Ausstellung in der Domäne Dahlem: Herdanziehungskraft
Vor vielen, vielen Jahren hockten die Urzeitmenschen abends gemütlich um ein wärmendes Feuer. Sie nutzten es nicht nur, um sich zu wärmen und um sich in seinem Schein gesellige Geschichten zu erzählen, sondern auch, um ihre Nahrung zu erhitzen. War das der Ursprung der modernen Küche? Für Tanja Petersen unbedingt. Die Museums-Leiterin und Kuratorin an der Domäne Dahlem eröffnet deswegen auch mit einem klassischen Lagerfeuer ihre Sonderausstellung „HERDANZIEHUNGSKRAFT.
Küche und Kochen“, die noch bis zum 5. Januar im Herrenhaus der Domäne zu sehen ist. In mehreren Räumen zeigen die Exponate die Entwicklung der Küche von der urzeitlichen Feuerstelle bis hin zum modernen Thermomix.
Tanja Petersen, die am 4. Juli um 16:30 Uhr erneut zu einer Kuratorinnen-Führung einlädt: „Inzwischen geht man davon aus, dass die Menschen das Feuer schon viel früher für sich entdeckt haben als bislang gedacht. So soll die Erfindung des Lagerfeuers bereits 960.000 Jahre alt sein. Die ersten archäologischen Funde datieren allerdings erst 33.000 Jahre weit zurück. Lange Jahrtausende haben die Menschen das Feuer übrigens nicht selbst entfachen können, sondern es ‚eingefangen‘ und bewahrt, wenn es spontan nach einem Blitzschlag oder bei einem Waldbrand entstanden ist.“
Die Ausstellung „Herdanziehungskraft“ beleuchtet das Thema Küche und Kochen von vielen verschiedenen Seiten. So ist eins der ersten Exponate, das vor Ort gezeigt wird, ein frühzeitlicher Kochstein – eins der allerersten und primitivsten Küchenutensilien. Tanja Petersen, die vorher im Jüdischen Museum beschäftigt war: „So ein Kochstein wurde in die Glut gelegt und dann in eine nebenan liegende Grube überführt. Auf diesen heißen Steinen konnten die Frauen die Nahrung behutsam garen. Angesichts der Tatsache, dass in der Frühzeit noch die Frauen das Feuer gehütet haben: Wie konnte es eigentlich passieren, dass heutzutage die Männer am Grill stehen und die Frauen nur noch die Salate zubereiten?“
Die Geschichte der modernen Küche beginnt im 19. Jahrhundert – mit einer „Kochhexe“, wie es sie heute noch auf manchen Skihütten gibt. Tanja Petersen: „Damals zogen die Frauen übrigens nach der Hochzeit in das Haus ihrer Männer. Da führte die Schwiegermutter die Herrschaft über die Küche. Mitunter bekamen die Bräute zur Hochzeit einen Kesselhaken geschenkt. Das war der allererste Schritt auf dem Weg zu einer eigenen Küche. Der Spruch ‚eigener Herd ist Goldes wert‘ stammt aus dieser Zeit. Mit einem eigenen Herd war man endlich unabhängig von der Schwiegermutter.“
Mitte des 20. Jahrhunderts geht es dann ganz schnell mit den innovativen Erfindungen rund um das Thema Küche. Da wurde etwa die Papierbrikettpresse erfunden, die aus alten Zeitungen Heizmaterial für den Ofen formt.
Spätestens mit dem Krieg wird es dann richtig kurios. Zeitzeugen berichten, dass bei einem Ausfall der Gasversorgung in der Küche auch schon einmal das umgedrehte Bügeleisen zum Kochen verwendet wird. Anscheinend mit Erfolg. Denn 1949 kam es erstmals zum geplanten Umstieg auf das elektronische Kochen. Tanja Petersen: „Das fiel manchen Frauen so schwer, dass es ein eigenes Kochbuch nur für das Kochen auf den elektrisch beheizten Platten gab.“ Klar, dass dieses Kochbuch auch zur Ausstellung gehört. Ebenso wie „Konversionsware“: Nach dem Krieg wurden die nicht länger benötigten Stahlhelme der Soldaten zu löchrigen Nudelsieben verarbeitet.
Vieles, was in der Ausstellung zu sehen ist, mutet heute unverständlich an. Tanja Petersen: „So hatte jeder Haushalt früher ein bis zwei Fleischwölfe in der Küche, um Hackfleisch selbst zu produzieren. Das liegt sicher auch daran, dass es früher viele Hausschlachtungen hab. Auch hygienische Gründe können eine Rolle gespielt haben.“
Die Ausstellung gibt sich verspielt, informativ, abwechslungsreich und vielseitig. Sie zeigt zahlreiche „Musterküchen“ von der einfachen Feuerstelle in der Hütte bis hin zu den modernen Küchen im „Berliner Zimmer“. Die Besucher bestaunen aufwändige Puppenküchen, informieren sich über Solarkocher, probieren Küchenschürzen an oder befühlen bestickte Küchentücher, auf denen – extra in Auftrag gegeben – auch moderne Sprüche wie „Der Mann am Herd, die Frau im Job, alles bestens, alles top“ zu lesen sind.
In der Ausstellung, die unter der Federführung der Domäne Dahlem mit der Unterstützung der kooperierenden Partnermuseen des „Ausstellungsverbunds Alltag | Arbeit | Aufbruch | Anstoß“ entstanden ist, geht es aber auch um Schädlinge in der Küche, um historisch aussortierte Fehlentwicklungen wie etwa Keksausstechformen in Hakenkreuzform oder um „Küchenhelfer mit Migrationshintergrund“, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind.
Wer sich umsieht, entdeckt seltsame Geräte wie etwa einen Bohnenschneider. Oder findet an einer Wand voller Messer heraus, wie das kleine Küchenmesser in den unterschiedlichen Regionen von Deutschland genannt wird. Denn an manchen Orten heißt es nicht einfach nur Obstmesser, sondern wird als Schnitzer, Kneipchen, Schrappmesser, Schillermesser, Küchendeiferl oder Knief bezeichnet. Tanja Petersen: „Ich frage mich immer: Wenn wir doch heute so viele Helferchen in der Küche haben: Warum verbringen wir noch immer so viel Zeit in ihr?“
Im letzten Raum der Ausstellung geht es um die Zukunft. Wie mag die in der Küchenwelt wohl aussehen? Voller Küchenroboter? Tanja Petersen: „In New York werden bereits die ersten Wohnungen gebaut, die keine Küche mehr enthalten. Denn ein Thermomix und eine Kaffeemaschine reichen vielen Singles oder Paaren bereits völlig als Küchenutensilien aus.“
Wer die Sonderausstellung „HERDANZIEHUNGSKRAFT. Küche und Kochen“ besuchen möchte, kann dies Mittwoch bis Sonntag in der Zeit zwischen 10 und 17 Uhr tun. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 3 Euro. Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre zahlen nichts.
Tanja Petersen: „Auf die Ausstellung habe ich mich ein Jahr lang vorbereitet und viele kreative Ideen für eine abwechslungsreiche Präsentation ausgeheckt. Wir haben auch ohne einen großen Etat eine tolle Ausstellung auf die Beine gestellt.“ (Text/Fotos: CS)
Info: Domäne Dahlem, Königin-Luise-Straße 49, 14195 Berlin, www.domaene-dahlem.de
Dieser Artikel wurde in „ZEHLENDORF.aktuell“ Ausgabe 63 (6/2019) veröffentlicht.
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