Scheibes Glosse: Politisches Wirrwarr!
Wenn man als Journalist tätig ist, schauen die Menschen ganz genau hin: Zu welcher Partei tendiert der Schreiberling insgeheim? Arbeitet er der aktuellen Regierung zu, schlägt sein Herz rot oder braun, ist er ein heimlicher Reichsbürger und wie sieht er die brisanten Themen „Flüchtlinge“, „Klima“ oder „einheimische Bauernschaft“?
Das Problem ist: Die Welt ist nicht grün, schwarz, rot oder blau. Aber zum Glück wissen meine Leser ganz genau, wie ich so ticke (alle Antworten zum Glück erfunden):
„Der geht doch die ganze Zeit immer nur essen in diesen neuen hippen Restaurants, dem ist die Politik doch völlig schnuppe.“
„Letztens gab es einen Tanzabend der Flüchtlinge in der Begegnungsstätte. Da ist er nicht gekommen – trotz Einladung. Ich sage euch, der wählt doch die AfD.“
„Der postet immer den ganzen Tag lang Fotos von Spinnen und Käfern auf Facebook. Das ist so ein Grüner, so ein Umweltaktivist. Dem sind die Menschen ganz egal. Der kennt auch eine Kräuterhexe. Das ist doch sonderbar.“
„Was? Ein Kapitalist vor dem Herren ist der. Ständig schreibt er über neue Geschäfte, über seine Kapitalistenfreunde eben. Da geht es nur ums Geld. Ehrenamtliche Geschichten sind dem Herrn doch völlig fremd. Der wählt bestimmt die FDP.“
„Ist Euch mal aufgefallen, dass die Texte in seinen Magazinen alle nicht ordentlich durchgegendert sind? Keine Sternchen, keine Ausrufezeichen, kein Nix. Das ist frauenfeindlich. Deswegen darf er auch nicht von unserem Frauenstammtisch berichten. Weil er ein Mann ist!“
„Der hat mal ein Interview mit einem Flüchtling gemacht. Der ist bestimmt so ein Linker, der keine gesicherten Grenzen will und der am liebsten weitere Schlauchboote aufpustet, damit noch mehr Leute von Afrika zu uns rüberpaddeln können.“
„Der muss ein SPD-Mann sein. Der verschenkt sein Magazin an all die armen Arbeiter, damit sie lesen können, was in ihrem proletarischen Kiez passiert.“
„Der verdient sich mit seinen Anzeigen dumm und dämlich. Die Leser sind dem doch völlig wurscht. Der ist ganz klar so ein CDU-Bonze. Das wirkliche Elend findet doch im Magazin gar nicht statt. Das ist doch nur Hofberichterstattung.“
„Dieser komische Journalist hat schon drei Mal über Fridays for Future berichtet. Das ist selbst so ein Greta-Liebhaber, so ein Rotgrünversiffter. Der findet es gut, dass die Kinder am Freitag nicht zur Schule gehen und blöd bleiben.“
„Mit den Bauern war er auch unterwegs – auf‘m Trekker. Das ist so ein gülliger Bauernversteher, meilenweit weg von jedem Nachhaltigkeitsgedanken und von Bionutzung. Der findet es gut, dass unsere Böden mit Giften verseucht werden und dass das Tierwohl in den Ställen mit Stiefeln getreten wird.“
„Ist der überhaupt politisch? Der geht doch immer nur pokern und nie zu politischen Gesprächsrunden.“
„Also mir ist mal meine Katze weggelaufen und die Zeitung hat nicht sofort ein Finde-mein-Tier-Gesuch auf Facebook veröffentlicht. Das ist ein Katzen-Hasser. Ein Vierbeiner-Feind. Ein Tier-Unterdrücker. Der brät sich ganz bestimmt auch Eichhörnchen über dem Spieß – nur so zum Spaß.“
„Er wollte nicht über meinen Verein der altsorbischen Trachtenträger schreiben. Der hat‘s eben nicht so mit der Vergangenheit. Dabei geht es hier doch auch um Traditionen. Das interessiert die Leute doch.“
„Der hat kaum noch Haare auf dem Kopf. Wie will der denn dann authentisch Werbung für Friseure machen? Lügenpresse.“
„Wie kann es denn die Zeitung nicht verstehen, dass wir in keinem Staat leben, sondern in einer ganz einfachen GmbH – mit Frau Merkel als Geschäftsführerin. Der Herr Journalist ist eben eine Systemmarionette. Der wird sich noch wundern.“
„In der Zeitung werden kostenfrei immer auch Termine aus den Kirchen abgedruckt. Wollten wir nicht alle Religionen abschaffen? Das ist doch sicherlich so ein christlicher CDU-Jünger, der in den Schulen am liebsten wieder den Rohrstock einführen möchte.“
„Ist Euch aufgefallen, dass im Magazin alle Überschriften rot hinterlegt sind? Hallo!?! ROT? Das ist ein Propaganda-Magazin der LINKEN, wie viele Hinweise wollt ihr denn noch nicht verstehen?“ (CS, Foto: Tanja M. Marotzke)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 71 (2/2020).
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