Berliner Krisendienst in Steglitz: In Zeiten der Not immer einen Ansprechpartner finden!
„Ich krieg ne Krise!“ Das sagt sich so leicht. Jeder Mensch kann aber tatsächlich einmal an einen Punkt gelangen, an dem einfach nichts mehr zusammenpasst und einem das Leben unverhofft ein Bein stellt, sodass man lang hinschlägt. Wer in eine solche Situation gerät, in der alles nur noch grau und trist erscheint und kein Silberstreif mehr am Horizont zu erkennen ist, braucht mitunter schnell und unkompliziert Hilfe.
„Menschen haben Krisen. Berlin hat einen Krisendienst.“ Tatsächlich leistet sich das Land Berlin seit über 20 Jahren einen eigenen Krisendienst, in dem fest angestellte Psychologen, Sozialarbeiter und andere Experten mit therapeutischen Kenntnissen für alle Berliner und auch die Berlin-Besucher „da sind“, wenn sie einmal Hilfe benötigen.
Neun Beratungsstellen vom Krisendienst Berlin gibt es in der Hauptstadt. Sie alle richten sich an Menschen, die nicht mehr weiterwissen. Die Einrichtung in der Schloßstraße kümmert sich im Einzugsgebiet etwa um die Bewohner aus Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg. Eine Beratung kann telefonisch erfolgen. Der Berliner Krisendienst kann aber auch vor Ort aufgesucht werden. Mitunter wird der Krisendienst sogar gerufen – von Dritten, falls eine lokale Situation zu eskalieren droht. Polizei oder Feuerwehr können so etwa anrufen, wenn eine Selbsttötungsgefährdung vorliegt. Oder der besorgte Nachbar ruft an, weil sich die betagte Omi nebenan sehr merkwürdig verhält.
Angela Hofmeister (64) ist Diplom-Sozialpädagogin und stellvertretende Leiterin des Berliner Krisendienstes in der Region Süd-West: „Die Menschen, die zu uns finden, bestimmen selbst, was eine Krise ist. Wenn jemand Hilfe braucht, dann sind wir für ihn da. Kostenfrei, ohne Anmeldung, anonym. Oft geht es um Probleme in der Partnerschaft, aber auch Mobbing auf der Arbeit, die Auseinandersetzung mit dem Nachwuchs, suizidale Absichten und psychische Probleme wie eine beginnende Depression können Gründe sein, zu uns zu kommen. Dabei geht es nicht immer darum, dass man im eigenen Umfeld niemanden hat, mit dem man reden kann. Manche Probleme sind den Menschen so peinlich oder unangenehm, dass sie lieber mit jemand Fremden sprechen. Mit jemandem, der ein Problem professionell analysieren kann und den man nach der Bewältigung der Krise eben nicht mehr im täglichen Umfeld wiedersieht.“
Drei Berater und Beraterinnen stehen in der Schloßstraße zur Verfügung – an jedem Tag in der Woche von 16 bis 24 Uhr. Angela Hofmeister: „Dieser Zeitraum hat sich sehr bewährt. Krisen manifestieren sich oft in dieser Zeit nach der Arbeit. Auch haben dann andere Beratungsdienste und Hilfeangebote meist schon geschlossen. Zu der Zeit, in der wir unserer Arbeit nachgehen, stehen ansonsten nur noch die Klinik oder die Telefonseelsorge bereit. Der Berliner Krisendienst unterhält in Mitte aber auch ein Angebot, das rund um die Uhr zur Verfügung steht.“
Dass viele Berliner noch nie etwas vom Krisendienst gehört haben, wundert Angela Hofmeister nicht: „So eine Einrichtung nimmt man nicht wahr, wenn man sie nicht braucht. Jeder Mensch kommt aber mitunter in eine Situation, in der es einem so schlecht geht, dass die eigenen Mechanismen zur Bewältigung einer Krise nicht mehr greifen oder die eigenen sozialen Netzwerke nicht zur Verfügung stehen. Dann freuen sich die Menschen über die erste Akuthilfe mit ganz niedrigen Zugangsvoraussetzungen. Im vergangenen Jahr kam es in ganz Berlin zu ca. 74.000 Kontakten über den Berliner Krisendienst – Tendenz steigend.“
