Scheibes Glosse: Hände schütteln – Nie wieder?
In frühen Ritterszeiten hat man sich die Hand gegeben, um dem Gegenüber auf diese Weise zu zeigen, dass man keine Waffe gezogen hat. Ein Handschlag ist demnach das friedvollste Zeichen, das es gibt. Es sagt aus: Ich versichere dir, dass ich dich gerade nicht um die Ecke bringen möchte. In Corona-Zeiten hat sich das geändert.
Wer anderen Menschen die nackte Hand gibt, steht unmittelbar im Verdacht, doch nur ein paar Milliarden frisch gezüchteter Viren abstreifen zu wollen.
Damit keine Viren übertragen werden, soll man lieber Abstand halten und am besten nur aus der Ferne winken – oder zur Begrüßung den Ellbogen benutzen, in den man eben noch kraftvoll hineingeniest hat.
Nun heißt es in der Boulevardpresse, dass es schlau wäre, wenn die Menschheit in Zukunft Lehren aus der Corona-Pandemie ziehen würde. Eine Lehre für die Zukunft könnte zum Beispiel darin bestehen, sich nie wieder die Hand zu geben. Das sei ein archaisches Begrüßungsritual (siehe oben), auf das man gut und gern verzichten könne.
Tatsächlich gibt es Befürworter für die Aufgabe dieser jahrhundertealten Tradition. Meine eigene Tochter, die inzwischen in Kiel lebt, hat die nordische Distanziertheit für sich entdeckt – und freut sich, wenn man nach Corona wieder zum Standard übergeht. Und anstatt 1,5 Meter wieder den dreifachen Abstand einhält. Auch meine Mutter mag es nicht so eng: „Auch das Geknutsche auf die Wange könnte man durchaus für immer auf den Index setzen.“
Ich finde das sehr schade. Ich fasse gern Menschen an. Ich umarme sie, massiere ihnen die Schulter, wenn sie vor mir sitzen, und knuffe sie beherzt in die Seite. Das gehört für mich zum sozialen Leben dazu. Es zeigt den Leuten, dass sie zu meinem Kreis gehören und dass ich sie gern mag. Der Mensch ist kein Einzelgänger, sondern ein soziales Tier auf zwei Beinen. Wie bei den Menschenaffen, die uns genetisch sehr ähnlich sind, gehören Berührungen fest zum sozialen Miteinander dazu. Berührungen entschärfen Konflikte, wirken positiv auf das eigene Befinden und zeigen, wer mit auf der eigenen Seite steht.
Ein Händedruck hilft auch dabei, neue Menschen besser kennenzulernen. Kommt da ein nasser Schwabbeldruck an oder greift jemand beherzt zu? Es gibt Managertypen, die drücken einem die Hand mit Gewalt nach unten, um Dominanz auszuüben. Andere schlagen einem dabei jovial auf die Schulter, um eine noch nicht vorhandene Nähe zu simulieren. Das sind alles interessante Zeichen, die sich bei einem ersten Kontakt deuten lassen. Es wäre doch schade, wenn wir auf dieses Analysewerkzeug verzichten würden.
Aber wenn es doch der Sicherheit dient? Nun: Es ist ja so, dass unsere Haut von Milliarden kleinster Bakterien und Pilze besiedelt ist. Dieser lebende Schutzwall bildet ein eigenes Biotop auf unserer Haut. Er hält schädliche Einflüsse von uns fern und „schluckt“ sogar Viren. Aus diesem Grund ist es gar nicht wirklich gut, sich ständig die Hände zu desinfizieren. Das tötet auch die guten Bakterien und Pilze ab – und schlägt auf diese Weise Lücken in den lebendigen Verteidigungswall. Seife ist viel besser.
Viren gab es schon immer. Es hat bislang nur niemanden interessiert. Und egal, ob Grippe, Masern, Windpocken, Herpes oder Schnupfen: Bislang hat sich noch niemand aus präventiven Gründen dafür stark gemacht, das Händeschütteln für immer abzuschaffen – auch wenn man ohne Händedruck sicherlich ein paar Prozent sicherer leben würde. Forscher gehen sogar davon aus, dass ein Großteil unserer Menschen-DNA aus uralter Viren-DNA besteht, die dort vor Millionen Jahren hineingehüpft ist. In diesem Kontext hätte man alle Sozialkontakte besser schon eingestellt, als wir noch Faustkeile aus Feuerstein gebastelt haben.
Um in Zukunft ganz sicher virenfrei zu leben, würde es aber nicht ausreichen, nur auf den Händedruck zu verzichten. Wir dürften uns in Zukunft nur noch im Freien begegnen, wo der Wind die Viren wegbläst. Schulen, Konzerthäuser und vor allem öffentliche Verkehrsmittel müssten zwingend abgeschafft werden. Die Menschen müssten dauerhaft mehrere Meter Abstand halten – und wechselnde Partner wären aufgrund des steigenden Infektionsrisikos ein absolutes NoGo.
Bevor wir also dauerhaft auf den uns so wichtigen Händedruck verzichten, sollte man das ganze Geld, das für nicht ganz nachvollziehbare Konjunkturmaßnahmen ausgegeben wird, lieber in die Forschung stecken. Allein die Wissenschaft wird am Ende aufzeigen, wie sich der Corona-Virus wirklich besiegen lässt. (CS, Foto: Tanja M. Marotzke)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 76 (7/2020).
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