Von Dada zu Kafka: Ausstellung: Zehlendorfer Künstler in den Zwanzigern!

Zehlendorf war schon immer der Berliner Bezirk, der neben den Reichen auch die Kreativen in großer Anzahl angezogen hat. Viele Maler, Komponisten und Autoren haben sich hier ihren Wohnsitz erwählt. Das ist nicht nur heute so, das war auch schon in den Zwanziger Jahren der Fall.
Beatrix Obal (41) hat sich in der Weimarer Kultur umgesehen und viele bekannte Namen der Vergangenheit aufgespürt, die eng mit dem Bezirk Zehlendorf verbunden sind. In ihrer Ausstellung „Zehlendorfer Künstler in den Zwanzigern – Die Weimarer Kultur in der Peripherie“, die sie als Kuratorin betreut, stellt sie das Ergebnis ihrer umfangreichen Recherchen zusammen. Dabei ist es erstaunlich, wie viele Exponate und kulturhistorische Entdeckungen in einem Raum Platz finden.
Beatrix Obal, die in Hamburg studiert hat und gerade ihre Doktorarbeit in Mainz beenden konnte, sagt: „In den Zwanziger Jahren überlagern sich die Stilrichtungen dieser Zeit sehr stark. Der Impressionismus ist in dieser Zeit ebenso zu finden wie der Expressionismus oder die neue Sachlichkeit. In Zehlendorf war sogar der Dadaismus zu Hause. Der ‚Oberdada‘ Johannes Baader lebte hier und organisierte diverse dadaistische Events in Zehlendorf.“
Wer durch die Ausstellung flaniert, entdeckt viele Namen, die sicherlich nur den kulturbeflissenen Bürgern bekannt sind, darunter Ludwig Fulda, Helene von Nostitz, Julius Hart, Lesser Ury oder Felix Nussbaum. Wer diesen kreativen Menschen nachspüren möchte, findet in der Ausstellung nicht nur spannende Exponate wie gedruckte Bücher, Noten, Gemälde oder Plakate vor, sondern entdeckt stets auch eine Kurzbiografie, die interessante Eindrücke vermittelt.
Und dann staunt man plötzlich doch. Frank Kafka hat vor seinem Tod in Zehlendorf gelebt. Heinrich Zille hat hier gearbeitet. Carl Zuckmayer war im Bezirk Zuhause. Und auch Max Liebermann hat in Zehlendorf gewirkt. Mit Hans Dominik hat sogar einer der allerersten deutschen Science-Fiction-Autoren in Zehlendorf seine Bücher geschrieben. Gerade Kafka und Zille hätte man sonst wohl kaum mit Zehlendorf in Verbindung gebracht.
Beatrix Obal: „Warum lebten all diese Menschen ausgerechnet in Zehlendorf? Nun, die Schauspieler suchten die Nähe zu Babelsberg, wo sie gearbeitet haben. Die Künstler liebten den Wannsee und die vielen schönen Motive, die dort zu finden waren. Und die Schriftsteller wollten gern ihren sozialen Aufstieg verdeutlichen, indem sie in die Villengegend von Berlin zogen.“
Ein besonderes Stück ist bislang noch nicht Teil der Ausstellung, wurde der Kuratorin aber am 20. Oktober zur Eröffnung von Frank Mückisch, dem Stadtrat für Bildung, Kultur, Sport und Soziales, überreicht. Es handelt sich dabei um eine Schallplatte, das Notenblatt und den Text vom Krumme-Lanke-Lied, das Fredy Sieg im Jahr 1923 komponiert hat, und das ein großer Gassenhauer geworden ist. Das Lied beschreibt das Aufkeimen einer jungen Liebe just an der Krummen Lanke, die dann aber unglücklich endet: „Und nun warn wir Frau und Mann – und dann kam der Kleene an – und wir kriegten einen Schreck ganz fürchterlich, einen Wasserkopp engros – und die Beine krumm wien O – s war son richtiger kleiner Krumme-Lankerich“. Für das Krumme-Lanke-Lied soll noch eine eigene Vitrine angeschafft werden. Ausgestellt wird bis dahin eine Kopie – damit das Original im Licht der Ausstellung nicht ausbleicht.
Auf dem Boden der Ausstellung ist eine Straßenkarte vom Berlin der 20er Jahre zu sehen. Hier kann man nachvollziehen, wo die Künstler von damals gelebt haben. Die über hundert Exponate in den Vitrinen und an den Wänden laden ebenso dazu ein, auf Spurensuche zu gehen und einen lebendigen Einblick von der damaligen Zeit zu gewinnen. So trifft man etwa auf das Wirken der Zehlendorfer Verlage, darunter der Fritz-Heyder-Verlag und der Malitz-Verlag. In einer Vitrine kann man ihre oft kunstvoll gestalteten Bücher bestaunen. Und sogar Zehlendorfer Notgeld unter die Lupe nehmen, das in den Zeiten der Superinflation vom Bezirk ausgegeben wurde.
Für den Dezember ist ein gedrucktes Begleitbuch zur Ausstellung geplant. Es soll Kurzbiografien zu den Künstlern, vertiefende Essays und Literaturangaben zum Weiterlesen enthalten. So mag es sich mitunter lohnen, dem Werk der Clara Viebig nachzuspüren, die mit ihren Berlin-Romanen in kaum einem Buchregal der Zwanziger Jahre gefehlt hatte. Beatrix Obal: „Clara Viebig hatte in der damaligen Zeit eine unglaublich hohe Auflage und ein sehr umfangreiches Oeuvre. Ihre Bücher hat jeder gelesen, auch wenn es niemand zugegeben hätte. Das war ein frühes Rosamunde-Pilcher-Phänomen.“
An der Ausstellung hat Beatrix Obal zwei Jahre lang gearbeitet. Finanziert wurde diese Arbeit u.a. durch den Kulturfond des Kulturamts Steglitz-Zehlendorfs. Beatrix Obal: „Die Vergangenheit hat mit unserer Gegenwart sehr viel zu tun. Der gesellschaftliche Wandel, das schnelle Tempo im Alltag, die politische Unsicherheit – das ähnelt sich doch alles sehr.“
Die Sonderausstellung „Zehlendorfer Künstler in den Zwanzigern – Die Weimarer Kultur in der Peripherie“ ist noch bis zum 13. März 2020 zu sehen – übrigens kostenfrei. Geöffnet hat das Heimatmuseum immer Montag und Donnerstag von 10 bis 18 Uhr und Dienstag und Freitag von 10 bis 14 Uhr. An einigen Sonntagen hat das Heimatmuseum ebenfalls geöffnet – die Termine stehen auf der Homepage. (Text/Fotos: CS)
Info: Heimatmuseum Zehlendorf, Clayallee 355, 14169 Berlin, Tel.: 030-8022441, www.heimatmuseum-zehlendorf.de
Dieser Artikel stammt aus „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 68 (11/2019).
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