Wer den Krisendienst in Anspruch nehmen möchte, bekommt vor Ort die volle Aufmerksamkeit. Angela Hofmeister: „Ein Gespräch dauert, so lange es eben dauert. Manchmal ist es bereits nach einer Viertelstunde vorbei, wenn es etwa nur darum geht, die Kontaktdaten zu einem spezialisierten Hilfeangebot herauszusuchen. Es kann aber auch leicht eine ganze Stunde überschreiten. Manche Besucher benötigen mehrere Termine. Andere bringen ihren Partner oder einen Freund bzw. eine Freundin mit, um eine Stütze zu haben.“
Viele Menschen können sich nicht vorstellen, einmal in ihrem Leben einen psychischen Leidensdruck zu haben, der so groß ist, dass ein Gang zum Berliner Krisendienst nötig wird. Angela Hofmeister weiß aber, dass dies ganz schnell passieren kann: „Probleme, die das eigene Leben verändern, können plötzlich und unerwartet im Raum stehen. Man kann sich auf sie nicht vorbereiten. Eine sehr wichtige Person im eigenen Leben stirbt. Man selbst bekommt vom Arzt eine schlimme Diagnose. Der Partner verlässt einen. Man verliert die eigene Arbeitsstelle. Das Geld ist alle, man kommt aus den Schulden nicht heraus. Bereits in jungen Jahren kann eine Krise entstehen: Wie geht es nach der Schule weiter? Wie kommt man damit zurecht, wenn die Noten auf dem Zeugnis auf einmal verheerend sind?“
Viele Besucher vom Krisendienst sind verzweifelt. Sie fühlen, dass sie „der Sache“ nicht mehr gewachsen sind, dass sie ohnmächtig zum Spielball der Gewalten geworden sind und dass sie keine Kraft mehr haben, um sich dem eigentlichen Problem zu stellen. Ganz egal, ob Coming-Out, gewalttätiger Partner oder Drogen nehmende Kinder: „Wir sortieren die Dinge, beseitigen die Ohnmacht und stellen den Zugang zu den eigenen Ressourcen wieder her“, so Angela Hofmeister. „Wir bieten keine Behandlung und keine Therapie an, helfen aber gern in einem oder mehreren Gesprächen dabei, die eigene Basis wiederzufinden. Oft stellen wir in einem Gespräch auch fest, dass die Probleme an ganz anderer Stelle liegen. Dann fragen wir schon einmal nach: Kann es sein, dass Sie ein Alkoholproblem haben?“
Der Diplom-Sozialpädagogin fällt in ihrem Arbeitsalltag auf, dass sich eine Krise nicht an bestimmten Strukturen festmachen lässt: „Jeder kann in eine handfeste Krise schliddern – Männer ebenso wie Frauen, junge Menschen ebenso wie ganz alte, reiche ebenso wie arme. Uns fällt nur auf, dass sich die Männer zunehmend trauen, sich einzugestehen, dass sie ein Problem haben und Hilfe benötigen – und das nicht erst, wenn es für einen Lösungsansatz eigentlich fast schon zu spät ist. Die Probleme selbst bleiben über die Jahre eigentlich immer die gleichen – da gibt es keinen Trend.“
Interessant ist, dass jeder den Berliner Krisendienst nutzen darf, sobald er oder sie sich in der Stadt aufhält – auch ohne festen Wohnsitz. Angela Hofmeister: „Das betrifft dann natürlich auch Touristen und Geflüchtete. Wir können uns in vielen Sprachen verständigen und im Falle eines Falles auch einen Dolmetscher organisieren.“
Die Corona-Pandemie sorgt für mehr Nachfrage beim Krisendienst, was Menschen mit Angstzuständen und Panikschüben anbelangt. Angela Hofmeister: „Corona erschwert auch etwas die Besuche bei uns. Jetzt muss man sich doch kurz telefonisch anmelden, sich in eine Liste eintragen, die Hände desinfizieren und einen Mundschutz tragen.“ (Text/Fotos: CS)
Info: Berliner Krisendienst, Region Süd-West, Schloßstraße 128, 12163 Berlin, Tel.: 030 390 63 60, www.berliner-krisendienst.de
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 74 (5/2020).
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