Unter Trollen: Kritisches Theater im Haus der Jugend Zehlendorf!
Alles beginnt mit einem Schulwettbewerb. Ein Graffiti soll erstellt werden. Eine Schülergruppe tritt für den Kampf gegen den Klimawandel ein. Ihr Entwurf zeigt Flugzeuge, die CO2-Bomben über Berlin abwerfen. Die knallharte Message: „Vielreisende töten unsere Welt.“ Das Voting findet im Internet statt. Und schon geht es los.
Verschörungstheoretiker und rechte Agitationsgruppen mischen sich ein. Eine Fluggesellschaft erkennt ihr Logo im Graffiti wieder. Die Rektorin der Schule bekommt Hass-Mails – auch an die private Mail-Adresse. Auch zwischenmenschlich liegt bei den Schülern einiges im Argen. Die Trolle toben sich so richtig aus: Wie konnte es nur so weit kommen?
Der Verein Vajswerk e.V. (www.vajswerk.de) geht dieser Frage auf dem Grund und stellt die stets anonym vorgehenden Internet-Trolle, die im Netz mit Beleidigungen, Pöbeleien, persönlichen Diffamierungen und Hass auffallen, in den Mittelpunkt.
Das recherche theater berlin zeigt in einem gut einstündigen Theaterstück mit dem Titel „Unter Trollen“, wie weit sich die Diskussionskultur auf „Instagram, Facebook, beim Gaming, in Chat-Gruppen oder sonst wo im Netz“ schon von jeder normalen Form entfernt hat. Gefördert wird „Unter Trollen“ übrigens vom Berliner Projektfonds „Kulturelle Bildung“.
Das Stück selbst stammt aus der Feder von Mikhail Kaluzhsky. Der Journalist und Theaterautor stammt aus Novosibirsk. Inzwischen lebt er aber seit fünf Jahren in Berlin-Friedrichshain: „Trolling ist ein heißes Thema. Für die Kinder ist das Theaterstück ein sehr lehrreiches Projekt. Sie haben beim Proben auch viele Anpassungen am Stück vorgenommen und es so auch zu ihrem Werk gemacht. Das ist gut so. Ich bin 52 Jahre alt, ich kenne mich in ihrer Welt nicht mehr so gut aus.“
Regisseur Charles Toulouse: „15 Jugendliche standen am 24., 25. und 27. Januar im Zehlendorfer Haus der Jugend auf der Bühne. Vier stammen aus unserer offenen Jugendgruppe, elf aus der 11. Klasse der Gail S. Halvorsen Schule in Dahlem. Ende August haben wir mit den Proben angefangen. Ich fände schön, wenn wir das Stück noch einmal vor einer Schulklasse spielen könnten, gern mit einer anschließenden Diskussionsrunde über das Trolling.“
Das Stück selbst geht das Thema Trolling sehr gut und von allen Seiten an. Zum Thema Vielflieger und Klimakatastrophe zeigen die Schüler nicht nur die Fridays-for-Future-Floskeln auf, sondern lassen auch eine Einwanderin zu Wort kommen: „Ich bin Vielfliegerin. Wer dank Klimawandel für Flugscham sorgen will, versteht nichts vom Leben der Einwanderer. Meine Familie ist auf dem ganzen Globus verteilt. Ohne Flugzeug kann ich sie nicht mehr sehen.“
Auch eine Verschwörungstheoretikerin darf sich äußern. Mit eigenen Ideen zum New-Yorker 9-11-Terrorakt ausgestattet, reagiert sie als Troll auf jedes Flugzeugthema: „Ich bin Troll geworden, weil in den Medien nur Lügen stehen. Um dagegen vorzugehen, ist mir jedes Mittel Recht.“
Ein Problem ist es nur, dass beim Stück „Unter Trollen“ fast zu viele Personen auf der Bühne stehen, die nach kurzen Statemens gleich wieder im Off verschwinden und neuen Darstellern Platz machen. Da verliert man als Zuschauer leicht den Überblick, wer eigentlich wer ist und welche Agenda hat.
Man könnte nach dem Stück denken, dass die Kids, die ja oft mehrere Stunden am Tag online sind, alle bereits eigene Erfahrungen mit Trollen im Internet gesammelt haben. Julia Dehne (17) widerspricht: „Ich bin in den sozialen Netzwerken aktiv, hatte aber noch keine Begegnung mit den Trollen.“ Na, wenn das nicht die hoffnungsvollsten Worte des ganzen Abends waren! (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 71 (2/2020).
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