei Meter verbreitert. Das braucht man da auch, vor Ort sind sehr viele Radfahrer unterwegs, darunter auch immer mehr ungeübte und unroutinierte Radfahrer, die gerade erst vom Auto oder vom ÖPNV auf das Rad umgestiegen sind. Wenn die Anzahl der Räder im Verkehr weiter zunimmt, müssen sich die Autofahrer anpassen.“
Unternimmt der Bezirk Steglitz-Zehlendorf genug für die Radfahrer? Immerhin hat der Bezirk ja federführend die drei Stadtrouten rund um die Dahlem-Route (www.visitberlin.de/de/fahrradroute-dahlem-route) ins Leben gerufen. Die mittlerweile drei Fahrradrouten sollen Touristen aus dem Zentrum von Berlin in den Außenbezirk locken und Radfahrer dazu anregen, auf einer Tour die kulturellen Highlights vor Ort kennenzulernen.
Susanna Czerlinski: „Der Bezirk möchte mit den Radrouten die eigene Fahrradfreundlichkeit unter Beweis stellen. Aber hier geht es vor allem um Gelegenheitsradler, um Touristen. Wir können durchaus stolz darauf sein, dass es so etwas gibt. Aber im ganz normalen Fahrradalltag muss noch so viel mehr passieren. Im April haben wir eine Liste ans Bezirksamt geschickt. Wir hätten uns gewünscht, dass es in der Corona-Zeit auch in Steglitz-Zehlendorf temporär eingerichtete Popup-Fahrradwege wie die BikeLanes in Kreuzberg gibt. Da hätten wir zum Beispiel die Strecke Albrechtstraße und Steglitzer Damm priorisiert. Aber da ist nichts passiert. Die Albrechtstraße sei wohl zu schmal und es gäbe zu viel Lieferverkehr.“
Ingo Kraatz: „Viele bestehende Radwege sind in einem ganz schlechten Zustand. Wenn ich Unter den Eichen am Botanischen Garten vorbeifahre, dann haben Wurzelausbrüche das ganze Pflaster vom Radweg hochgehoben. Da muss ich dann nebenan fahren oder brauche ein Mountainbike mit guter Federung.“
Susanna Czerlinski: „Viele Radwege in Steglitz-Zehlendorf kenne ich, seit ich ein Kind bin. Da ist seit Jahrzehnten nichts mehr passiert. Oft werden auch die blauen Fahrradwegschilder abgeschraubt, die die Benutzung des Fahrradweges vorschreiben. Dann müssen diese Wege auch nicht mehr in Schuss gehalten werden.“
Natürlich sind auch Unfälle ein großes Thema für den ADFC. Gerade erst musste in Lankwitz wieder ein neues weißes „Geisterrad“ aufgestellt werden, weil es zu einem tödlichen Unfall gekommen war. Michael Dittmann: „Um die Lankwitzer Kirche herum kommt es immer wieder zu vielen Unfällen, da passiert echt viel.“
Ingo Kraatz: „Wir sprechen natürlich auch die vielen Unfälle mit LKWs an, die beim Abbiegen einen Radfahrer im toten Winkel übersehen. Eine europäische Richtlinie zur Einführung eines Abbiegeassistenten ist erst für 2021 vorgesehen. Manche Unternehmer setzen bereits auf eine tiefergezogene Beifahrerscheibe, um die Sicht beim Abbiegen zu verbessern. Ich habe gehört, dass LKWs in London ohne tiefergezogene Beifahrerscheibe oder ohne Abbiegeassistent gar nicht mehr in die Stadt fahren dürfen.“
Der ADFC beteiligt sich auch an der Petition von Jan-Eric Peters. Der ehemalige „Welt“-Chefredakteur hat eine Unterschriftenaktion gestartet, um aus der Havelchaussee eine dauerhafte Fahrradstraße zu machen. Gemäß Petition soll die Waldstraße zwischen den Straßen Am Postfenn und Kronprinzessinnenweg auf 7,8 Kilometer Länge für den privaten motorisierten Fahrzeugverkehr gesperrt werden.
Knapp 5.000 Unterschriften sind bereits zusammengekommen. Susanna Czerlinski: „Die Havelchaussee soll autofrei werden – und das nicht nur an den Wochenenden.“ (Text: CS / Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 77 (8/2020).
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